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Wer entscheidet, was studiert werden darf?

Durch Akkreditierung erhält die Wirtschaft entscheidende Mitsprache

Geht es nach dem Willen von Kultusministern und Hochschulrektoren, dann sollen künftig Privatunternehmen Gütesiegel an Studiengänge verleihen. 'Akkreditierung' nennt sich das neue Verfahren, und es kommt zunächst so unspektakulär daher, wie der Name klingt: Akkreditierung muss sein, "um die Sicherung der Qualität in Lehre und Studium zu garantieren und um den Studierenden, den Arbeitgebern und den Hochschulen eine verlässliche Orientierung bei verbesserter Transparenz zu bieten", so die Kultusministerkonferenz (KMK) im Dezember 1998. Aufschlussreicher ist, dass für die Kultusminister "die Beteiligung der Berufspraxis an der Begutachtung unverzichtbar ist." An die Studierenden dagegen dachte damals niemand - und auch heute ernten Studis, die auf ihr Mitspracherecht pochen, hauptsächlich Gegenwind.

Die Akkreditierung der Akkreditierung der Akkreditierung ...

Ein eigens hierfür eingesetzter Akkreditierungsrat akkreditiert seither Akkreditierungsagenturen, die
ihrerseits wiederum neue Studiengänge akkreditieren
sollen. Vier solche Agenturen haben sich bereits gegründet und vom Akkreditierungsrat grünes Licht erhalten. So darf beispielsweise die Agentur FIBAA Studiengängen der Wirtschaftswissenschaften ein 'geprüft
von der Foundation for International Business Administration Accreditation'-Warenzeichen aufkleben. Das heftet sich der Absolvent von morgen dann ans Revers, denn um Noten schert sich der künftige Akademiker nicht mehr: Seine Visitenkarte ist der Briefkopf seiner Hochschule. Die Hochschulen selbst treten miteinander in Wettbewerb - statt überall eine möglichst gute Lehre zu realisieren, soll künftig bereits die Zulassung zu bestimmten 'Hochschulstandorten' die Spreu vom Weizen trennen.

Bildung als gesellschaftliches Gut ...

Bisher legte die öffentliche Hand Kriterien fest, nach denen neue Studiengänge vor ihrer Zulassung behördlich geprüft wurden. Laut KMK-Beschluss soll sich die staatliche Genehmigung künftig auf die "Gewährleistung der Ressourcen-basis" beziehen, während erst noch geprüft werden muss, "ob und inwieweit weitere länderübergreifende Strukturvorgaben [...] erforderlich sind. Akkreditierung hat demgegenüber die Gewährleistung fachlich-inhaltlicher Mindeststandards [...] zum Gegenstand." Die Akkre-ditierungsagenturen sollen also eine beherrschende Position im neuen Bildungsmarkt einnehmen, die öffentliche Hand sich dagegen weitgehend mit einer Rolle als Goldesel zufriedengeben: So wird das Studium inhaltlich privatisiert, während Risiko und finanzielle Verantwortung beim Staat bleiben.

... oder nach Verwertbarkeitsprinzip?

Wohin die Reise gehen soll, ist aus den Akkreditierungs-Kriterien unschwer zu erkennen: Durch die Hintertür werden Leistungspunktsysteme und Modularisierung durchgesetzt. Die inhaltliche Ausrichtung neuer Studiengänge wird dem Verwertbarkeitsprinzip unterworfen und eine enge berufsspezifische Einbindung in eine arbeitsteilig definierte Nische zum Ziel universitärer (Aus?)Bildung ernannt. Hier liegt der eigentliche Kern der Auseinandersetzung: Soll das Studium allein der Berufsausbildung dienen oder darüberhinaus dem Erwerb von Fähigkeiten und Kenntnissen zur selbstverantwortlichen Lebensgestaltung, das heißt auch: Zur gesellschaftlichen und politischen Mitwirkung? Letzteres erfordert nicht nur eine öffentliche Finanzierung des Hochschulsystems, sondern auch die Orientierung des Studienangebots an einem kritischen Praxisbezug, der Vermittlung einer breiten Grundqualifikation und Kritikfähigkeit sowie die Möglichkeit, an den Hochschulen gesellschaftspolitische Impulse zu setzen. Die Forderung der 68er nach mehr Praxisbezug - verstanden als Gesellschaftsbezug - wird in der angestrebten Entwicklung zum Leitbild der unmittelbaren Verwertbarkeit deformiert. Dabei wird die Gesellschaft in den Agenturen durch Firmen wie Bayer oder Siemens repräsentiert, ohne dass die Frage nach der Legitimation gestellt würde. Die demokratische Auseinandersetzung über die inhaltliche Gestaltung und den Aufbau des Studiums in den Gremien der Akademischen Selbstverwaltung unter Beteiligung von Studierenden soll dagegen abgewickelt werden.

