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Schluss mit der Bescheidenheit!

Druck von Links für einen Richtungswechsel

„Es wird schief gehen, wenn jemand, der zehn oder zwanzig Jahre lang Sozialhilfe bezogen hat, einen Job als unzumutbar ablehnen kann, wenn er nicht Tariflohn bekommt. Und im Arbeitsrecht, der größten Blockade gegen Beschäftigung in unserem Land, geschieht nichts Wesentliches.“

Dieter Hundt, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) beim Deutschen Arbeitgebertag, 4.12.2003.

Die rot-grüne Agenda 2010 und die Ergebnisse der Vermittlung zwischen Bundestag und Landesregierungen reichen dem Wirtschaftslobbyisten Dieter Hundt bei weitem nicht: Sozialstaatliche Errungenschaften wie das Arbeitsrecht schaden angeblich der Beschäftigung. Gefährdet ist jedoch nicht die Beschäftigung, sondern allein die Profitsteigerung der Unternehmen. Zu dieser stehen Vollbeschäftigung und die Humanisierung der Arbeitsverhältnisse und -bedingungen heute im unversöhnlichen Widerspruch. Darin besteht die existenzielle Krise des Kapitalismus. Um dennoch Profitmaximierung weiter zu ermöglichen sollen alle Barrieren fallen, die ihr entgegenstehen: Die sozialstaatlichen Errungenschaften sollen geschliffen werden, um die Konkurrenz zwischen den Menschen zu verschärfen. Die so verstärkte Angst der Einzelnen vor sozialem Abstieg, Arbeitslosigkeit und Ausgrenzung isoliert die Menschen zunehmend voneinander. Auf sich selbst geworfen soll jeder individuell für seine Absicherung kämpfen und sollen sich alle in diesen Verhältnissen bescheiden. Wer dementgegen menschliche Entfaltung anstrebt, muss der Konkurrenz eine Absage erteilen, prinzipielle Kritik am Profitinteresse des Kapitals und damit am Kapitalismus insgesamt entwickeln und solidarisch für Reformen kämpfen, die auf die Überschreitung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zielen.

Von einer solchen Perspektive entfernt sich Rot-Grün rasant. Doch statt Jammern hilft hier Erkennen und Handeln: Die Sozialdemokratie warb 1998 mit dem unzureichenden Versprechen der Erneuerung des Sozialstaatskompromisses durch „Innovation und Gerechtigkeit“ für die Ablösung der Kohl-Regierung. Doch in Akzeptanz des vermeintlichen Siegeszuges des Kapitalismus nach 1989 wurde allein eine bessere Regulierung des Interessensgegensatzes zwischen Kapital und Arbeit angestrebt, nicht aber die rechten Kräfte durch Aufklärung, gesellschaftliche Mobilisierung und Präzisierung der Kritik an der kapitalistischen Ausbeutung bekämpft. Stattdessen verließ man sich auf die Mehrheit im Bundestag und blieb so weitgehend dem Druck von Rechts ausgeliefert.

Immer schlechtere Kompromisse bis zur Übernahme neoliberaler Prämissen sind seither die kleinmütige Antwort auf die Angriffe von Rechts („Kinder statt Inder“, Gewerkschaftsdenunziation, „Sozialschmarotzer“, minimale Zwangsarbeiterentschädigung ...). Da zeigt sich die Unternehmerseite gänzlich unbescheiden – und fordert immer tiefere Einschnitte in den Sozialstaat. Wenn dann doch kleine positive Reformschritte angestrengt werden, wird gleich schweres Geschütz aufgefahren: „Bürgerversicherung klingt gut - aber sie löst nicht die Probleme. Im Gegenteil: Statt Wettbewerb droht eine einheitliche Zwangsversicherung. Dass diese sozialistische Idee bei SPD, Grünen und einigen in der CSU Anklang findet, ist für mich unfassbar!“, so Hundt. Auch wenn eine Bürgerversicherung kein Sozialismus ist, ist die Aussicht auf eine gerechtere Verteilung der Kosten der Sozialsysteme schon gefährlich: Erfreulicherweise befürchtet der Chef der deutschen Arbeitgeberverbände den politischen Richtungswechsel.

Zu lernen ist daran, dass man dem Druck von Rechts offensiv begegnen muss; also: Schluss mit der Bescheidenheit und Erhöhung der eigenen Ansprüche. Notwendig ist, sich für wegweisende fortschrittliche gesellschaftliche Entwicklung zu engagieren: Für bedarfsdeckende öffentliche Finanzierung gesellschaftlicher Aufgaben wie Bildung und Gesundheit, für Vollbeschäftigung und den Erhalt und Ausbau der sozialen Sicherungssysteme sowie für demokratische Verfügung über Bildung und Kultur. So können die Ziele fortschrittlichen Wirkens – Humanismus, Solidarität, soziale Gleichheit und umfassende Demokratie – in der Überschreitung kapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse verwirklicht werden. Zu gewinnen ist die Entfaltung aller Menschen – ganz unbescheiden.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: juso-hochschulgruppe & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Montag, den 29. Dezember 2003, http://www.harte--zeiten.de/artikel_9.html