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Beleidigte Leberwürste

„Für diese Sorte sind Arbeiter und Angestellte, die sie heute mit einem euphemistischen und kostenlosen Schmeichelwort gern »Mitarbeiter« zu titulieren pflegen, die natürlichen Feinde. Auf sie mit Gebrüll! Drücken, drücken: die Löhne, die Sozialversicherung, das Selbstbewußtsein – drücken, drücken! Und dabei merken diese Dummköpfe nicht, was sie da zerstören. Sie zerstören den gesamten inneren Absatzmarkt. [...]
Für wen wird gelitten? Für wen gehungert? Für wen auf Bänken gepennt, während die Banken verdienen?“

Kurt Tucholsky, „Die Herren Wirtschaftsführer“, 1931. html

Im morbid-mondänen Davos hatten sie sich versammelt: die internationalen Wirtschaftslenker von Unilever, Coca-Cola, Siemens, Microsoft, Citibank und Deutscher Bank. Zwischen Gletschern, Kaminfeuergesprächen und behängten Dekoltées gilt ihnen die Luft als weniger dünn als vor den Gerichten. Dort wird nach Luft geschnappt.

Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank, verkündet beleidigt: „Das ist das einzige Land, wo diejenigen, die erfolgreich sind und Werte schaffen, deswegen vor Gericht stehen.“ Interessant wäre, zu hören, welche der von ihm gehandelten realen
Werte er durch eigene Arbeit geschaffen zu haben glaubt. Ackermann und auch Klaus Esser, dem Chefmanager des Mannesmann-Konzerns, der – so die Anklage – nach Zusage von Abfindungen und Prämien von etwa 60 Millionen Euro „seinen“ Konzern von Vodafone ‚freundlich übernehmen‘ ließ, mag nicht einleuchten, wieso ihre „Leistung“ nach der monetären Entlohnung nun öffentlich nicht angemessen honoriert wird.

Ihre „Leistung“, die „gerecht“ zu würdigen sei, besteht faktisch in der Erhöhung von Aktiengewinnen bei gleichzeitigem Stellenabbau und Verteuerung der von den Konzernen angebotenen Dienste – und dem Verschieben von insgesamt 111 Millionen Euro in die privaten Taschen von einer Handvoll Managern. Arbeiter, Angestellte und Verbraucher – also die Mehrheit der Menschen – gelten diesen Funktionären nur als Werkzeuge für die Macht zur persönlichen Bereicherung.
Siemens-Chef von Pierer beschwert sich deshalb, es könne nicht sein, „dass unternehmerische Entscheidungen dadurch beeinträchtigt werden, dass man über sich immer das Damoklesschwert eines Untreue-Straftatbestandes sieht.“ Doch während mögliche Einschränkungen unternehmerischer Willkür beklagt werden, versuchen die deutschen Metall-Industriellen die Gewerkschaften dazu zu zwingen, sich auf neue „Tarifverträge“ einzulassen, die ermöglichen, dass unbezahlte Mehrarbeit von mindestens fünf Stunden die Woche geleistet wird. Stattdessen angesichts von über 4 Millionen gemeldeten Arbeitslosen neue Arbeitsplätze zu schaffen, sei hingegen indiskutabel. Gerechtigkeit? Nein, „Freiheit“ zur ungebremsten Ausbeutung.

Notwendig ist dagegen die solidarische politische Aktion der Mehrheit der Menschen. Soziale Reformen, wie Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, soziale Absicherung für Alle, Ausbau öffentlicher Einrichtungen in Bildung, Kultur und Wissenschaft zur Ermöglichung demokratischer gesellschaftlicher Teilhabe Aller, dafür die Umverteilung der gesellschaftlichen Reichtums von Oben nach Unten sind konkret zu erwirkende Reformschritte. Sie erweitern die politischen, sozialen und kulturellen Möglichkeiten zur Durchsetzung umfassender Verfügung aller Menschen über die eigenen Lebensbedingungen. Die Hochschulen als Einrichtungen der Bildung und Wissenschaft sind dafür zentrale Orte der politischen Auseinandersetzung. In diesem Sinne sind die studentischen Proteste als Teil allgemeiner gesellschaftlicher Bewegung für die Verbesserung der Lebensbedingungen aller Menschen zu begreifen und fortzuführen.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: juso-hochschulgruppe & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Mittwoch, den 28. Januar 2004, http://www.harte--zeiten.de/artikel_7.html