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Talentiert oder emanzipiert?

So wie es ist, kann es nicht bleiben. Die kooperative Entfaltung in Arbeit, Bildung und Kultur ist eine menschliche Notwendigkeit, nicht irgendwann später, sondern hier und jetzt und nicht nur für einzelne sondern für jeden und für alle. Dabei können wir aufgreifen, was Uwe Timm - Hamburger, Schriftsteller und Chronist - als Ambitionen des gesellschaftlichen Aufbruchs von 1968 kennzeichnete: „eine neue Pädagogik, die auf repressive und autoritäre Einübungen verzichtet, der Versuch, die Literatur aus ihrem Elfenbeinturm zu befreien, die Wissenschaften an der Entscheidung über die Verwertung ihrer Ergebnisse zu beteiligen, also die Forschungsziele nach den Bedürfnissen der Menschen und nicht nach der profitablen Verwertbarkeit auszurichten, vor allem sollte eine gerechtere Verteilung der Reichtümer dieser Welt erreichen werden, indem die chaotischen kapitalistischen Produktionsverhältnisse abgeschafft wurden, denen nicht nur die Armut der Dritten Welt geschuldet war, sondern mit dem Wohlstand auch das psychische Elend im eigenen Land“.
Uwe Timm, Römische Aufzeichnungen, 1989.

Gegen diese menschliche Emanzipation durch umfassende demokratische Partizipation, Kunst und Wissenschaft als solidarische Aneignung der Welt richtete sich das Leitbild des von 2001 bis 2004 amtierenden Senats von CDU, FDP und Schill: „Metropole Hamburg - Wachsende Stadt“.

Gemäß dieses Leitbildes sollte die Stadt mit ihrer gesamten Infrastruktur, den sozialen, kulturellen und wissenschaftlichen Einrichtungen und was sonst noch so zum urbanen Leben dazugehört dafür herhalten, den „Weltkonzernen“ in Hamburg hochqualifizierte, kapitaldevote „Erwerbspersonen“ bereitzustellen, um die Profite zu steigern. Gegen den Brutalo-Kurs - „Die Akkumulation von Humankapital wird zunehmend zu einem treibenden Faktor des wirtschaftlichen Wachstums“ - wächst allerdings von Beginn an die gesellschaftliche Opposition, nicht zuletzt an den Hochschulen und bei den Kulturschaffenden.

Das neue, „schwarz-grüne“ Senatsprogramm „Wachsen mit Weitsicht“ soll deshalb die „Talente“ (auch „Kreative Köpfe“ oder „high potentials“) wieder mit der wirtschaftsdominierten Politik versöhnen. Sie sollen in Hamburg „ihre Kreativität und Leistungsbereitschaft“ gern entwickeln, die „Kreativwirtschaft“ beleben und „zukunftsträchtige Wirtschaftsfelder“ erschließen. Dafür würde die Stadt „Talente fördern“, so daß diese ihre „Lebenschancen“ entfalten können, die so entstehende „kulturelle Vielfalt“ mache eine „lebenswerte Stadt“ aus. Prima Leben in der Krise, heißt die Devise. Und der Senat verlautet: „Das Spannungsverhältnis zwischen Kunst, Kultur, Kreativität und wirtschaftlichen Verwertungsinteressen ist uns dabei bewusst. Dem Senat ist es deshalb wichtig, mit allen Beteiligten den Dialog zu führen.“

Der angekündigte „Dialog mit allen Beteiligten“ ist eine Geisterdebatte, mit der Funktion, daß vorerst alles - entgegen vehementer Kritik und Proteste - so schlecht und aufreibend bleibt wie es ist: an den Hochschulen z.B. mit Stine-Kontrolle, hierarchischen, verschulten Studiengängen (BA/MA) und „nachgelagerten“ Studiengebühren. Apropos: An der Hochschule für bildende Künste werde weiterhin Gebühren boykottiert; der kreativenfreundliche Senat versucht das Geld mit dem Gerichtsvollzieher einzutreiben. Die ehemals staatlichen Museen sollen - teilprivatisiert und unterfinanziert - öffentliches Kulturgut verhökern oder Ausstellungen schließen.

„Talente“? Die Grünen versuchen der CDU zu organisieren, was sie selbst nicht kann: Mit „Geschenken“ und Bauchpinseleien sollen sie die Intelligenz dauerhaft an die herrschende Politik binden, die soziale Spaltung und kulturelle Ignoranz bedeutet. Der Versuch, der streng selektiven Kapitalismusaufhübschung wird allerdings von der sozialen Realität eingeholt. Das versprochene Wohlleben der „Talente“ bleibt eine Illusion. Wer anderen eine Grube gräbt ...

Wirklich menschengemäße Entwicklung und Entfaltung lassen sich nur in Opposition zur realpolitischen Einlullung durch Handelskammer und Senat verwirklichen. Dafür kommt es auf die Verallgemeinerung einer kritischen und solidarischen Praxis in den Lehrveranstaltungen, in den Fachschaftsräten, den akademischen Gremien, sozialer und Friedensbewegung und in den (potentiell) fortschrittlichen Parteien an. So kann den gesellschaftlichen Verwertungsanforderungen souverän Contra gegeben werden.

Ein linker AStA sollte dies befördern.

„Die Wahrheit einer Absicht ist die Tat.“
Georg Wilhelm Friedrich Hegel.

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V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Montag, den 5. April 2010, http://www.harte--zeiten.de/artikel_943.html