Alles nur freiwillig?

Das Akkreditierungsverfahren soll ausdrücklich nur auf die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge angewendet werden, die ministeriellen Genehmigungsvorbehalte bestehen vorerst weiter wie bisher. Ist die ganze Aufregung also viel Lärm um Nichts, kann nicht jeder Fachbereich selbst entscheiden, ob er an dem ganzen Zirkus teilnimmt oder nicht? Leider ist genau das Gegenteil der Fall, denn es ist ja gerade der Kern des angestrebten Systems, dass es sich im Wettbewerb um Sponsoren und Studierende kein Studiengang mehr leisten können soll, auf das Gütesiegel einer Akkreditierungsagentur zu verzichten. Darüber hinaus können die Länder - wie in Hessen bereits geschehen - die Genehmigung neuer Studiengänge von einer Akkreditierung abhängig machen. Und wer die Diskussion um einen neuen Studiengang ergebnisoffen führt ohne sich ausreichend an den Kriterien der Akkreditierungsagenturen zu orientieren, läuft Gefahr, sich nach einem gescheiterten ersten Anlauf ein zweites Akkreditierungsverfahren nicht mehr leisten zu können: Etwa 25.000,- DM soll der Spaß pro Studiengang kosten. Bisher wurden in Deutschland 21 neue Studiengänge akkreditiert - 11 davon in Hessen.

Völlig unabhängig von äußeren Vorgaben fühlen sich dagegen die Agenturen. So sind sich die Träger der gerade entstehenden Agentur für Naturwissenschaften, Informatik und Mathematik (A-Nat/IM) einig, dass man sich nicht an den politischen Mindeststandards orientieren solle (so das Protokoll ihres ersten Sondierungsgespräches).
Prof. tom Dieck, Geschäftsführer der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh), führt diesen Anspruch fort:
Die Akkreditierungsagentur müsse so etabliert sein, dass
sie neue Qualitätsmaßstäbe setze. Dass man sich
dabei nicht gerne reinreden lässt, versteht sich von
selbst. Entsprechend hat es einige Zeit und Kraft
gekostet, bis nun voraussichtlich ein einziger studentischer Vertreter im damit elfköpfigen Vorstand der GDCh-eigenen Akkreditierungsagentur A?CBC untergebracht wird - und
im Gegensatz zu den Vertretern von Fachgesellschaften
und Industrie soll dieser zwar nicht mit abstimmen,
dafür aber seine Reisekosten selbst bezahlen
dürfen.

Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung

Dass das neue Verfahren ausdrücklich nur für
Bachelor- und Masterstudiengänge angewendet werden soll, zeigt, dass eine flächendeckende Ablösung der
bisherigen Abschlüsse angestrebt wird. Das bedeutet
für die Studierenden zusätzliche Hürden beim Bildungszugang, denn die neuen Masterstudiengänge
sollen von 'besonderen Zulassungsentscheidungen' abhängig gemacht werden. Ungeklärt bleibt ebenfalls, unter
welchen Umständen nach dem Bachelor überhaupt
noch BAföG gezahlt wird. Beim Umbau des Systems
auf Bachelor und Master sollen alle Studiengänge
die Akkreditierungsmaschinerie und die hiermit verbun-dene neoliberale Umstrukturierung durchlaufen - wenn wir nicht abwarten wollen, was von unseren Unis danach noch übrig ist, müssen wir uns jetzt für eine Stärkung der demokratischen Akademischen Selbstverwaltung
einsetzen.

Was kann man tun?

An dieser Universität ist das Konzil der zentrale Ort für die Auseinandersetzung um eine Demokratisierung des Bildungssystems. Deshalb wollen wir uns im Konzil dafür einsetzen, dass die kritische Bestimmung des Verhältnisses von Wissenschaft und Gesellschaft wieder Grundlage von Studienreformen werden kann und die Universität ein Ort bleibt, an dem über die zukünftigen Entwicklungen der Gesellschaft nachgedacht wird.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: juso-hochschulgruppe & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Montag, den 18. Juni 2001, http://www.harte--zeiten.de/artikel_97.html