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Hochschulreform für eine demokratische Gesellschaft

Konservative und Neoliberale haben den Begriff "Hochschulreform" für sich entdeckt. Während jedoch die einen mit Schwung ins letzte Jahrhundert wollen und die anderen glauben, der Markt werde es schon richten, halten wir eine wahrhaft fortschrittliche und demokratische Hochschulreform für unverzichtbar.

Von konservativer Seite wird immer wieder versucht, Gesellschaft und Hochschule als Antipode erscheinen zu lassen, und dadurch die Entwicklung der Hochschule von der Entwicklung der Gesellschaft abzukoppeln. Gesellschaftliche Auseinandersetzungen finden auch an den Hochschulen auf vielfältige Weise statt - die Trennung von Hochschule und Gesellschaft ist einen künstliche und geht an der Realität vorbei. Auch hier gibt es soziale, geschlechterspezifische und rassistische Diskriminierung, auch hier trägt man zur ökologischen Katastrophe bei.

Darüber hinaus kommt aber dem Bildungssektor und dabei ganz speziell auch den Hochschulen eine besondere Bedeutung bei der Aufhebung dieser gesellschaftlichen Widersprüche zu. Denn zum einen können entwickelte soziale und demokratische Kompetenzen den Grundstein legen für zukünftige gesellschaftliche Entwicklungen, zum anderen ist es gerade Aufgabe der Wissenschaft Lösungen für diese globalen Probleme zu erarbeiten, indem sie die Wissensbasis schafft, auf der Gesellschaft, Politik, wirtschaftliche und technische Entwicklung aufbauen.

Hochschule und Gesellschaft stehen durch diese Verbindung als sich ergänzende Quellen. Eine Gesellschaft. die überleben will, braucht einen funktionierenden Bildungssektor und braucht Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung. Die Ausgestaltung des Hochschul- und Bildungsbereichs ist nur auf der Grundlage eines angestrebten Gesellschaftskonzepts möglich. So wundert es nicht, daß neoliberale EntscheidungsträgerInnen, die in den Mechanismen des Marktes den Motor gesellschaftlichen Fortschritts sehen und Konkurrenz und Eigenverantwortung für die individuelle Lebenslage für richtig und notwendig halten, die oben beschriebenen "Reformen" durchführen (wollen).

Für uns heißt das, ausgehend von einem auf Egalität, Gleichberechtigung, sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Verantwortung ruhenden Gesellschaftsbild, eine Hochschulreform anzustreben, die sich an den Aufgaben und der Verantwortung von Bildung und Wissenschaft für eine eben solche Gesellschaft orientiert. Wissenschaft zur Lösung der gesellschaftlichen sozialen, ökologischen und ökonomischen Probleme und Bildung als Mittel, um die Kritikfähigkeit jeder/jedes Einzelnen zu stärken und somit die Demokratisierung der Gesellschaft voranzutreiben, könnten die Grundlagen einer solchen Bildungspolitik sein.

Daher braucht eine demokratische Gesellschaft nicht weniger, sondern mehr hochqualifiziert ausgebildete Menschen. Das Bestehende Bildungssystem, wie auch das konservative Bildungsideal jedoch stellen dem eine hierachisiertes und selektives Bildungssystem entgegen, in dem Bildungschancen direkt oder indirekt, d.h. durch Zugangsbegrenzungen oder durch soziale, geschlechtliche oder regionale Ausgrenzung, ungleich verteilt werden. Dies steht im Einklang mit einer Politik, die soziale Deregulierung und Privatisierung der sozialen Risiken als Grundpfeiler hat. Hochschule hat jedoch in den letzten Jahren eine immer höhere Nachfrage verzeichnet, einerseits, weil Zukunftschancen durch Bildungsgrad unterschiedlich verteilt sind, andererseits da im Bereich der beruflichen Ausbildung der Nachfrage nicht mehr ein entsprechendes Angebot entgegegensetzt wird. Weiterhin gibt es gesellschaftlich Bedarf an hochqualifiziert ausgebildeten Arbeitskräften. Statt einer künstlichen Kanalisierung ist eine weitere Öffnung von Nöten.

Wir fordern daher:

1. Maßnahmen zur Integration und Gleichstellung der unterschiedlichen Bildungswege. Als erstes ist in diesem Bereich ein deutlicher Ausbau der Zugangsmöglichkeiten für Beruftätige zur wissenschaftlichen Bildung zu verwirklichen. Der Abschluß einer Ausbildung mit anschließender Berufserfahrung ist daher als Äquivalent zur Hochschulreife anzuerkennen. Darüberhinaus bedarf es keiner weiteren Nachweise, sie wird auch von AbiturientInnen nicht verlangt. Erfahrungen aus Berufstätigkeit oder ehrenamtlicher Arbeit sind als fachgebundene Äquivalente positiv anzuerkennen und zur Äquivalentskostruktion zuzulassen.

2. Zulassungstests sind abzuschaffen, sie dienen lediglich der Selektion und ihre undurchsichtigen Kriterien widersprechen einem demokratischen Bildungssystem mit transparenten Zugangsvorraussetzungen. Die Behauptung, sie dienten dazu die speziellen Fähigkeiten, die zum Bestehen des Studiums gebraucht werden zu überprüfen, werden spätestens durch die AbbrecherInnenquoten in den medizinischen Fakultäten widerlegt. Entsprechendes gilt für studienbegleitende Selektionsmechanismen, wie Zwischenprüfungen, Vordiplome oder andere Prüfungen, die bestanden werden müssen, um einen weiteren Studienabschnitt zu erreichen. Vielmehr sind die Studieneingangsphasen so zu gestalten, daß sie bereits einen Einblick in die wissenschaftlichen Verfahren der Disziplinen zulassen und somit eine geeignete Beratung zur Wahl sattfindet. Damit einhergehen muß eine ausführliche Betreuung während des Studiums, um die eigenen Defizite selbst zu erkennen und mit entsprechender Studiumsgestaltung auszubessern.

3. Auch gestufte Abschlüsse bzw. eine Trennung des Studiums in "berufsqualifizierend" und "wissenschaftlich" tragen zur weiteren Selektion bei. Daher muß ein einheitlicher Abschluß das Ende der "Ausbildung zur wissenschaftlichen Arbeit" verdeutlichen, was jedoch nicht den Lernprozeß beenden darf.

4. Finanzielle Selektionen dürfen im demokratischen Hochschulsystem keinen Platz haben. Weder Einschreib-, Studien-, Rückmelde- oder Prüfungsgebühren dienen dem Studienfortschritt, sondern lediglich dem Aussieben. Auch die Verwildauer in einer Bildungseinrichtung darf nicht Anlaß für finazielle Sanktionen sein. Vielmehr ist eine freie, individuelle Entscheidung für den eigenen Bildungsweg zu fördern und mit entsprechenden Kapazitäten zu ermöglichen.

5. Auch soziale Nummerus Clausi müssen mit entsprechenden Ausbildungsfinanzierungsmodellen, bzw. Grundsicherungen abgeschafft werden. Eine zukunftsfähige Gesellschaft darf Zukunftschancen nicht verderben.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: juso-hochschulgruppe & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Donnerstag, den 14. Januar 1999, http://www.harte--zeiten.de/artikel_165.html