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Anpacken?
,,Ich sehe in der Krise auch eine Chance. Eine Chance für eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Völkern. Eine Chance für eine bessere Ordnung von Wirtschaft und Finanzen, in der das Kapital allen zu Diensten ist und sich niemand davon beherrscht fühlen muss. Wenn wir dafür arbeiten, dann macht uns diese Krise stärker.“
Horst Köhler (Bundespräsident), Weihnachtsansprache, 24.12.2008.
,,Jede Wirtschaft beruht auf dem Kreditsystem, das heißt auf der irrtümlichen Annahme, der andere werde gepumptes Geld zurückzahlen. Tut er das nicht, so erfolgt eine sogenannte ,Stützungsaktion', bei der alle, bis auf den Staat, gut verdienen. Solche Pleite erkennt man daran, daß die Bevölkerung aufgefordert wird, Vertrauen zu haben. Weiter hat sie dann auch meist nichts mehr.“
Kurt Tucholsky, ,,Kurzer Abriß der Nationalökonomie“, 1931.
Ganz praktisch: Wenn Siemens wegen einer Schmiergeldaffäre eine Milliarde Euro Strafe zahlen muß und deshalb von 2008 bis 2010 durch Stellenabbau 1,2 Milliarden Euro einsparen will, weshalb der Konzern im vergangenen Jahr allein in Deutschland schon 20.000 Mitarbeiter vor die Tür gesetzt hat, dann treten wesentliche Kennzeichen von ,,Herrschaft“ offen zu Tage. Wenn der private Konzern für das ,,Krisenjahr“ 2009 außerdem aus der Arbeit seiner gering entlohnten Mitarbeiter einen Reingewinn von 8,5 Milliarden Euro erzielen will, dann ist das ,,Kapital“.
Der Wunsch des CDU-Mannes und Ex-Managers Horst Köhler, man möge sich vom Kapital nicht mehr beherrscht ,,fühlen“, ist also gelinde gesagt sehr naiv. Oder: Nein! Es mangelt uns nur an der richtigen Einstellung: ,,Wir brauchen Anstand, Bescheidenheit und Maß“, empfiehlt der Bundespräsident, als sei allgemeiner Verzicht eine anstrebenswerte Lebensweise. Außerdem: ,,Glaubwürdigkeit bringt das Vertrauen zurück. Es ist das Band, das unsere Gesellschaft zusammenhält“, meint der Bundespräsident. Wären also die ,,Macher“ in den höchsten Konzernetage nicht so arg gewinnsüchtig, wären die Löhne etwas höher und die parlamentarische Demokratie ein wenig ehrlicher, dann, ja dann wäre der Glaube an ,,den Markt“ und ,,die Wirtschaft“ wieder gefestigt und die Welt heil. So betet es weihnachtlich der Bundespräsident einem zurecht skeptischen Millionenpublikum vor.
Die eigentliche Botschaft des ,,ersten Mannes im Staate“ ist, daß alle anständig anpacken sollen für ,,unseren“ Standort und ,,unsere“ Werte. Dafür werden absichtsvoll die gesellschaftlich folgenreichen Unterschiede zwischen Oben und Unten verschleiert: ,,Wir sind gewappnet durch die vielen tüchtigen Menschen, die unsere Gemeinschaft tragen: gut ausgebildete, motivierte Arbeitnehmer, ideenreiche, mutige Unternehmer und Millionen von engagierten Bürgerinnen und Bürgern, die gestalten und anpacken und füreinander einstehen.“ Die militante Verbreitung dieser sozialen Unordnung sieht er als internationale Herausforderung: ,,Ich denke heute Abend auch an unsere Soldatinnen und Soldaten, die in der Ferne für Sicherheit und Wiederaufbau sorgen. Sie dienen dem Frieden, unter Einsatz von Leib und Leben. Dafür wollen wir ihnen danken.“
Das ist alles in allem sehr deutsch, schlicht konservativ und außerordentlich devot. Um die Kühle des strengen Kommerz zu verbergen, wird hilflos bürgerliches Mitfühlen gestammelt: ,,Meine Frau und ich wünschen Ihnen und allen, die Ihnen am Herzen liegen, alles Gute - und in diesen Tagen, wie es in dem alten Lied heißt, eine fröhliche, selige, Gnaden bringende Weihnachtszeit.“ Kitsch ist die ,,Menschlichkeit“ der Berechnenden.
Konservatismus hat nichts Erhellendes oder Erhebendes. Die Alternative dazu hat die soziale Gleichheit als feste Grundlage der Emanzipation im Sinn. Ein rational anteilnehmendes Miteinander macht erforderlich, sich allerorten und gänzlich von Schund frei zu machen.
In diesem Sinne: Ein frohes, produktives neues Jahr!