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Gegen den Strich

„Immer häufiger greifen Studenten zu Pillen, um ihre Leistungsfähigkeit zu erhöhen, wacher und konzentrierter zu sein und sich besser auf Prüfungen und Klausuren vorbereiten zu können. [...] Hauptgrund für den Griff zur Pille: der vermehrte Leistungsdruck an den Hochschulen. Laut einer repräsentativen Studie der Uni Konstanz fühlt sich fast jeder vierte Student durch die hohen Leistungsanforderungen an der Uni stark belastet. Das straffe Pensum in den neuen Bachelor- und Masterstudiengängen und »Hammerexamen«, wie das seit Kurzem nicht mehr zweigeteilte Staatsexamen im Fach Medizin genannt wird, erhöhen den Druck zusätzlich. Psychologische Beratungsstellen an den Hochschulen berichten, dass jedes Semester mehr Studenten ihre Dienste in Anspruch nehmen.“
Hamburger Abendblatt, „Pillen sollen Leistung steigern“, 1. April 2009.

Die Studiendeformen der vergangenen Jahre, insbesondere die Einführung von Gebühren in fünf von 16 Bundesländern und die flächendeckende Durchsetzung der strikten Bachelor-Master-Studiengänge haben den Anpassungsdruck auf Studierende und Hochschulen erheblich erhöht.

Galt vorher noch, daß Bildung und Wissenschaft hauptsächlich der Befähigung zu selbständigem wissenschaftlichem Arbeiten und gesellschaftlich verantwortungsbewußtem Handeln dienen sollten, sollen nun ausschließlich die Anforderungen der privaten Wirtschaft befriedigt werden. Diese inhaltliche „Rahmenvorgabe“ wird seit 2004 jährlich durch die „Ziel- und Leistungsvereinbarungen“ zwischen Wissenschaftsbehörde und Uni-Präsidium der Universität auferlegt und ist erst jüngst wieder aktualisiert worden.

Abgesehen davon, daß diese stromlinienförmigökonomische Orientierung die grundgesetzlich verbürgte Wissenschaftsfreiheit zur Farce macht, hat dies vor allem eine Folge: Mit der zweifelhaften „Aussicht“, entweder in Konkurrenz zu den Mitmenschen und durch die brave Erfüllung von abstrakten Leistungsnormen in einem ebenso zerstörerischen wie bankrotten Wirtschaftssystem dienen zu dürfen oder in noch größere soziale Ungesichertheit zu geraten, brechen immer mehr Studierende mental zusammen.

Daß Anpassung oder Armut allerdings die tatsächliche Alternative seien, ist eine medial und politisch geschürte Illusion, der man nicht aufsitzen muß. In Wirklichkeit bedingt sich beides und dient gleichermaßen der Sicherung hoher Renditen für Wenige.

Kommerz und Konkurrenz können und müssen folglich als menschen-widrig durchschaut werden. Seit Jahrtausenden ist jede Verbesserung der Lebensbedingungen ein Ergebnis kooperativer Arbeit. Neue Erkenntnisse entstehen und verbreiten sich durch die Kritik am bestehenden. Frieden, Solidarität („Brüderlichkeit“) und Gleichheit sind spätestens seit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts der verbindende geistig-kulturelle Motor jeder vorwärtsweisenden gesellschaftlichen Bewegung. Demokratie erfordert würdige Lebensbedingungen für alle.

Bildung, Wissenschaft und Kultur haben ihren Sinn und Zweck darin, ein ziviles, selbst-bewußtes und erfreuliches Zusammenleben gesellschaftlich möglich zu machen.

Sowie sie die Träger der Aufklärung sind, werden sie selbst nur in dem Grade als Beitrag zu einem menschenwürdigen Leben realisiert, wie dafür solidarisch gekämpft wird. Gebührenfreiheit und eine demokratische Studienreform sind dabei auch im kommenden Semester verbindende Ziele studentischen Engagements.

Die erste erforderliche Verbesserung für alle wird sein: Nein! zu den fremdgesetzten Anforderungen zu sagen, die einen zu Recht mit Abscheu erfüllen. Der nächste Schritt ist, sich darüber mit anderen zu verständigen.

Eine verläßliche Perspektive für das eigene Leben ergibt sich aus den Verbesserungen, die man gemeinschaftlich mit anderen für alle anstrebt. Die Verzweiflung kann dann einer heiteren Ernsthaftigkeit weichen.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Montag, den 6. April 2009, http://www.harte--zeiten.de/artikel_838.html