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Im 2010er Jahr ist es höchste Zeit: Kampf für Reformen

„Es wäre eine Koalition von Menschen, für die Kriege nicht die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sind. [...] Es wäre eine Koalition von Menschen, die unter keinen Umständen die weitere Konzentration der Medienmacht und damit eine schleichende Berlusconisierung unseres Landes und Europas hinnehmen. Ich könnte es auch anders formulieren: eine politische Koalition aus Freunden unseres Grundgesetzes.“
Albrecht Müller, „Gesucht: Ein neuer Willy Brandt“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. Januar 2010.
[Albrecht Müller war 1973-1982 Leiter des Planungsstabs im Bundeskanzleramt (Brandt/Schmidt).]

Der sozialdemokratische Publizist Albrecht Müller fordert mit Bezug auf das Grundgesetz eine neue progressive Grundtendenz der Gesellschaft.
Okay. Das Grundgesetz ist die einzige europäische Verfassung, der allgemeine Grundrechte vorangestellt sind. Zu seinen zivilisatorischen Normen gehört die Unantastbarkeit der Würde des Menschen; das Verbot faschistischer Organisationen ebenso wie das Verbot, Angriffskriege zu führen; die Sozialpflichtigkeit des privaten Eigentums; und die Möglichkeit, dieses zum Wohle der Allgemeinheit zu verstaatlichen. Angesichts von Massenerwerbslosigkeit, der Krise der Automobilkonzerne und der Banken, der gegängelten öffentlichen Kassen und im achten Jahr freiheitlich-demokratischen Besatzungskrieges gegen Afghanistan ist es ein Dokument von frappierender Aktualität.
Verfassungsnorm und gesellschaftliche Wirklichkeit streben auseinander. Dieses tief in den Alltag schneidende Mißverhältnis hat politisch zwei Ursachen:
Erstens eine restaurative und expansionistische Regentschaft zur strukturellen Sicherung der Profitsteigerung. Von Konrad Adenauer über Helmut Kohl bis zu Angela Merkel ist eine scharfe schwarze Scheidelinie zwischen Oben und Unten im Lande und auf dem Globus gezogen worden. (Auch Dieter Lenzen bewohnt weltanschaulich denselben Wald.) Die zweite Ursache ist das Zurückweichen potentiell progressiver Kräfte vor dieser Politik. Es beginnt mit der Akzeptanz der Konkurrenz als scheinbar unüberwindlichem Element des Menschseins. Und es wurde zum programmatischen Kniefall vor der globalen Marktherrschaft als „Rot-Grün“ mit der Kriegführung nach außen begann und seit 2003 mit der „Agenda 2010“ den sozialen Krieg nach innen forcierte.
Versprochen wurde die Stabilisierung der Sozialsysteme, die Überwindung der Massenerwerbslosigkeit und eine erhöhte Teilhabe der Gesamtbevölkerung an Bildung und Wohlstand. Keines dieser Versprechen hatte so je die Aussicht eingelöst zu werden: Mit der „Agenda“ wurde die Unersättlichkeit der ökonomischen Potentaten unterschätzt und die humane Notwendigkeit der bewußten kooperativen Gestaltung der Lebensverhältnisse verneint. Hier ist eine Revision erforderlich: Kein relevantes Problem kann gelöst werden, wenn emanzipatorische Zusammenarbeit nicht allerorten bewußt entwickelt wird. Der Kampf jeder gegen jeden hat seine Alternative im solidarischen Eintreten für Frieden und sozialen Fortschritt. Deshalb ist soziale Opposition als Kern progressiver Entfaltung vorhanden und erneut zu erweitern.
Vernünftige politische Zwischenschritte dieser Erneuerung sind: Stop aller Auslandseinsätze und zügige Abrüstung, international solidarische Entwicklungszusammenarbeit, Recht auf Arbeit und Verkürzung der Arbeitszeit für tendenzielle Vollbeschäftigung, höhere Einkommen für alle, erkleckliche Gewinn- und Vermögenssteuern zum Ausbau öffentlicher Daseinsvorsorge, Abschaffung des Erbrechts bei größtem Eigentum und Vermögen, Demokratisierung der Wirtschaft zur Durchsetzung bedarfsorientierter Produktion. Die Gebührenfreiheit lebenslanger Bildung und partizipationsfördernde Kultur müssen verwirklicht werden. Die volle soziale und politische Gleichberechtigung von Migrantinnen und Migranten ist geboten. Das strafende Recht ist mit emanzipatorischer Perspektive überwindbar.
Immer ist Zivilität ein Muß. Für diese und mit dieser Orientierung hat jede und jeder Bedeutung.
Jeder Richtungswechsel beginnt mit einer Entscheidung.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Dienstag, den 12. Januar 2010, http://www.harte--zeiten.de/artikel_926.html