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Gewissen und Gewürge
,,Mein Problem hingegen war stets und ist heute noch eine Aversion gegen den blinden Gehorsam beim Salutieren.“
Sir Peter Ustinov, ,,Die Parade der Pyjamas“, 23. Oktober 1999.
Der gesellschaftliche Widerstand gegen die rassistische und kapitalhörige Politik des CDU-Ministerpräsidenten R. Koch hat in Hessen Hoffung und Möglichkeit für eine politisch-kulturelle Trendwende geschaffen. Die SPD hat mit Andrea Ypsilanti daher den Versuch unternommen, einen Politikwechsel für sanfte soziale, bildungspolitische und ökologische Reformen einzuleiten. In dieser Konstellation konnten sich die Grünen kein schwarz-grünes Desaster leisten. Die LINKE hat, gestützt auf die außerparlamentarische Bewegung, auf parlamentarische Opposition für Frieden und sozialen Fortschritt gesetzt. Die Studiengebühren sind so bereits abgeschafft worden.
Die reformerische Abkehr vom Neoliberalismus und das sich entwickelnde Bündnis zwischen SPD und der LINKEN hat Kapital und Konservative Land auf Land ab zur Raserei gebracht. Es drohe der Untergang der ,,freien Marktwirtschaft“, wenn die beiden großen Parteien mit arbeiterbewegter Geschichte sich an erste humane Korrekturen des neoliberalen Desasters machten. Das liegt daran, daß gerade in der gegenwärtigen internationalen Legitimationskrise des Kapitalismus mit dem im Westen erstmals realisierten Bündnis wieder die Option einer prosozialistischen Politik zur Überwindung von Ausbeutung, Konkurrenz und Entfremdung am geschichtlichen Horizont erscheint, selbst wenn keiner der beteiligten Sozialdemokraten wagt, darüber nachzudenken, geschweige denn bewußt darauf hin zu arbeiten.
Es geht um Emanzipation.
Deshalb ist in Hessen ganz materiell die Hölle los. Die hat ihre Kettenhunde auch in der SPD. Die vier Abgeordneten, die am Montag den baldigen Politikwechsel vorerst zerstörten, konnten ihren Kurs demokratisch nicht durchzusetzen. Als klassische Vertreter der Gustav Noske-Linie in der SPD (,,Einer muß ja den Bluthund machen!“), sind sie stolz auf ihre ,,Gewissensentscheidung“. Diese ist allerding nichts als extremer Opportunismus. Man verzichte ,,selbstlos“ auf die Mehrheit in der Partei, um von den wirklich Herrschenden geliebt zu werden und feiere sich dann als Underdog. Kritische Eigenständigkeit ist etwas anderes.
Typischerweise sprach die Protagonistin der SPD-Rechten, Dagmar Metzger, auf dem Landesparteitag der hessischen SPD davon, daß ,,schließlich immer noch sozial ist, was Arbeit schafft.“ Damit griff sie tief in die Mottenkiste von CDU/CSU. Der Slogan rechtfertigt selbst Sklavenarbeit und hat seine historischen Wurzeln in brauner Vergangenheit. Heute wird er vorzugsweise bewußtlos von Frau Merkel, Herrn Köhler und der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (einer politischen Lobbyvereinigung der Metallindustrie) verwendet, damit wir - die Deutschen - bereitwillig den Gürtel enger schnallen. Rechts ist rechts, da hilft auch kein Haarspray.
Daß solche Leute sich in erpresserischerweise anmaßen, die Überwindung des Ein-Euro-Desasters, den Stopp der Privatisierungen, die dringende Schulreform, die sozial-ökologische Kontrahenz zur Logistik-, Pharma- und Energiekonzernen und weiter Vernünftiges zu behindern, sollte einen Parteirausschmiß legitimieren.
Ein Gutes hat die Chose aber: Sie erinnert erneut daran, daß entscheidend für die Richtung der Politik die eigene kritsche, kontinuirliche, solidarische Tat ist. Zügige soziale Reformen und darüber hinaus eine dringend notwendige umfassende Zivilisierung und Demokratisierung des menschlichen Zusammenlebens erfordern reichlich aufgeklärtes Engagement. Studentische Aktivitäten sind dafür häufig - in Hessen und in Hamburg - ausschlaggebend. Vor großen gesellschaftlichen Durchbrüchen sind die politischen Kontrahenzen am größten.