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Konsequent weiter: Bildung für Alle

Zur Kontroverse ums längere gemeinsame Lernen

,,Ich verachte Niemanden, am wenigsten wegen seines Verstandes oder seiner Bildung, weil es in Niemands Gewalt liegt, kein Dummkopf oder kein Verbrecher zu werden,- weil wir durch gleiche Umstände wohl Alle gleich würden, und weil die Umstände außer uns liegen.“
Georg Büchner an die Familie, Februar 1834.

Die Initiative aus den Elbvororten ,,Wir wollen Lernen“ hat in der letzten Woche über 180.000 Unterschriften gegen das vom schwarz-grünen Senat favorisierte Zwei-Säulen-Modell vorgelegt. Die elitären Kritiker wollen weiterhin ,,frei“ über die Schullaufbahnen ihrer Kinder, also über ihre Kinder verfügen, wollen vermeiden, daß diese in den sechsjährigen Primarschulen in schändlichen Kontakt mit ,,lernbehinderten“ und sozial benachteiligten Kindern kommen und durch die Verteidigung des Gymnasiums ihr Bildungsprivileg sichern.

Höhere Schulbildung soll demnach zur Durchsetzung des gesellschaftlichen Vorrangs einer Minderheit dienen. Die selektive Struktur - Auslese von ,,behinderten“ Schülerinnen und Schülern, Trennung in Gymnasien und ,,Restschulen“ sowie eine starke Binnendifferenzierung nach vermeintlich individuell erbrachter und abstrakt normierter ,,Leistung“ - ist gleichzeitig der gesellschaftliche Inhalt: Elite gegen Allgemeinwohl. Als Freiheit gilt, ,,oben“ zu schwimmen wie Fettaugen auf Suppe.

Diese politische Niederlage hat Schwarz-Grün selbstverschuldet. Das Zwei-Säulen-Modell aus Gymnasien und zu Stadteilschulen zusammengeführten Haut-, Real- und Gesamtschulen begünstigt das bornierte Ansinnen der wirtschaftsnahen Bürgerinitiative. Die Grünen hatten sich für die Regierungsbeteiligung vom Ziel neunjährig gemeinsamen Lernens distanziert.

Dennoch ist die beabsichtigte Schulreform hegemoniepolitisch offenbar eine wirkungsvolle Attacke auf den Bürgerdünkel: Die Primarschule von Klasse eins bis sechs soll beispielsweise das Menschenrecht auf integrierte allgemeine Bildung auch für körperlich und geistig benachteiligte Kinder durchsetzen.

Jetzt soll ein ,,Runder Tisch“ unter Beteiligung von CDU, SPD und Grünen, Handels- und Handwerkskammer, Bürgerinitiative, Eltern, Lehreverbänden und Schülervertretungen unter Moderation des mehrfachen Milliardärs und Hamburger Unternehmers Michael Otto (Otto Group) den Knoten auflösen. ,,Unsere Kinder, unsere Zukunft“ als gemeinsames Ziel? Devot werden die Befürworter erzieherischer Zurichtung von Menschen auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes hofiert. Nicht selten fordern formal auch Arbeitgeberverbände ein längeres gemeinsames Lernen - allerdings nicht mit dem Ziel allgemeinen Voranschreitens, sondern zur reibungsloseren Qualifikation, Einstufung und Integration der sogenannten ,,Ressource“ Mensch im profitablen Verwertungsprozeß. Auch hier gilt Verschwendung als ineffizient.

Die Alternative zu diesem Zynismus ist emanzipatorische Bildung für Alle. Sie muß inhaltlich, sozial und strukturell durchgesetzt werden. Mündigkeit und ein kritischer Praxisbezug, wissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen und soziale Verantwortung und Friedensorientierung sind die vernünftige Sinngebung längstmöglichen gemeinsamen Lernens. Die Durchsetzung integrierter Gesamtschulen als einzige Regelschulen ist deshalb bildungspolitisch weiterhin ein unerläßliches Ziel zur Humanisierung der Gesellschaft. Das erfordert nicht zuletzt auch eine gebühren- und prüfungsstreßfreie Lehrerbildung, einen erheblichen Ausbau der personellen Kapazitäten und sozialer Förderung an den Schulen sowie die Abschaffung des Büchergeldes.

Durchzusetzen ist dies nicht mit Regierungstaktik, auch nicht durch Verhandlungen mit dem ökonomischen und sozialen Establishment einer der reichsten Städte Europas, sondern nur im argumentativen Kampf für Bildung als Emanzipation.

Der Vorrang des Einzelnen negiert das gemeinsame Menschsein. Nicht allein in der Schule.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Montag, den 23. November 2009, http://www.harte--zeiten.de/artikel_912.html