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Die feudalisierte Moderne

Gesellschaftlicher Fortschritt muss gegen den Rechtssenat erkämpft werden

Der smarte neue Wissenschaftssenator Dräger versucht mit einem neuen Hochschulgesetz sämtliche Charakteristika des Hamburger Hochschulwesens zu eliminieren und ein "modernes", stromlinienförmiges 'Unternehmen Universität' zu schaffen. Als "Unmodern" betrachtet er demokratische Entscheidungen über Lehre und Forschung, gesellschaftskritische Wissenschaftsinhalte, soziale Offenheit beim Hochschulzugang, freie Zeiteinteilung im Studium und freie Wahl des Studienfaches.

Essentials aus dem "Hochschulmodernisierungsgesetz"
Das Leitbild ist klar: Die Hochschulen sollen für die "Metropolregion Hamburg" profitable Dienstleistungseinheiten werden. Dabei sind die demokratischen Gremien im Weg; allein schon, weil den Mitgliedern der Universität kaum plausibel zu machen ist, warum ihre Tätigkeit zwar dem Standort, aber nicht der Verbesserung der Lebensbedingungen aller Menschen dienen soll. Deshalb sollen die demokratischen Gremien durch einen Hochschulrat mit 9 hochschulexternen Vertretern aus Wissenschaft, Kultur, Politik und vor allem Wirtschaft ersetzt werden - natürlich ohne ernsthafte demokratische Legitimation. Dieser Rat soll den Hochschulpräsidenten wählen, über die Finanzen beschließen und die allgemeine Entwicklungsrichtung der Hochschule beraten. Die Finanzen sollen sowieso zu einem wesentlichen Teil "nach Leistung" zugewiesen werden. Die Kriterien für Leistung legt selbstverständlich auch der "Hochschulrat" fest. Werden die Hochschulen den politischen Anforderungen des Rechtssenats nicht gerecht, sollen sie mit Strafen (bei der Mittelzuweisung) rechnen müssen. Von mehr Autonomie kann daher gar nicht die Rede sein, zumal die Behörde weiterhin weisungsbefugt sein soll, falls die Hochschulen sich nicht mit ihr in Ziel- und Leistungsvereinbarungen auf Entwicklungsziele einigen. Die Ziel- und Leistungsvereinbarungen sind somit für die Hochschulen höchstens eine Freiwilligkeitssimulation.

Wo Befugnisse von Hochschulräten und Behörde nicht hinreichen, sollen die "Kompetenzen der Präsidenten" gestärkt werden. So könnte z.B. über die Erhebung von Studiengebühren das Präsidium entscheiden - kein Wunder, denn die Universitätsgremien haben sich schon mehrfach gegen Studiengebühren ausgesprochen. Die Präsidien sollen auch Professoren berufen. Die Präsidenten sollen Dienstherren "ihrer" Angestellten sein. Und der Knüller: Sie sollen die bisher gewählten Leitungen der Fachbereiche (Dekane) bestimmen.

Im Übrigen ist Bestrafen wieder 'in': Deshalb sollen jene, die von Drägers Traumstudimodell (mit 22 fertiger Bachelor, mehrsprachig, leistungsbereit, anpassungsfähig) all zu sehr abweichen, zahlen: 500 Euro pro Semester, ab Semester 13. Wenn die Uni mehr Geld will, kann's auch mehr sein. Wer doppelt so lange wie Regelstudienzeit (9 Semester) studiert, soll nach belieben von der Hochschule geschmissen werden können.

Das Erfreuliche an dem aktuellen Referentenentwurf ist also höchstens die Übersichtlichkeit der Hierarchien: Die Wirtschaft prägt den Aufsichtsrat, der Aufsichtsrat bestimmt die Hochschulentwicklung, die Präsidenten und ihre Dekane setzen diese Linie an den Hochschulen durch, die Behörde diszipliniert eigenwillige Hochschulen, die Hochschule diszipliniert eigenwillige Studierende.

