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Das bisschen Gentech
"Es gibt in einigen Ländern schon jetzt Forschergruppen, die Spenderzellen aus humanen Zellen gewonnen haben. Ich sehe die große Gefahr, dass wir im internationalen Wettbewerb in einen Rückstand geraten."
(Oliver Brüstle, Neurowissenschaftler, Uni Bonn)
Am 30. Januar soll die Bundestagsentscheidung um den Import embryonaler Stammzellen 'endlich' fallen. Schon lange genug, so drängelt die Biotech-Lobby, hätten sie nun auf die Politik gewartet. Gäbe der Bundestag jetzt nicht grünes Licht, dann würde der Anschluss im internationalen Wettbewerb verloren gehen. Eine Entscheidung für den Import embryonaler Stammzellen erscheint als alternativloser Sachzwang. Und die Forschung steht schon in den Startlöchern: Bereits seit Frühjahr letzten Jahres wartet der Bonner Neurowissenschaftler Brüstle auf die Erlaubnis, an importierten israelischen Stammzellen zu forschen. Dabei geht es nicht nur um wissenschaftliche Reputation, sondern vor allem um viel Geld. Denn nicht zuletzt Oliver Brüstle steht an den Patenttrögen ganz vorn.
Derweil stehen sich in der politischen Debatte GegnerInnen und BefürworterInnen in einer Patt-Situation gegenüber. Während sich der von Bundeskanzler Schröder einberufene Ethikrat - wen wundert's - für die Forschung an importierten embryonalen Stammzellen ausgesprochen hat, hält die Enquete-Kommission 'Recht und Ethik der modernen Medizin' des Bundestages "die Verwendung von menschlichen Embryonen zu Forschungszwecken, auch wenn diese im Ausland stattfindet, ethisch für nicht vertretbar und wissenschaftlich nicht für ausreichend begründet." Die Enquete-Kommission kommt daher zu der Auffassung, "dass der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung alle Möglichkeiten ausschöpfen sollten, um den Import von menschlichen embryonalen Stammzellen zu verhindern."
In dieser Situation versuchen nun Bundeskanzler Schröder und Wissenschaftsministerin Bulmahn einen Import 'unter strengen Auflagen' als Kompromiss zu verkaufen. Nur für sogenannte 'überzählige' Embryonen und vorerst nur für drei Jahre soll die Importerlaubnis gelten. Dieser 'Kompromiss' könnte durchaus eine Mehrheit im Bundestag finden, doch eine grundsätzliche Klärung des Konfliktes wäre damit nicht verbunden. Trotzdem wäre die eigentliche Entscheidung damit gefallen: Mit dem Import embryonaler Stammzellen würde die Herstellung im eigenen Land auf lange Sicht zur logischen Konsequenz, denn Kriterien des Embryonenschutzes können für Embryonen außerhalb und innerhalb Deutschlands ethisch nur schwer unterschiedlich betrachtet werden.
Um embryonale Stammzellen für die Forschung zu erhalten, werden binnen Kurzem auch Embryonen ausschließlich für diesen Verwendungszweck produziert werden müssen. Frauen und Männern droht somit die Degradierung zu Lieferanten von Forschungsrohstoffen. Bleibt das Argument der alternativlosen Standortsicherung bei der Entscheidung über den Import embryonaler Stammzellen unwidersprochen, so wird der Bundestag schließlich auch der Produktion der Zellen im eigenen Lande kaum etwas entgegensetzen können.
