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„Mut zur Erziehung?“ - Mut zum Lernen!
„Gute Erziehung ist Voraussetzung für erfolgreiche Bildung. Das war schon immer so.“
Bundesministerin für Bildung und Forschung, Anette Schavan, CDU, Rheinischer Merkur, Juni 2007.
„Die Vollbärte zittern. Fette Hände senken sich wohlwollen auf die jungen Schultern, Beruhigung klopfend, alles im Leben endet mit einem Arrangement. Und ich sehe die andern, die jungen, sportgebräunten Schieber mit den schwarzen Lacktollen und den französischen Stiefelchen. Laßt sie Schlachten liefern -: wir liefern Brotbeutel. Und essen Kuchen.“
Kurt Tucholsky, „Die Verteidigung des Vaterlandes“, 1921.
„Erziehung“ ist besonders dann à la mode, wenn gesellschaftliche Probleme nicht mehr anders „in den Griff zu kriegen“ seien. So sollen Kriminalität, Arbeitslosigkeit und Rechtsextremismus gleichermaßen durch Erziehung „bei der Wurzel gepackt“ werden, fordert auch Bundesmütterministerin von der Leyen.
In solchen Äußerungen liegt die Gemeingefährlichkeit dieser konservativen Betreuungsdogmatik auf der Hand: Probleme ökonomischen, politischen und sozialen Ursprungs werden demagogisch den Einzelnen zugeschoben. Der Einzelne sei damit „schuldig“ (wenn nicht gleich krank) und bedürfe der Erziehung, die immer eine Mixtur aus Zwang und Belohnung ist. Diese Maßnahmen sind darauf gerichtet, daß er oder sie sich an die bestehenden Lebensverhältnisse anpaßt, die von Konkurrenz und Selektion geprägt sind. Eine Verbesserung der Lebensbedingungen für Alle (und mindestens tendenziell durch alle) wird damit ausgeschlossen und soll es auch sein.
„Erziehung“ ist immer ein Überordnungsverhältnis, daß die grundsätzliche gesellschaftliche Ungleichheit (zwischen Oben und Unten, Arm und Reich, Behandelnden und Behandelten) reproduziert und reproduzieren soll.
Hier liegt auch der ideologische Ursprung der strengen Reglementierung des Studiums durch die neoliberalen Deformen der CDU-Hochschulpolitik. Exzellenz, Leistung, die Spaltung der Studierenden in Masse und Elite durch Bachelor und Master sowie die Studiengebühren sollen die Universitäten in disziplinierende Trainingsanstalten für Sekundärtugenden im Dienste ökonomischer Verwertungsnormen verwandeln. Wer sich damit nicht arrangieren will (das sollten zum allgemeinen wie eigenen Wohl alle sein), sollte auf kritischen Verstand und die Entwicklung von Solidarität bauen.
Die bedarfsgerechte öffentliche Finanzierung der Hochschulen, die soziale Absicherung der Studierenden, der problemlösungsorientierte Sinn und Zweck der Wissenschaften, kooperative Lehr- und Lernformen, die demokratische Partizipation aller Mitglieder sowie die Kultur von Fächervielfalt und Zusammenhang der Universität ist gegen die beherrschende marktradikale Verwertungsdoktrin unbedingt neu zu begründen und durchzusetzen.
Es ist nicht zwangsläufig oder gar natürlich, daß Studierende einander als Konkurrenten betrachten, auch müssen Professorinnen und Professoren einen nicht mit unüberschaubaren (Schein-)Kenntnissen beprotzen. Meistens haben die anderen Vereinzelten selbst Angst davor, irgendwie an fremdgesetzter Norm zu scheitern.
Eine vernünftige Alternative bildet aller Orten eine nachdenkliche, kommunikative und anteilnehmende Haltung. Einschränkende Bedingungen können als solche erkannt, kritisiert und verändert werden. Dafür muß man systemisch gewollte Isolation durchbrechen.
Politisches Handeln ist deshalb kein versponnener Idealismus, sondern ein wesentlicher Schritt zum befreiten Aufatmen.
Der Studiengebührenboykott sollte so exemplarisch für eine neue Kultur als gemeinsame Aktivität der Aufklärung und Selbstaufklärung begriffen und entwickelt werden.