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Zivilismus befreit von der militärgestützten Geschäftemacherei

,,Zweitens steht der Westen tatsächlich ein wenig hilflos vor der Frage, wie er auf die empörende Wahlmanipulation und die verbreitete Korruption reagieren soll. ... In Afghanistan hat sich dasselbe Abhängigkeitsmuster entwickelt wie in Bosnien, im Kosovo oder im Irak. Nach dem Sturz der Diktatur geben die nationalen Eliten die Verantwortung für das Gemeinwohl bei den jeweiligen westlichen Hilfsmächten ab, verfolgen ihre Partikularinteressen und bereichern sich an der Aufbauhilfe. Sie erpressen den Westen mit der Drohung, er könne es sich gar nicht erlauben, abzuziehen. Denn dann stürze das Land ins Chaos, und das bedeute die Rückkehr einer nicht hinnehmbaren Bedrohung.“
Christoph von Marschall, ,,Hilfe zur Selbsthilfe“, Tagesspiegel vom 20.10.2009

Mit einigermaßen zwielichtigem Erstaunen werden im westlichen Blätter- und Bilderwald die Berichte über die Manipulationen der afghanischen Präsidentschaftswahlen zur Kenntnis genommen (etwa ein viertel der eingesammelten Stimmen soll gefälscht worden sein). Dabei dürfte es eigentlich niemanden überraschen, daß die als Zentralverwalter eingesetzten Statthalter (zum einen Teil selbst lokale Warlords, zum anderen windige Geschäftsleute aus Europa und den USA), sich in ihrer ,,Standortpolitik“ an den Besatzern ein Beispiel nehmen. Nur daß sie, neben den Interessen der sie jeweils protegierenden Unternehmungen (Energiekonzerne, Drogenhandel, Sicherheitsfirmen, Geheimdienste, ...), auch ihren eigenen Auslandskonten verpflichtet sind. Diese korrupte Administration ist derart eng an das Vorhandensein der ausländischen Besatzungstruppen gebunden, daß sie im Falle eines Abzugs tatsächlich zusammenbrechen dürfte. Und es wird kein Verlust sein.

Nicht daß der afghanischen Bevölkerung keine handlungsfähige Zentralregierung zu wünschen wäre. Für die strategische Entwicklung sozialer und kultureller Fortschritte wäre dies durchaus von Bedeutung. Aber eine solche handlungsfähige und dem Wohl der Bevölkerung verpflichtete Zentralregierung ist die Clique um Hamid Karzai, der nicht umsonst als Bürgermeister von Kabul bezeichnet wird, eben nie gewesen. Wo diese Regierung überhaupt Einfluß im Land hat, dort hat sie es aufgrund einträglicher Pakte mit regionalen Gouverneuren und/oder Warlords. Hilfs- und Entwicklungsorganisationen machen schon seit längerem deutlich, daß ihre Bemühungen nur dort gelingen, wo sie sich auf die konkreten lokalen Bedingungen einlassen und entsprechende lokale Bündnispartner gewinnen können. Die NATO-Truppen sind dabei nicht nur keine Hilfe, sondern machen die Hilfsorganisationen zur Kriegspartei indem sie diese zur militärischen Lageaufklärung und als menschliche Schutzschilde mißbrauchen.

In Afghanistan herrscht Krieg, weil die NATO-Truppen dort Krieg führen, nicht nur gegen ,,die Taliban“, sondern gegen eine zunehmende Anzahl von Widerstandsgruppen, die sich aus der die Zerstörungen und Fremdbestimmung ablehnenden Bevölkerung speisen. Die Kriegshandlungen müssen sofort beendet und die Truppen so schnell wie möglich abgezogen werden. Erst dann kann eine ernsthafte Aufbauarbeit in Afghanistan Erfolg haben. Für den zivilen Aufbau werden bei Beendigung des Kriegseinsatzes allemal auch ausreichend Gelder frei, die die Bevölkerung vor Ort sicher sinnvoll einzusetzen wüßte. Dem kulturellen Phänomen der politischen Islamisierung von Teilen der Bevölkerung wird man nur durch soziale Entwicklung, Alphabetisierung und ernsthafte Aufklärung in Verbindung mit der substantiellen Verbesserung der Lebensbedingungen vor Ort begegnen können.

Frieden ist die Verwirklichung der Souveränität der Bevölkerung, nicht Friedhofsruhe unter Aufsicht von Besatzern. Dafür, daß diese Einsicht solidarische Leitlinie der weltweiten Beziehungen wird, haben wir hier entscheidende Verantwortung: Zivilismus.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Dienstag, den 20. Oktober 2009, http://www.harte--zeiten.de/artikel_899.html