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Hart arbeiten - Wem nützt's?

„Es geht um die, die hart arbeiten, die Steuern und Sozialabgaben zahlen, die sich kümmern, die aufsteigen wollen, die Kinder haben, die ihre Eltern pflegen und die wissen wollen, dass sie gut aufgehoben sind. Wenn sie merken, das sind sie bei uns, dann verstehen sie auch, wenn wir sagen: Leute, es geht nicht nur um Euch. Es geht auch um die, die gar nicht mehr arbeiten können. Es geht um die, die nicht mithalten können. Die müssen in Deutschland auch menschenwürdig leben können. Das müssen die anderen akzeptieren. Das tun sie auch, wenn sie merken, dass wir uns auch um ihr Leben kümmern. Also, darum geht es in den nächsten Jahren.“
Sigmar Gabriel, SPD-Parteivorsitzender, Parteitagsrede: „Besser regieren für ein faires Deutschland“, 26.09.2010.

„Für 2011 peilt Ackermann unverändert ein Vorsteuerergebnis von zehn Milliarden Euro an. .... Für die Deutsche Bank sei es nicht vorrangig, den dicksten Kapitalpuffer zu haben, sondern weiterhin gut zu verdienen, sagte er.“
„Starker September-Handel stimmt Ackermann zuversichtlicher“, 30.09.2010, Boulevard Baden.

Ist gerecht, daß die Aktienkurse springen und jeder, der „hart arbeitet“ ein Recht auf Ödylle hat? Zwischen „menschenwürdig leben“ und „gut aufgehoben“ sein bestehen gewisse Unterschiede. Die SPD-„Führung“ hat aber mit der Agendapolitik die Ausbeutbarkeit der Erwerbsarbeit zum Maß der Würde des Menschen erhoben. Sie fällt damit selbst hinter die Aufklärung zurück: „Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst“, hieß es schon 1786 bei Immanuel Kant. Die aus der Deregulierung von Arbeit und Profiten resultierende Erniedrigung der Erwerbsabhängigen wird darum durch eine „neue“ Anerkennung der so beförderten spießigen Lebensführung nicht aus der Welt geschafft.

„Harte Arbeit“ ist keine Zwangsläufigkeit. Wir leben in der entwickeltsten Industriegesellschaft. Mangel, Arbeitsintensivierung, Überstunden sind bei der enormen Produktivität der wissenschaftlich-technisch gestützten Produktion und der Arbeit am Menschen nicht nötig. Die „Härte“ besteht deshalb in anachronistischer Schinderei menschlicher Arbeitskraft für endlose Gewinnmaximierung und in der Entfremdung der Erwerbstätigen von ihrem gesellschaftlichen Interesse unter der Verwertungsdominanz. In diesem Sinne ist jede „Anstrengung“ für eine bessere Welt auch etwas kategorial verschiedenes von „harter Arbeit“ für Konzerne und Banken. Die Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung, die Humanisierung der Arbeit sowie höhere Löhne bei kürzeren Arbeitszeiten sind naheliegende Schritte hin auf die Selbstbefreiung der Arbeitenden aus der Lohnabhängigkeit und der Unmündigkeit profitorientierter Produktion.

Unerquicklich ist es dagegen, für die Bereicherung der Superreichen - z.B. durch Bankenrettung - „Steuern und Sozialabgaben [zu] zahlen“. Echte Umverteilung von „Oben“ nach „Unten“ ermöglicht erst die Durchsetzung gesellschaftlich sinnvoller Einrichtungen wie entgeltfreier, pädagogisch vernünftiger Kitas und Ganztagsgesamtschulen sowie einer sozial integrierenden, menschenwürdigen Gesundheitsversorgung in öffentlicher Hand. Solange die fehlen, halten notgedrungen „Kinder haben“ und „Eltern pflegen“ viele privat auf Trab. Es ist eine populistische Anbiederung sozialdemokratischer Funktionäre zu behaupten, das Glück der Arbeitenden läge im Privaten, als Berufspolitiker handhaben sie es selbst schon anders.

Das Problem dieser Gesellschaft ist der zunehmende, krasse Gegensatz von „Oben“ und „Unten“. Diese Verhältnisse werden aber akzeptiert, wenn man der Bevölkerung verspricht, sie könne ihre Lage durch Aufstieg verbessern, wenn sie sich nur ordentlich anstrengt und geschmeidig macht. Die Huldigung von Konkurrenztauglichkeit und die Forderung nach Caritas sind die fortgesetzte Verneinung einer wirklich humanistischen Perspektive: Des solidarischen Kampfes gegen die Ursachen der Konkurrenz (siehe die zehn Mrd. Euro oben). Da Aufstieg für alle eine Illusion ist, muß es um soziale Gleichheit und echte Demokratie gehen. Die Drückebergerei vor dieser Auseinandersetzung hat Schwarz-Gelb erst möglich gemacht.

Gegen die marktradikale schwarz-gelbe Realpolitik für Profite wachsen die Proteste der Friedens-, Studierenden- und Anti-AKW-Bewegung sowie der Gewerkschaften. Schwarz-Gelb und Schwarz-Grün können frühzeitig beendet werden. Doch wie soll es danach weitergehen? Den „Kapitalismus fair, sozial und gerecht gestalten“ zu wollen, wird nicht reichen. Parteilichkeit erfordert orientierendes Engagement in der sozialen Bewegung und dauerhafte, verbindliche und solidarische Entwicklung dieser Kämpfe, der Analyse, der Personen und der Organisation, auch Unversöhnlichkeit mit der Profitheckerei. In dem Bedürfnis nach Frieden, Wohnen, Gesundheit, sinnvoller Arbeit, Bildung und Kultur und demokratischer Partizipation sind alle Menschen gleich. Die Lebensbedingungen müssen entsprechend verändert werden. Das beginnt, indem man sich dafür solidarisch organisiert. Substantielle Freude entsteht durch bewußte Kooperation für die Entfaltung humaner Ansprüche in Geist und Tat.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Sonntag, den 10. Oktober 2010, http://www.harte--zeiten.de/artikel_984.html