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Freiheit ohne Erkenntnis?
„Das vom Sessel herunterrutschende Geldstück und das abstürzende Flugzeug suchen die Erde - geliebte Schwerkraft!
ein Mann sucht seinen Hund und der ihn;
meine Mama sucht ihren Schlüsselkorb;
Familien suchen eine Wohnung;
ein Verzweifelter sucht einen Grund, weshalb er auf der Welt ist.
Von oben gesehen, sieht das ungefähr so aus:
Niemand hat das, was er eigentlich braucht.
Alle Welt sucht.“
Kurt Tucholsky, "Alle Welt sucht", 1925.
„Sie wollen eine bedeutende Führungsperson werden?“ So läßt die FAZ fragen (in der Beilage "Beruf und Chance" vom 24./25. November 2007, S. C1).
Nein wollen wir nicht. Weder führen noch geführt werden, sondern eher schon in produktiver Zusammenarbeit Vernünftiges erdenken und allgemein Nützliches schaffen. Angesichts der beschleunigten privaten Ökonomie mit ihrer strikten Leistungs- und Verwertungshierarchie ist dies allerdings nicht ohne erhebliche solidarische Opposition zum Gang und Gäbe hervorzubringen.
Dieses Problem - Wie ist menschliche Entfaltung gegen die strikte Konkurrenz und Selektion der neoliberalen Kommandowirtschaft zu erreichen? Wie überwinden wir den künstlich geschaffenen Mangel an materiellen Gütern, sozialer Vernunft und heiterer Kultur? Welche Wirtschaftsform ist demokratisch und allgemein bedarfsdeckend? - wäre ein perspektivreicher Gegenstand kritischer wissenschaftlicher Arbeit.
Statt dessen: Was ist wichtig auf der Kampfbahn der Konkurrenzgesellschaft? „Auf keinen Fall darf ein Vorgesetzter zu sensibel oder zu schnell gekränkt sein.“ „Soziale Beziehungen können andere schwächer ausgeprägte Fähigkeiten zu einem großen Teil kompensieren.“ (Prof. Heinz Schuler, Universität Hohenheim). „Laut Michael Hartmann, Professor für Soziologie an der TU Darmstadt, stammen 85 Prozent der deutschen Spitzenmanager aus den oberen 3,5 Prozent der Gesellschaft.“ Das sei unveränderlich: „»Man kann vielleicht lernen, was man darf und was man nicht darf. Aber wo und wie man durch gezielte Grenzüberschreitungen Pluspunkte sammelt, kann man sich nicht aneignen«, so Hartmann.“ Und: „Erschwerend kommt hinzu, dass vieles bereits genetisch festgelegt ist.“ Das befindet wiederum ein Professor, dieses Mal für „medizinische Psychologie“ an der Uni Tübingen, Niels Birbaumer. Doch: „Hoffnung gibt es immer.“ (Alle Zitate aus oben genanntem Artikel der FAZ.)
Was hier als Wissenschaft firmiert ist eine ziemlich primitive ideologische Chose:
Die gesellschaftliche Hackordnung sei biologisch vorbestimmt, die Konkurrenz sei ewig, alle wollten aufsteigen, der einzig benennbare übergreifende Zweck des Arbeitens sei der Unternehmensgewinn, Gehorsam sei ein Muß und er läßt sich nicht nur durch Befehle, sondern auch durch „soft skills“ erzeugen; am besten ist, die so Eingeordneten merken es nicht („corporate identity“).
So geartete Wissenschaftler sind brave Diener ihrer geschäftstüchtigen Auftraggeber.
Zweifel sind außerordentlich angebracht.
Alle brauchen menschenwürdige Bedingungen. Ihre Verwirklichung erfordert einen gewissen Ungehorsam. Darin liegt auch der Wissenschaften guter Sinn.
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