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Bildung statt Erziehung!
„Ich bin davon überzeugt, dass Erziehung durch Sport besser gelingt, und zwar nicht nur im Sinne der körperlichen Ertüchtigung, sondern im Sinne von Sozialkompetenz. Eingewechselt werden, ausgewechselt werden, gewinnen dürfen, verlieren können, sich auf etwas vorbereiten können, durchhalten, auch wenn es mal weh tut, nicht gleich aua schreien, frische Luft, Dreck im Gesicht - vielleicht geht es auch ohne das, aber das alles macht Erziehung doch besser. Sport ist auch eine Schule der Nation.“
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 9. Januar 2010.
Was ist Schule im Dienste der Nation? Frische Luft? Befreien Leistungshierarchie, Austauschbarkeit, Schmerzen und Schmutz von anderem als von Verstand und Mitmenschen?
Der Sportminister setzt an die Stelle entfaltungsorientierter Bewegungskultur (als Breitensport) geringfügig moderni-sierte Wehrertüchtigung. Hier soll nicht fürs Leben gelernt, sondern zum Überlebenskampf in einer sozial hierarchisierten, krisenhaften und kriegerischen Verwertungswelt erzogen werden. Deren Verewigung wird ideologisch unausgesprochen vorausgesetzt.
Im letzten Jahrhundert ist die sogenannte Nation mit ähnlicher Rhetorik auf zwei Weltkriege vorbereitet worden. Damit offenbart das Sonntagszeitungsgeplauder des Ministers Abgründe preußischer Tradition und bundesrepublikanischer Restauration. Zivilität, Demokratie und eine sozial aufklärerische Kultur sind dazu die gegenteilige Entwicklung.
Die militaristische Propaganda zur vermeintlichen Menschenbildung fordert fürs „zivile“ Leben: Sei stramm und geschmeidig, ein Steh-auf-Menschchen, opferbereit, erfolgshungrig, anspruchsarm und leicht zufriedenzustellen. Hier sind auch erkennbare Verwandtschaften zum Turbo-Abi, Schnellstudium und „flexibler“ Berufsorientierung vorhanden.
Politische Auflehnung gegen inhumane Erziehungsabsichten ist mehr als angebracht: Der Mensch ist keine Kampfmaschine. Vielmehr wird schon seit einigen Jahrmillionen kooperativ gelernt. Das Motiv dafür ist immer die Anpassung der Lebensbedingungen an humane Bedürfnisse - nicht die Anpassung des Menschen an die Gebote der Herrschenden oder das schneidende Kalkül der Börsen.
Bildung ist kooperative Selbst- und Gesellschaftserkenntnis, ist die gemeinschaftliche Aneignung von Produktion, Kunst und Wissenschaft, ist die Entfaltung der menschlichen Lebensmöglichkeiten. Die Auseinandersetzung mit dem humanistischen Erbe - auch: Literatur, Theater, Musik, Tanz, Philosophie - ist dafür unerläßlich. Rational argumentative Verständigung im Alltag schafft einen produktiven Erkenntnis- und Entwicklungszusammenhang. Das kritische Verständnis der sozialen Lebensbedingungen dient dem mündigen, verantwortungsvollen Eingreifen in die gesellschaftliche Wirklichkeit. Mit diesem Sinn ist Universität eine Lernrepublik für eine menschengemäße Gesellschaft.
Das alles bedarf sozial förderlicher Lern- und Arbeitsbedingungen (auch ohne Gebühren und Zinsen), einer bedarfsgerechten öffentlichen Finanzierung der Bildungs- und Wissenschaftsinstitutionen, einer demokratischen Struktur sowie der problemlösenden Hinwendung der Lerntätigkeit und der Wissenschaften zur Gesellschaft. Das sind erweitert zu re-konstruierende Säulen menschenwürdiger Bildung.
Das ambitionierte Eintreten hierfür befreit von konservativer Verklemmung.