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Führung oder Demokratie?
"Die Anstalt dient einem Zweck: Menschen sollen in ihr aufbewahrt, gebessert, gedrillt, erzogen, zur Arbeit angeleitet werden ... aber in allen regiert über Menschen und Sachen der soziale Geltungsdrang einer herrschenden Klasse."
"Die Anstalt", Kurt Tucholsky, 1929.
Die Entwicklung der Naturwissenschaften ist nach wie vor hoch widersprüchlich: Erfüllen sie den humanen Maßstab der Verbesserung der menschlichen Lebensgrundlagen, oder steigern sie die Gefahren der Zerstörung? Dienen sie dem Frieden oder (zumindest auch) dem Krieg, der umwelt-verträglichen Produktion und der Gesundheit der Menschen, oder sind sie inhaltlich und strukturell deformiert durch rücksichtslose, krankmachende Profitheckerei?
Gemäß den Vorstellungen der Handelskammer forciert der derzeitige politische Senat gegenüber der gesamten Universität eine Politik, in der nur die Forderungen des "Wirtschaftsstandorts" zählen sollen. Diesem eisigen Kalkül sollen Mensch und Wissenschaft zitternd dienen. Dieses gefährliche Programm haben sich einige besonders Eilfertige für die Suche nach einem neuen Dekan für die MIN-Fakultät zu eigen gemacht: Private Drittmittel sollen reichlich eingeworben werden, auch wenn so die Geldgeber die Wissenschaft nach Inhalt und Zwecken bestimmen; sich im Ranking gegeneinander behaupten sollen die Lehrenden, anstatt gedeihlich zusammenzuarbeiten, und ein Dekan soll her, "der die Machtfülle des Dekanats voll nutzt, sonst bringt das alles nichts" (Prof. Hauschildt, Sternwarte). Den Studierenden wird die Rolle der fügsam fleißigen Lernsklaven zugewiesen. Das ist eine klare Ordnung. Sie ist nicht alternativlos, findet aber prominente Befürworterinnen.
Die konservative Unipräsidentin Frau Auweter-Kurtz hat in der Dekan-Findungskommission der MIN-Fakultät geschichtsvergessen bedauert, daß "es in Deutschland leider keine Tradition von Führungspersönlichkeiten" gebe. Ungehemmt von demokratischer Mitbestimmung, kollegialer Zusammenarbeit oder zwischenmenschlicher Rücksichtnahme solle einer neuen "Führungspersönlichkeit" ermöglicht werden, "Visionen" für die Fakultät auszuleben. Angesprochen auf die so bemerkenswert offen befürwortete Unterordnung der übrigen gut neuntausend Mitglieder der Fakultät, rief Prof. Hahn, MIN-Prodekan für Forschung, allen Ernstes aus: "Ich brauche einen Führer, und ich bin gerne Untertan! Denn ich profitiere davon, wenn ich die Rolle des Untertanen übernehme, wenn ich einen guten Führer habe. Denn immer wenn es demokratisch wird - ich bin ja nicht generell gegen Demokratie -, aber immer wenn es demokratisch wird, ist das sehr hinderlich in bestimmten Situationen." Seine Kollegen haben bestenfalls geschmunzelt. Hier baut sich der Ungeist überwundener Zeiten auf, dessen Mitverantwortung - auch und gerade in den Wissenschaften - an dem größten menschheitsgeschichtlichen Desaster nicht zu leugnen ist und der an einer Universität in einer demokratischen Gesellschaft rein gar nichts zu suchen hat.
Die Durchsetzung der sozialen Ungleichheit, die Negation der Würde des Menschen bedarf immer der (strukturellen) Gewalt, weil sie nach keinem humanen Maßstab als vernünftig und also einsehbar gelten kann. Entsprechend gibt es - auch in dieser "exklusiven" Findungskommission - vehementen (studentischen) Widerspruch. Wirklicher wissenschaftlicher Fortschritt ist immer ein Fortschritt der menschlichen Zivilisation. Spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Überwindung des faschistischen Führerstaates sind Demokratie, dafür die politische Mündigkeit Aller, Humanität und soziale Verantwortung unhintergehbare Maßstäbe verantwortlicher Wissenschaft. Ihnen sollten Alle täglich Bedeutsamkeit verleihen. Auf allen Ebenen der Universität: Aufklärung, Würde, Gleichheit und Demokratie.