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Die kooperative Durchsetzung des Gewaltverzichts
„Der Einsatz der Bundeswehr prägt Deutschlands Bild in der Welt, und er dient unseren Interessen. Denn das politische und wirtschaftliche Gewicht unseres Landes hängt ganz wesentlich von der Absicherung des Friedens in Freiheit ab. [...] Dafür leisten Tag für Tag Soldatinnen und Soldaten, zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Dienst. Sie verdienen daher unseren Dank und unsere Anerkennung.“
Franz Josef Jung, Bundeskriegsminister, „Soldatisches Dienen anerkennen“, F.A.Z., 9. Oktober 2008.
Am deutschen Wesen solle die Welt genesen ist eine anmaßende militaristische Parole, die ihren Platz eigentlich nur mahnend in Geschichtsbüchern haben sollte. Das imperiale Ausgreifen des Deutschen Reiches - wilhelminisch-diktatorisch oder faschistisch - hat Europa Millionen und Abermillionen Tote und schwer zu ermessende Zerstörungen gebracht.
Seit der Befreiung vom Faschismus sollte deshalb von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen. Erst mit dem Zerfall der sozialistischen Staaten und der „Wiedervereinigung“ konnte diese Lehre wirksam relativiert und mittlerweile in ein Wiederaufleben militärisch geführter internationaler Interessenpolitik gewendet werden. Die „deutschen“ Interessen sind allerdings dieselben geblieben, nämlich die der Thyssens, Krupps, Siemens', Quandts und Bertelsmann- Mohns, die schon im 20. Jahrhundert die Weltpolitik gewaltsam und die deutsche Meinungsführerschaft ökonomisch und medial zu bestimmen versuchten.
Der Sieg der Anti-Hitlerkoalition führte zum - im Westen nie gänzlich realisierten - Potsdamer Abkommen, daß die Denazifizierung, Demilitarisierung, Demonopolisierung und Demokratisierung Deutschlands festlegte. Um die pazifizierende und egalisierende Wirkung dieser Lehren zu minimieren, bildete sich das westliche Verteidigungsbündnis NATO gegen das östliche, sozialistische Bündnis heraus. Die BRD wurde wiederbewaffnet und trat der NATO bei, mit der sie jetzt unter Führerschaft der USA in Afghanistan Krieg führt. Gegen diesen vermeidbaren Revanchismus waren aber seit 1945 vielfältige Bestrebungen gerichtet: Die UNO gründete sich auf Basis der Menschenrechtserklärung und der Überzeugung, daß (nach 60 Millionen Toten und der Entwicklung der Atombombe) hinkünftig Konflikte nur noch unter Verzicht auf Gewalt ausgetragen werden müßten. In der BRD erreichte die Friedensbewegung der 1950er und 1960er Jahre sowie die studentische Revolte gegen die CDU-geführte Restauration rund um 1968, daß der Weg für die „Ost-Verträge“ geebnet wurde. Mit diesen griff das sozial-liberale Bündnis von Willy Brandt und Walter Scheel Initiativen der UdSSR und der DDR auf. Sie beinhaltete eine Vereinbarung der westlichen Anerkennung der Kriegsergebnisse (Oder- Neiße-Grenze, Lage und Souveränität Polens, Existenz der DDR), gegenseitige Unverletzlichkeit und die Verpflichtung auf die UN-Charta als Leitlinie gewaltfreien Wettstreits der Systeme (friedliche Koexistenz).
Der Gehalt dieser Verträge war öffentlich besonders symbolisiert durch Willy Brandts Kniefall vor einem Mahnmal gegen Krieg und Faschismus am Ort des Warschauer Ghettos. Diese Geste verdeutlichte bewegend die Anerkenntnis der Kriegsschuld, das Nie Wieder und die Verantwortung für eine hinkünftig international friedliche und produktive Entwicklung. Die Politiker von CDU und CSU konnten sich den Schaum nicht vom Munde wischen. In deren Tradition steht Franz Josef Jung, wenn er sich heute für die Wiedereinführung militärischer Orden, insbesondere des Eisernen Kreuzes ausspricht, eines Ordens, der tausendfach in beiden Weltkriegen an Massenmörder und Kriegsverbrecher vergeben wurde. Ihm muß dringend das Handwerk gelegt werden.
Erfreulich ist dagegen die Initiative des Russischen Präsidenten Medwedew. Er hat auf einer internationalen Konferenz die grundlegenden Prinzipien eines Sicherheitsvertrages vorgestellt. Dazu gehörten alle Prinzipien der UNO-Charta sowie die „Achtung der Souveränität der Staaten und ihrer territorialen und politischen Integrität“. Keine Organisation und kein Staat, auch nicht Rußland, dürften exklusive Rechte für die Aufrechterhaltung der Stabilität in Europa haben. Außerdem müßten der Einsatz oder die Androhung von Gewalt verboten werden. Medwedew greift damit die gute Geschichte der Entspannungspolitik auf und wendet sie gegen die aggressive Ausdehnung des westlichen Macht-Bündnisses.
In dieser Lage und in eingedenk der deutschen Geschichte ist es also dringender denn je geboten, dafür zu kämpfen, die deutsche Kriegsbeteiligung einzustellen, aus der NATO auszutreten, abzurüsten, die internationale Verständigung zu fördern und diese Politik erneut international zur Geltung zu bringen. Die Wissenschaften können hier einen erklecklichen aufklärenden Beitrag leisten. Die Wahrnehmung studentischer Interessen läßt diese Ansprüche neu aufleben.
Die anderen Teile des Semesteranfangszeitung:
I. Es ist genug.
III. Ein (selbst-)kritisches „Wir“ statt „Verwerte Dich selbst“!
IV. Wir über uns: Lernen: Veränderungswillen für eine humane Gesellschaft