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Tatsächlich: Die Universität als Republik
Es ist die Zeit dafür
,,Der Fall hätte kaum weiter Beachtung gefunden, wenn das Pferd nicht jeden anderen Reiter geduldig an sich hätte herankommen und aufsitzen lassen, nur eben den Rittmeister Tresckow nicht. [...] Gottschalks Diagnose: Der Herr Rittmeister benutze ein stark riechendes Eau de Cologne, worauf das Pferd wahrscheinlich allergisch reagiere. Er habe einen ähnlichen Fall in seinem früheren Regiment erlebt, wo ein Pferd einen Major nicht
riechen mochte, der ein durchdringendes Rasierwasser benutzte.
Tresckow ließ das Pferd erschießen, wegen Truppenuntauglichkeit. Schade um das Pferd, sagte Gottschalk
später.“
Uwe Timm, Morenga, 1978.
Was ist der kalkulierten Willkür der Obrigkeit engegenzusetzen?
Das Abschütteln von Monarchie und wilhelminischer Militärdiktatur war 1918 gleichbedeutend mit der Beendigung des Ersten Weltkrieges. Ein Jahr später, vor 90 Jahren, wurde in Hamburg die Universität gegründet. Ihr Auftrag war, einen öffentlichen Beitrag zur humanistischen Aufklärung für eine soziale Demokratie zu leisten. Weil dies nicht in ausreichender Gegnerschaft zum überlieferten, elitären Bildungs- und Sozialdünkel geschah, war sie der anrollenden braunen Diktatur nicht gewachsen und diente alsbald bereitwillig dem zynischen System, das vor 70 Jahren in den grausamsten Vernichtungskrieg führte.
1945 war die Befreiung vom Faschismus durch die Anti-Hitler-Koalition. Sie mündete 1949, vor 60 Jahren, im Westen Deutschlands in der Gründung der Bundesrepublik mit dem Grundgesetz. Dessen Besonderheit ist, daß es die menschlichen Grundrechte an den Beginn stellt. Die Würde des Menschen hat absolute Priorität, zu den Grundpfeilern gehört die prinzipielle Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie die Freiheit von Kunst und Wissenschaft. Diese Freiheiten sind alles andere als beliebig ausgestaltet, sondern mit dem Sozialstaatsgebot, der Sozialpflichtigkeit des Eigentums, dem Verbot von Angriffskriegen und dem leider mittlerweile eingeschränkten Asylrecht ein wegweisender Auftrag zur aktiven menschenwürdigen Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Gleichheit, Freiheit und demokratische Verantwortung sollen eine produktive Einheit bilden - entgegen dem gepflegten Irrtum, es enthielte eine Festlegung auf die ,,Marktwirtschaft“. Das Grundgesetz ist also ein demokratischer Entwicklungsauftrag, von dem sich der gegenwärtige Zustand der Republik erheblich unterscheidet.
Mit seinen begründeten Geboten war es auch ein Grundstein dafür, daß in den 1960er und 1970er Jahren der humanistische Anspruch für Bildung und Wissenschaft durch den Kampf für Studiengebührenfreiheit und BAföG, weitreichender Hochschuldemokratie und einen kritischen Impetus in den Wissenschaften sozial fundiert und politisch verallgemeinert werden konnte. Vor 40 Jahren wurde deshalb das wegweisende Hamburger Universitätsgesetz von 1969, das alle Mitgliedergruppen der Universität (Studierende, Hochschullehrer und wissenschaftliches bzw. nichtwissenschaftliches Personal) gleich berechtigte, in der Bürgerschaft beschlossen.
Heute, nach neoliberalen Deformen (Gebühren, gestufte Abschlüsse, Fakultäten, Einschränkung von Beteiligungsstrukturen), hat sich die Universität von der Verwirklichung dieses Vorhabens erheblich entfernt. Dieser Zustand ist inakzeptabel.
,,Zusammen Recht und wirkliche Gerechtigkeit
Erfordern Mut, Verstand und immer wieder: Zeit.“
Die Verwirklichung gemeinsamer Interessen muß wieder mehr Thema gemeinsamen Engagements sein - gegen Leistungshetze und Studienrestriktionen.
Pferde mögen kein Eau de Cologne, Menschen keine Stiefel im Gesicht.
Die Universität als Republik.
Brief an das Präsidium und die Mitglieder des Akademischen Senats vom 11. Januar 2009