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Für Reformen kämpfen
„Es gibt keinen Spielraum für Wohltaten. Und die Bürger haben einen Anspruch darauf, die Wahrheit zu erfahren.“
Jann Meyer-Abich, Präsident des Landesrechnungshofes, Hamburger Abendblatt, 10.12.2010.
Ist es eine Wohltat, eine Kita oder eine Universität gebührenfrei zu besuchen? Oder zu wohnen? Oder ins Theater zu gehen?
In welchem Jahrhundert?
Weil die Staatsverschuldung so hoch ist und zudem eine profitfreundliche Große Koalition in Berlin den Ländern ab 2020 verordnet hat, keine Schulden mehr machen zu dürfen, müsse nun dogmatisch jede Landesregierung „sparen“.
Das ist, gelinde gesagt, ideologisch verbohrt.
Tatsache ist, daß das Staatsdefizit im wesentlichen seine vermeidbare Ursache in Steuergeschenken an die Gewinngrößten und Reichsten der Gesellschaft hat. Diese Geschenke, nicht „Wahlgeschenke“, wurden in den letzten etwa 10 Jahren reichlich verteilt: Unter Gerhard Schröder und Joseph („Joschka“) Fischer wurde der Spitzensteuersatz von 53 Prozent auf 42 Prozent gesenkt - andererseits wurden die Unternehmen erheblich entlastet, z.B. wurde die Körperschaftssteuer auf 25 Prozent gesenkt. Und die sogenannte „Steuerfreistellung“ von Veräußerungsgewinnen beim Aktienhandel hat den Staat seit 2000 jährlich knapp 30 Mrd. Euro entzogen. Die Große Koalition hat weitere Senkungen der Unternehmenssteuern vorgenommen, wodurch es seit 2006 jährlich Mindereinnahmen von etwa 20 Mrd. Euro gibt. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat inzwischen weitere Steuersenkungen im „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ verankert und trifft Neuregelungen bei der Erbschafts- und Unternehmensbesteuerung: Einnahmeeinbußen von etwa 8,5 Mrd. Euro jährlich. In die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen reißt das tiefe Löcher.
Das ist in ganz großem Maßstab ein Umverteilungsprogramm von Unten nach Oben, denn die Zinsen für die Staatsschulden werden vermehrt durch Lohnsteuern oder sogenannte Massensteuern (z.B. Mehrwertsteuer, Tabaksteuer, Mineralölsteuer) von den Erwerbsabhängigen aufgebracht und fließen direkt in die Kriegskassen der weltweit mit Rüstungsund Spekulationsgeschäften vagabundierenden Konzerne und Banken.
Diese brachiale Raubpolitik umzukehren ist also nicht nur eine soziale, sondern eine kultur- und friedensschaffende Aufgabe. Politische Fehlentscheidungen sind - mit erheblichem außerparlamentarischen und parlamentarischen Druck - auch politisch umkehrbar.
Um dem oft „Pragmatismus“ genannten geistigen Tiefstand der Politik unter der Fuchtel der großen Unternehmen zu beseitigen, lohnt es daher, nachdrücklich an einfache Tatsachen zu erinnern, z.B.: Deutsche Wirtschaftsmacht ist nicht das „allgemeine Wohl“, die Handelskammer ist nicht dasselbe wie eine Gewerkschaft, Studiengebühren sind keine soziale Gerechtigkeit, Bildung ist keine Gnade, individuelle Leistung keine solidarische Entfaltung und die Bundeswehr keine Garantin für den Frieden.
Nicht die Allgemeinheit ist dem privaten Eigentum zur Dienstbarkeit verpflichtet, sondern:
„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen.“
Art. 14 Abs. Grundgesetz
Voranschreiten erfordert vor allem Eines: aufrechten Gang.