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Immer:
Nachdenklich handeln. Aufatmen durch die Frage: Warum?
1) Ziellose Fluchtneigung
"Der Fliegende Robert
Eskapismus ruft ihr mir zu,
vorwurfsvoll.
Was denn sonst, antworte ich,
bei diesem Sauwetter!—,
spanne den Regenschirm auf
und erhebe mich in die Lüfte.
Von euch aus gesehen,
werde ich immer kleiner und kleiner,
bis ich verschwunden bin.
Ich hinterlasse nichts weiter
als eine Legende,
mit der ihr Neidhammel,
wenn es draußen stürmt,
euern Kindern in den Ohren liegt,
damit sie euch nicht davonfliegen."
Hans Magnus Enzensberger, "Die Furie des Verschwindens", Gedichte, 1980.
Antiautoritär betrachtet, ist die Nach- und Neudichtung des "Fliegenden Robert" ein Gewinn. Das Nichtachten kleiner Gefahren und großer mahnender Worte erhebt - insonderheit bei schlechtem Wetter - in die Lüfte.
Das Ziel der "Freiheit" ist ungewiß. Robert fliegt und fliegt. Wann hört das "Sauwetter" auf? Fragt den Regenmann.
2) Händewaschzwang!
"Wer weiß, ob man mitten im Symphoniekonzert nicht doch plötzlich auf die Toilette muß, oder ob man das Schloß beim Nachprüfen nicht irrtümlich aufgeschlossen hat? Der Vernünftige vermeidet daher scharfe Messer, öffnet Türen mit dem Ellenbogen, geht nicht ins Konzert und überzeugt sich fünfmal, daß die Tür wirklich abgesperrt ist. Voraussetzung ist allerdings, daß man das Problem nicht langsam aus den Augen verliert."
Paul Watzlawick, "Anleitung zum Unglücklichsein", 1983.
Autoritär betrachtet, ist Sicherheit als solche die höchste Kategorie. Man bewegt sich kerzengerade innerhalb der Gesetze. Für Wohlbefinden sorgt die Polizei. Sorgen sterben einstweilen mit Likör. Alles und alle sind eine Bedrohung. Wer keine Ordnung hat oder in ihr nicht oben steht oder nicht jemanden unter sich hat oder keine drei Zahnpastasorten (abends, morgens und einmal die Woche), geht gnadenlos unter. Sympathie ist ein Grauen.
3) Schicksal?
"Eine Partei, die neben dem Glauben an die Gesetze auch den Adel verwerfen würde, hätte sofort das ganze Volk hinter sich, aber eine solche Partei kann nicht entstehen, weil den Adel niemand zu verwerfen mag."
Franz Kafka, "Zur Frage der Gesetze", 1920.
Die Inszenierung des Realismus dient als Kulisse für die selbst verschuldete Hoffnungslosigkeit. Kafkas Paradoxien sind die Beweisführung für die Verneinung der suggerierten Gnadenlosigkeit.
Die Zwangsläufigkeit der Entfremdung ist zu knacken. Verhaftungen am Morgen finden nicht automatisch statt.
4) Zum Menschen
"Die industrielle Revolution brachte die Aufgabe mit sich, die Menschlichkeit im Lichte der unmenschlichen Maschinen zu bewahren."
Sir Peter Ustinov, "Ein Wiedersehen mit Kaiser Nero", 1999.
Die menschlich geschaffenen Reichtümer erfordern vernünftige Handhabung und Verteilung.
Ohne Licht laufen die Maschinen im Dunklen (Zwerge). Elend ist keine Naturkatastrophe. Sich dagegen zu wenden, hat eine klare rationale Tendenz, die auch andere ergreifen kann. Wer beginnt?
5) Zur Politik
"Die Zeiten sind längst vorbei, wo man das Menschliche in verschiedene Sphären eingeteilt sehen konnte, von denen die eine die politische war: eine Sonder-Sphäre, um die man sich nicht zu kümmern brauchte. Die Frage des Menschen, das Problem der Humanität steht längst schon als unteilbares Ganzes vor unseren Augen und ist als Ganzes dem geistigen Gewissen auferlegt."
Thomas Mann, Ansprache zu Heinrich Manns siebzigsten Geburtstag, 2. Mai 1941 (auf einer nachgeholten Feier).
Politik ist kein "schmutziges Geschäft", wenn sie frei ist von kleinlicher Vorteilsnahme (im Dienste der Herrschaft) und frei ist für (im Sinne der Emanzipation) Frieden, allgemeine Partizipation, soziale Sicherheit, kulturelle Entfaltung, die Verbreitung von Aufklärung, Freude und produktiven Streit.
Golnar Sepehrnia, Olaf Walther,
Hamburg, den 10. August 2006