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Koch wärmt giftige Brühe auf

Oder: Ist der Mensch besserungsfähig?

„Wir haben zu viele kriminelle junge Ausländer. [...] Gefängnis muss man spüren, wenn es Wirkung haben soll.“
Der wahlkämpfende hessische Ministerpräsident R. Koch gegenüber „Bild“, 28.12.2007.

GAUS: „[...] ob Sie daran glauben, daß Menschen durch Erziehung, Bildung und Bewußtseinsbildung, instand gesetzt werden können, atavistische Vorstellungen wie Rache und Vergeltung zu überwinden? Ist der Mensch besserungsfähig, nach Ihrer Meinung?“
HEINEMANN: „[...] Es kann nicht angehen, daß man denjenigen, der aus der Rechtsordnung herausgefallen ist, in eine möglichst schikanöse Freiheitsentziehung strafhaft hineinversetzt und schmoren läßt Jahr und Tag. Es geht darum, gerade ihm nach bester Möglichkeit aufzuhelfen zu besseren Einsichten, zu einer stärkeren Willenskraft. Wir nennen das Resozialisierung. Das ist ein Gebot dieses unseres Sozialstaats.“
Bundesjustizminister Gustav Heinemann (SPD) kurz vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten im Fernsehinterview „Zur Person“ mit Günter Gaus, 3. November 1968.

Ist Zucht und Ordnung oder sozial fundierte Humanität dem Menschen angemessen und möglich? Diese Kontroverse über das Menschen- und Gesellschaftsbild begleitet die Entwicklung der Bundesrepublik seit ihrer Gründung. Mit dem Grundgesetz (z.B. Artikel 1. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“) sollte man meinen, sei die Richtung vernunftgeleiteter, materiell fundierter Mitmenschlichkeit vorgegeben. Jedoch: Nach einer kurzen Periode der sozial-liberalen Entspannung in den 1960er und 70er Jahren (zu der die studentische Bewegung entscheidende Anstöße gab), wird „von Oben“ eigentlich überall Restauration betrieben.

Diese bezieht sich im wesentlichen auf die Verteidigung der sozialen Unordnung, in der die relative Armut und eingeschränkte Partizipation der Mehrheit die Basis für den Reichtum und die gesellschaftliche Macht einer ökonomischen Elite ist. Für diese machen traditionsgemäß die Frontmänner und -frauen der Unionsparteien Politik. Koch, Kauder und Beckstein haben dabei keine Hemmungen, den Bodensatz fremdenfeindlicher Ressentiments aufzurühren; die spezialdemokratischen Granden knien davor, wenn sie sich zwar zu Recht gegen die Ausländerhetze wenden, aber zugleich selbstgeißelnd darauf pochen, die vorgesehenen (Jugend-)Strafen seien schon hart genug. Denn mit dem Stichwort "Sicherheit" ist auch in der BRD von der Wiederaufrüstung über die fremdenfeindliche Relativierung des Asylrechts im Grundgesetz bis hin zur heutigen Terrordebatte viel gezündelt worden. Die Funktion ist, angesichts gestärkter gesellschaftskritischer Auffassungen und Organisationen, demagogisch von den sozialen Mißständen, ihren kulturellen Folgen sowie ihren gesellschaftlichen Ursachen und Verursachern abzulenken.

So kommt es, daß einerseits gierige Emporkömmlinge und Schwarze-Kofferträger von Ackermann bis Koch weitgehend unbehelligt ihre diebischen Machenschaften gegen die Bevölkerung verfolgen können und das Brutalität in Form völkerrechtswidriger Kriege wieder eine staatlich sanktionierte und verübte Gewalt worden ist. Andererseits wird die Übernahme dieser falschen, kulturbildenden Praxis von Teilen der Bevölkerung mit atavistischen Mitteln der Rache und sogenannten Abschreckung stattlich verfolgt, Auf daß der brave Bürger nicht um sein Eigentum fürchten muß. In dieser Relation gewinnt man einen realistischen Eindruck davon, was gemeint ist, wenn in Weihnachts- und Neujahrsansprachen Köhler und Merkel von mehr „Gerechtigkeit“ salbadern.

Ein entwicklungsorientiertes Zusammenleben aller entsteht dagegen einzig durch die solidarische Überwindung sozialer Bedrängnis und des Krieges. In diesem Zusammenhang ist auch die Durchsetzung einer aufgeklärten Alternative zum strafenden Recht vonnöten. (Vernünftige Ansätze dafür waren von den 1970er Jahren bis in die 1990er im juristischen Reformstudiengang an der Uni Hamburg, der kritische sozial- und geisteswissenschaftliche Ansätze integrierte, bereits realisiert. Sie sind wieder aufzugreifen.) Belohnung und Bestrafung (Neusprech: Anreize) entsprechen einem rechten Menschenbild, das mit der Rede von der natürlichen Schlechtigkeit des - insbesondere nichtdeutschen - Menschen eine verbrecherische Gesellschaftsordnung legitimieren und verewigen soll.

Der Obrigkeit nicht zu trauen, muß das kritische Vertrauen in die Mitmenschen einschließen: Für die gemeinsame Menschlichmachung der Bedingungen ohne jedes Zugeständnis an den Zynismus der Herrschenden.

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V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Dienstag, den 1. Januar 2008, http://www.harte--zeiten.de/artikel_683.html