Legitimiert wird die scheinbar unausweichliche Lockerung des Embryonenschutzgesetzes mit allerlei Heilsversprechen: Die Gentechnik soll werdenden Müttern zu mehr 'Selbstbestimmung' verhelfen sowie schwere Krankheiten und Behinderungen vermeiden. Dabei fällt nicht nur jede soziokulturelle Dimension gesellschaftlicher Probleme unter den Tisch; die wissenschaftliche Notwendigkeit der Forschung an embryonalen Stammzellen ist alles Andere als unumstritten. So kommt die Enquete-Kommission zu dem Schluss: "Die notwendige Grundlagenforschung kann mit Stammzellen anderer Herkunft (embryonale Stammzellen von Primaten, Nabelschnurblut-Stammzellen, adulte Stammzellen u.a.) in ausreichendem Maße verfolgt werden, ohne das Tor für die Verzweckung von menschlichen Embryonen zu öffnen."
Doch die Entscheidung hierüber wird derzeit der Standortlogik überlassen: Nicht die Bedürfnisse der Menschen sind dafür ausschlaggebend, woran geforscht wird, sondern die Gewinnträchtigkeit von Patenten und Medikamenten. Eingeschränkter könnte die vielzitierte Forschungsfreiheit kaum sein. Stattdessen stünde auf der Tagesordnung, zu hinterfragen, ob der technische Fortschritt tatsächlich auch einen gesellschaftlichen Fortschritt bedeutet. Statt die Menschen ihrer Umwelt anzupassen, ist es vielmehr Aufgabe von Wissenschaftlern und Forschern, auf eine gesellschaftliche Veränderung hinzuwirken, die weltweit allen Menschen ermöglicht, ausgehend von sozial und ökologisch gesicherten Verhältnissen umfassende Verfügung über die gesellschaftliche Entwicklung und damit ihre eigenen Lebensbedingungen zu erhalten.
Dementgegen vermittelt die aktuelle öffentliche Auseinandersetzung das Bild 'frei' gestaltbarer Embryonen und damit ein biologistisches Menschenbild. Durch die angebliche genetische Determination des Menschen hinsichtlich 'Begabung', Charaktereigenschaften und körperlicher Leistungsmerkmale wird einer Selektion vermeintlich nicht lebenswerten Lebens der Weg geebnet. Dabei wird jegliche soziokulturelle Prägung des Menschen wie auch die Verantwortung der Gesellschaft (auch von Wirtschaft und Industrie) für das Wohlergehen Aller ausgeblendet. Ausgeblendet wird auch die Neubewertung von Krankheit und Behinderung sowie die drohende Privatisierung des Gesundheitsrisikos: Die Gleichsetzung von Krankheit mit 'Leiden' bzw. 'vermeidbarem Leiden' vermittelt ein Bild der Unfähigkeit, des Unglücks und der Belastung. Dieses 'Leid' sei weder den (ungefragt) Betroffenen noch der Solidargemeinschaft (als Kostenfaktor) zuzumuten.
Gerade den Hochschulen, durch die neue technologische Möglichkeiten maßgeblich hervorgebracht werden, kommt hier die Aufgabe zu, humanistische Maßstäbe für die gentechnologische Entwicklung zu definieren. Dazu sind eine streitbare Diskussion und ein breiter öffentlicher Dialog ohne zeitlichen und wirtschaftlichen Druck notwendig - auch und gerade wenn sich der Bundestag am 30. Januar für eine Importerlaubnis mit Einzelfallprüfung entscheidet und die Kontroverse somit weitgehend an die Wissenschaft zurückverweist.
"Ich plädiere doch lediglich dafür, die Tür einen Spaltbreit aufzumachen. Sie hingegen möchten ein unkalkulierbares Gesamtbild des Grauens entwerfen. Wir reden aber von einer ganz konkreten Forschungsarbeit an ganz konkreten, eingrenzbaren Aspekten."
(Wolfgang Clement, Ministerpräsident NRW, SPD)
Forschung für die Menschen oder Menschen für die Forschung?
Diskussionsveranstaltung mit
Prof. Dr. Regine Kollek, BIOGUM, Uni Hamburg, Stllv. Vors. Nationaler Ethikrat
und
Ulrike Baureithel, Wissenschaftsredakteurin Freitag
Montag, 4. Februar, 19 h im Geomatikum Bundesstraße 55