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Staatsräson? Genug davon!

FR: Herr de Maizière, was versteht ein Verteidigungsminister als Pflicht?
de Maizière: [...] Ich finde, wir sollten uns nicht schämen, dass wir Pflichten haben. Pflichten dürfen auch Freude machen. Manchmal muss man sich allerdings auch zusammenreißen oder hinten anstellen.“

Thomas de Maizière im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau, 21.12.2011.


„Der Mensch ist ein Wirbeltier und hat eine unsterbliche Seele, sowie auch ein Vaterland, damit er nicht zu übermütig wird.“

Aus: Kurt Tucholsky als Kaspar Hauser, „Der Mensch“, Weltbühne, 16.06.1931.

Wenn ein Kriegsminister über Pflicht als Freude philosophiert, wirkt das preußisch bedrohlich. Unlängst äußerte derselbe, Menschenleben zu opfern sei für die Sicherung von Deutschlands „wirtschaftlicher Stellung“ als „Exportnation“ durchaus ein sinnvoller Beitrag. Fröhlicher Heldentod oder schlichter Gehorsam im Dienst am Volk - Pflicht ist Pflicht.

Geht man diesem philosophischen Feingeist auf den Grund, ist da nicht viel: „Krise? Welche Krise? Die Koalition ist nicht in der Krise, sondern in einer Schwächephase. Zugleich ist diese Regierung die stärkste Regierung in Europa. Die Lage Deutschlands hat sich nach innen wie außen in diesem Jahr verbessert.“ (ebd.)

Wo und in welcher Zeit leben solche Leute eigentlich? Nation und Staat für gewinnbringende Geschäfte - von solcher Obrigkeit könnte die Republik - nach 1945 und durch 1968 - eigentlich längst befreit sein. „Achtundsechzig“, der studentische Aufbruch, galt der Beseitigung von Militarismus, Imperialismus, Nazismus, Notstandsgesetzen und Wirtschaftsdiktaten. Das Engagement richtete sich auf echten Frieden statt Kalten Krieg, war internationale Solidarität für Iran und Vietnam, verlangte kritische Bildung in reformierten Schulen und Hochschulen, zielte auf Gleichberechtigung aller Menschen und auf die demokratische Kontrolle der Ökonomie sowie auf produktive Muße anstelle besinnungsloser Freizeit. Diese Bewegung war egalitär, demokratisch, ungezügelt, unordentlich und den Deutschen vielfach fremd. Und sie war Anstoß weitreichender Gesellschaftsveränderungen, die bis heute wirken: einer Blüte politischer Kultur, der Künste, der sozialen und Friedensbewegung, der Abschaffung der Prügelstrafe, der Durchsetzung (teil-)demokratischer Mitbestimmung in Bildungseinrichtungen und Betrieben, der Überwindung staatlich sexistischer Diskriminierung ...

Aber für eine grundstürzende Abwendung vom Ancien Régime der Profitgesellschaft samt ihrer modrigen Hierarchien und Werte hatte es leider noch nicht ganz gereicht.

Jetzt hat aber die dann seit Ende der 1970er folgende „neoliberale“ Restauration ein Ende. Nun, nach dem gründlichen globalen Scheitern der Konkurrenz- und Leistungsideologie, können und sollten aus diesen historischen Erfahrungen für eine Erneuerung solidarischer studentischer Politik erhebliche Anregungen gewonnen werden.

Zuförderst: Es ist nie ratsam, sich und andere hintanzustellen. Pflichterfüllung für die Deutschland AG hat nicht nur in Afghanistan, sondern auch an der Universität im stringenten gemeinsamen Engagement zur Verallgemeinerung einer kritischen, demokratischen und lebensbejahenden Praxis eine wohltuende Alternative.

Wohlan!

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Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Montag, den 9. Januar 2012, http://www.harte--zeiten.de/artikel_1092.html