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Sie wollen Veränderungen -
Zu den Auseinandersetzungen im Iran

Im Iran wurde gewählt und die ,,Wahlen“ wurden offenkundig manipuliert. Diese Tat bringt mehrere Millionen Menschen in den großen Städten auf die Straße. Der zügellose Hetzer und religiöse Populist Ahmadinedschad hat angeblich 62 Prozent der Stimmen, sein Widersacher Mir Hussein Mussawi nur 32 Prozent erhalten. Die Beteiligung lag offiziell bei 72 Prozent. Sehr viel weist darauf hin, daß die Wahl im Vorfeld durch Massenkorruption (staatliches Verteilen von Geld und Kartoffeln an die vielen Ärmsten) manipuliert und im Verlauf kräftig gefälscht wurde.
Entgegen der Heuchelei der westlichen Medien sollte man sich aber nicht der Illusion hingeben, es handele sich bei dem Herausforderer Mussawi um einen islamischen ,,Reformer“ oder gar einen Demokraten. Mussawi war von 1981 bis 1989 Premierminister der seit 1979 existierenden ,,Islamischen Republik“. In dieser Zeit sind mit seiner Duldung über 40.000 Menschen in den berüchtigten Gefängnissen ermordet, etliche mehr gefangen gehalten und gefoltert worden.
Sehr viele haben ihn nun dennoch gewählt und demonstrieren jetzt in breiten Bündnissen für ihn und für eine Neuwahl, weil sie sich minimale Änderungen erhoffen, Lockerungen des Alltags, der Kultur, der politischen Überwachung, soziale Milderungen.
Die amtliche Empörung in Deutschland über diesen Wahlbetrug mutet auch deshalb merkwürdig an, weil kein Hahn danach krähte, als hunderte Studierende unter der Regentschaft des ,,Reformers“ Chatami 2001 verfolgt und auch hingerichtet wurden, weil sie versprochene Verbesserungen einklagten. Noch weniger wendet man sich gegen die Verhaftung und Folter von etlichen Arbeitern, zuletzt in Folge der Mai-Kundgebung dieses Jahr. Kein öffentlich-rechtlicher Jammer erreicht uns, während Busfahrer und Zuckerarbeiter massenhaft hungernd und streikend verfolgt werden - seit Jahren. Kritische Beobachter können also den Eindruck gewinnen, man wolle hier nur den einen Geschäftspartner durch einen leichter zu handhabenden austauschen.
Die eigentlichen Probleme der iranischen Gesellschaft zu lösen, wäre nur eine Regierung auf Basis der Trennung von Religion und Staat in der Lage. Auch die soziale Frage müßte grundsätzlich gestellt werden. Denn aller konfrontativen Rhetorik zum Trotz haben sich mit Hilfe der westlichen Regierungen der ,,hohe“ Klerus und findige Geschäftsleute eine korrupte kapitalistische Kommandowirtschaft aufgebaut, die ihnen ermöglicht, sich den immensen Reichtum des viertgrößten Erdölförderers privat anzueignen. Keiner der vom ,,Wächterrat“ vorausgewählten Kandidaten hatte oder hat vor, die Verfassung zu ändern, in der festgelegt ist, daß Frauen nur ,,die halben Rechte“ der Männer haben. Keiner der Kandidaten hat ein Programm gegen Arbeitslosigkeit von 30 Prozent der Bevölkerung. Nach offiziellen Zahlen leben 20 Prozent der IranerInnen unter der Armutsgrenze, vermutlich sind es eher 50 Prozent. Der staatlich festgesetzte Mindestlohn liegt bei ca. 210 Euro, die staatlich festgestellte Armutsgrenze für eine vierköpfige Familie derweil bei über 840 Euro pro Monat. Die Studiengebühren sind so hoch, daß nur die Upper-Class an die Unis kommt, dort allerdings haben sich junge Frauen einen Bildungsanteil von über 50 Prozent erkämpft.
Die linken Studierenden, Gewerkschafter und humanistisch orientierte Arbeiter und Bürger verschiedener Strömungen haben deshalb zwar zum Boykott der sogenannten Wahlen aufgerufen, sind aber nun mit auf den Straßen und kämpfen für jede nur erdenkliche Veränderung, mit der Perspektive, daß dieses System grundsätzlich überwunden werden muß. Denn etwas mehr Schminke und sexuelle Freizügigkeit wird den Hunger nicht stillen, den Frieden nicht fördern und die Emanzipation der Mehrheit, auch der Frauen, nicht bewirken können.
In einem sind sich aber nahezu alle IranerInnen einig: Sie wollen und werden ihre inneren Angelegenheiten nur ohne Einmischung von Außen produktiv lösen.
Lernen können wir trotzdem davon: Zivile Courage und Verantwortungsbewußtsein für unsere internationalen Mitmenschen.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Dienstag, den 16. Juni 2009, http://www.harte--zeiten.de/artikel_855.html