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Bedauerlicher Zwischenfall
Weihnachten kommt, das Fest der fetten Sodbrennen-Braten, der heiß ersehnten Überflüssigkeiten (für Jung und Alt) und der klebrigen Einmal-im-Jahr-Kirche-Besinnlichkeit. ‚Unser Hamburg‘ (Abendblatt-Jargon) putzt sich, die ‚Zivilgesellschaft‘ (Neuemitte-Jargon) erzählt dazu eine stimmungsvolle Geschichte zur Weihnachtszeit:
Ein Toter, ums Leben gebracht bei einem polizeilichen Brechmitteleinsatz wegen Drogenhandels, ist zu beklagen. Wäre zu beklagen. Denn die gesammelten Reaktionen auf den ‚bedauerlichen Tod des Afrikaners‘ (Gutmenschen-Jargon: Mensch) Achidi J. sind weniger besinnlich. Der typische Leserbrief in Springers Zeitungspluralismus (was man eben so für „das Volk“ nimmt) sagt: 1. Und wer denkt an die Drogenopfer?, 2. Hätte die Kugeln doch nicht schlucken müssen, 3. Einer weniger. (PISA-Frage: Was ist eine ‚Bildungskatastrofe‘ und was sind ‚soziale Kompetenzen‘?) Freilich: Kein Bürgerblock ohne Applaus aus der ehrenwerten Gesellschaft: Ingo v. Münch, Verfassungsrechtler i.R. befand: Abschreckung ist, gemessen am Tod eines Dealers das höherrangige Recht. Frohes Fest an die Elbchaussee!
Eines ist klar: Die SPD trägt Verantwortung für die Brechmitteleinsätze, die von Schill-Vorgänger Olaf Scholz im Sommer durchgesetzt wurden. Die Bürgerschaftswahl ging trotzdem verloren. (PISA-Frage: Oder eher, weil man kein sinnvolles Konzept gegen die Ursachen von Drogenrausch-Bedürfnissen hatte?) Statt den rechten Forderungen nach Brechmitteleinsatz nachzugeben, wäre die Verteidigung und Weiterentwicklung von Konzepten zu menschenwürdigem Umgang mit Drogendealern und -abhängigen notwendig gewesen, sowie eine Perspektive zur Bekämpfung der Ursachen von Drogenhandel und -Gebrauch zu finden. Eine verlorene Wahl entbindet davon genauso wenig, wie ein billiges staatstragendes Bekenntnis zur Verantwortung für die Einführung zu Brechmitteleinsätzen.
Und trotzdem irren die, die meinen, es gäbe keinen Unterschied mehr zwischen rot-grün und Schill: Schill bekundet, das Risiko sei doch absolut vertretbar, schließlich sei bei über 1000 Brechmitteleinsätzen bundesweit noch niemand ums Leben gekommen. Auf gut Deutsch darf man das wohl so übersetzen: Eine Todeswahrscheinlichkeit von nur 1/1000 – das sei doch eine ‚faire Chance‘. Vor allem, wegen all des Elends, dass der ‚Deal-Neger‘ über seine deutschen Kunden bringe, und deren Familien. Ein sehr eingängiges Argument, wo doch das große Familienfest naht.
Ja, die neuen Regenten wissen Emotionen zu bedienen. So als in der Bürgerschaftsdebatte über den "bedauerlichen Zwischenfall" (Justizsenator Kusch) die lautstarke Tonlage Bierzelt (die FDP genierte sich sehr liberal ein wenig dafür) angeschlagen wurde. Nur einer hielt sich – „nobel hanseatisch“ – zurück. Das war Freiherr v. Beust, aber der interessiert sich für das Ergehen junger Männer in Hamburg ja auch eher, wenn es darum geht, ‚die Jugend der Welt‘ für eine Olympiabewerbung des Standortes Hamburg zu rufen. Aber wer ist v. Beust? Repräsentationstante des Senates, wie er es früher für die CDU-Fraktion war.
Manchem Redner – man sah und hörte es – juckt der Hoden alle mal mehr, als der Tod eines Menschen. Jingle Bells und Hossa! „Es darf nicht wieder vorkommen, das Polizisten dreist grinsenden Verbrechern gegenüberstehen“, so feist grinsend und munter in den Hosentaschen rumwühlende CDU-Redner Joachim Lenders. Niemand habe den Toten gezwungen, die Einnahme des Brechmittelsirups zu verweigern. (Und niemand hat den Toten gezwungen, hinterher einfach tot zu sein.) „Unsere Betroffenheit hält sich in Grenzen“, so süffisant Frank-Michael Bauer (Schill-Partei). „Wer die Rechte anderer mit Füßen tritt – Dealer tun das – muss damit rechnen, dass die eigenen Rechte missachtet werden.“ Verlogen in höchsten Maßen war nach diesem Bekenntnis zur Abschreckungsfolter der süßliche Auftritt des Justizsenators Kusch, der erklärte, ihm sei das ganze furchtbar nahe gegangen. Darum müsse die Opposition sich dafür entschuldigen, vom „in Kauf nehmen von Toten“ zu reden. Vor allem aber: Wir machen so weiter, damit die Abschreckungswirkung nicht verloren geht. Wer das live gesehen und gehört hat, der bekommt eine Ahnung vom Inhalt des historischen Ausspruches: In Deutschland regiert der Abschaum. (PISA-Frage: Über welche historische Epoche könnte das gesagt worden sein?)
Ach ja, Weihnachten ist nicht nur gute Laune, es geht auch um Mitgefühl. Darin ist die C-Partei ja ganz groß: „Alle Härte für die Dealer – jede Hilfe für die Süchtigen“. Konkret hieß das in den letzten Jahren: Wann immer es darum ging, Hilfskonzepte für Drogenkonsumenten umzusetzen - dass die CDU immer im Schulterschluß mit den guten Bürgern dagegen war, war so sicher, wie Oles Amen in der Kirche. Und nach der Wahl hieß dass konkret: Kein Spritzentausch mehr in den Gefängnissen - Kollektiv-AIDS für alle.
Aber weil Wehnachten kommt, fabriziert der Senat noch schnell ein wenig Mitmenschlichkeit zu Discountkonditionen: Da Hilfsangebote, die den Namen verdienen Geld kosten würden, ist man darauf verfallen, das Elend lieber in die cityferne Pampa zu verlagern. Doch wohin genau? Überall sitzen schließlich gute Bürger, die sagen: Drogenhilfe? - Nicht bei uns. Drum kann die geplante neue Drogenambulanz zwischen Autohaus und Autostrich an der Süderstraße doch nicht kommen. Wenn Pampa noch nicht weit genug ist, sind eben schnell geschäftliche Interessen tangiert. Darum hat Gnadenlos Schill vorgeschlagen, eine Drogenkonsumzone im Freihafen zu schaffen. Sieh da, wenn das Krepieren nicht den Einkaufsbummel beeinträchtigt, zeigt man sich tolerant. Und wenn der Freihafen nun auch nicht der richtige Standort ist? Wir schenken Schill zu Weihnachten folgenden Vorschlag: Madagaskar.
À propos: Zwischen Weihnachten und Neujahr ist laut Kriminalstatistik die Zahl der Gewaltdelikte im familiären Beziehungsumfeld immer besonders hoch. In diesem Zusammenhang wünschen wir der versammelten hanseatischen Lumpenbande ein besonders reich gesegnetes Fest. Und allen andern, dass sie vielleicht im neuen Jahr ein bisschen mehr den Hintern hochkriegen mögen.