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Offener Brief an die Mitglieder des Akademischen Senats

Hamburg, den 4. August 2008

,,Resigniert wollte ich wieder in meinen Stumpfsinn zurückfallen, da durchfuhr es mich wie ein Blitz mit grauenhafter Beklemmung: Hatte die Fliege nicht eben gegrinst und mir mit ihrem blödsinnigen Kopf nachsichtig zugenickt? Gerade wollte ich ihr meinen Stiefel mitten in das höhnische Gesicht schleudern, da sprach sie mich an - mit einer etwas dünnen und sehr sachlichen Stimme, der aber doch eine gewissen Lebensweisheit nicht fehlte-, sie erinnerte mich an meinen alten Religionslehrer. - Siehst Du, sagte sie, du wolltest mein Schicksal sein und jetzt bin ich dir entwischt, du Dummkopf? Man muß nämlich über seinem Schicksal stehen, wenn es auch nur wenige Zentimeter sind, gerade soviel, daß es einen nicht mehr erreicht und in die Tiefe reißen kann. Begreifst du das?“
Wolfgang Borchert, ,,Ching Ling, die Fliege“.

Liebe mehr oder weniger verantwortlich Mitwirkende des Akademischen Senats -

In der vergangenen Woche beklagte selbst das Hamburger Abendblatt die tatsächlich sinkenden Studierendenzahlen, die unsoziale Verdrängung von Realschülern durch Abiturienten in den Ausbildungsberufen und die mindere Qualität der Lehre. Ursächlich seien das neue Bachelor/Master-System, die Studiengebühren, die allgemein unsichere soziale Lage der Studierenden, die restriktive Zulassungsbeschränkung und eine überbordende Bürokratie. Sogar die Zentrale Vergabe von Studienplätzen (ZVS) wurde in ihrer alten Bedeutung wieder herbeigesehnt. (HA, 29.07.08) Vor etwa zwei Wochen publizierte der renommierte Ökonom Joseph Stiglitz unter der Überschrift ,,Das war's, Neoliberalismus“ in der Financial Times Deutschland (21.07.08) eine politische Bilanz der heutigen Weltwirtschaft: Die total gewinnfixierte Marktwirtschaft habe weltweit volkswirtschaftlich zerstörend gewirkt, die Rohstoffpreise gesteigert, die Armut verschärft und die Lebensgrundlagen für Generationen gefährdet.

Was muß also geschehen, um handlungsrelevant werden zu lassen, was ohnehin schon jeder weiß? Daß die Vergötterung der betriebswirtschaftlichen Lenkung (kniend) und das ,,freie“ (schlagende) Steigen und Fallen auf den Märkten ökonomisch, wissenschaftlich, kulturell und sozial - also menschlich - verheerend sind?
Glauben Sie wirklich, daß dieser rauhe Alltag ohne Alternative ist?
Ist nicht jedes ,,Geschehen“ ein Handeln von Menschen?
Ist nicht der soziale Zusammenhang Universität ein Ort für bewußte gemeinschaftliche Verbesserung der gesellschaftlichen Wirklichkeit?
Mindert nicht die aussichtslose Begrenzung auf das pur ,,Eigene“ die humanen Motive und Wirkungen der Wissenschaften?
Sind die Mitglieder der Universität tatsächlich willfähriges Fußvolk einer verwertungskonformen Obrigkeit?

Der Akademische Senat hat zentrale Verantwortung für die Wendung der (universitären) Not. Eine baldige Sitzung zur konsequenzenreichen Beratung der (möglichen) sinnfreien Versenkung der Universität in der Elbe - inklusive der Wiedereinrichtung eines Bauausschusses - ist angebracht. Auch sollte der AS zum neuen Studiengebührengesetz kritisch Stellung nehmen, das am 17.09. in der Bürgerschaft verabschiedet werden soll. Die dauerhafte Unterfinanzierung der Universität erfordert noch immer die begründete Initiative für eine bedarfsgerechte öffentliche Finanzierung. Die Bedrängung kann durch einen deutlichen Richtungswechsel entzaubert und durchbrochen werden.

Mit nach wie vor aufrechten Grüßen
Golnar Sepehrnia und Olaf Walther

Flugblatt: Was ist die Alternative zum organisierten Stumpfsinn? Mehr Markt oder eine neue Aufklärung?

Veröffentlicht am Montag, den 4. August 2008, http://www.harte--zeiten.de/dokument_746.html