Hochschulpolitik rechts-außen

Der Kampf um die Hochschulen als Institutionen des gesellschaftlichen Fortschritts ist in seiner allgemeinen Bedeutung nicht zu unterschätzen: Die wissenschaftliche Qualifikation der Einzelnen wird für produktives Wirtschaften immer wichtiger, der Bedarf an akademisch gebildeten Fachkräften ist hierzulande enorm hoch. Der Ausschluss einer gesellschaftlichen Mehrheit von höherer Bildung ist deshalb nicht - wie ehedem - Ziel rechter Bildungspolitik. Damit aber die hohe Qualifikation von den Menschen nicht kooperativ, für langfristige soziale, demokratische, friedliche Entwicklung nutzbar gemacht werden kann, wird bereits der Erwerb der Qualifikation durch extreme Konkurrenzbedingungen (= hohen Anpassungsdruck) von der Unterordnung unter Prämissen marktorientierten Handelns abhängig gemacht. Es wird nicht weniger verlangt, als die Anerkenntnis von Konkurrenz und Ausbeutung als Naturprinzipien. Modernität wird mit totaler Marktförmigkeit aller Lebensbereiche gleichgesetzt. Demokratische Beteiligung, soziale Offenheit, die wissenschaftliche Einheit aus Lehre, Forschung und Selbstverwaltung als gemeinsame Aufgabe aller Hochschulmitglieder mit hoher gesellschaftlicher Verantwortung gleichberechtigt wahrzunehmen, all das widerspricht den Vorstellungen des Rechtssenates. Damit der erwartete - und schon sichtbare - Protest gegen dessen Kurs aus den Hochschulen, aber auch aus Schulen und Gewerkschaften minimiert werden kann, legt Dräger in Schill'scher Ausputzer-Manier die Brechstange an. Diesen Kurs des Senats abzumildern und zu modifizieren kann angesichts dessen Inhumanität und Verachtung demokratischer und sozialer Errungenschaft kein hinreichendes Ziel fortschrittlicher Politik sein.

"Wider die Untertanenfabrik!" - Wirklich moderne Hochschulen

Dieser Slogan war typisch für den studentischen Protest der späten 60er Jahre gegen altertümlich Autoritätsvorstellungen, Elitebildung und wissenschaftliche Kontinuität nach 1945. Die heutige demokratische Massenuniversität ist Resultat der damaligen Bewegung für mehr Demokratie in der ganzen Gesellschaft. Ihre Durchsetzungsfähigkeit beruhte auf dem heute wieder aktuellen Widerspruch zwischen massiver politischer Rückwärtsgewandtheit und der Notwendigkeit der Überwindung gesellschaftlicher Krisen, die heute ihren brutalen Ausdruck in Massenarbeitslosigkeit, Armut und Krieg finden. Eine weitere gesellschaftliche Demokratisierung, mehr soziale Sicherheit, friedliche Lösungen für Konflikte und ökologischen Nachhaltigkeit weltweit zu ermöglichen sind wirklich moderne, da zeitgemäße Aufgaben für die Hochschulen. Sie können voran gehen, wenn soziale Herkunft für die Einzelnen im gesamten Bildungsweg keine Einschränkung mehr bedeutet, wenn dadurch alle gesellschaftlichen Schichten angemessen in den Hochschulen vertreten sind. Demokratie und Autonomie von staatlichen Vorgaben ernstzunehmen heißt Lehrende, Studierende, wissenschaftliche, technische oder Verwaltungsmitarbeiter gleichberechtigt über Ziele, Inhalte und Methoden in Forschung und Lehre verfügen zu lassen.

Für ein Ende der Bescheidenheit

Anstatt die fortgeführte Unterfinanzierung zu akzeptieren und die sozialen und demokratischen Errungenschaften der Gesellschaft an den Hochschulen preiszugeben, müssen also Beteiligungsmöglichkeiten, öffentliche Finanzierung und soziale Durchlässigkeit ausgebaut werden.

Praxisbezug in den Wissenschaften muss zur Lösung gesellschaftlicher Probleme befähigen und die freie Wahl von Studienfach, Qualifikationsweg und -dauer muss durchgesetzt werden.

Nicht einfach die Verbesserung der Studiensituation ist das Ziel einer solchen Politik, sondern Ziel ist nicht weniger als die Durchsetzung umfassender gesellschaftlicher Reformen für soziale Gleichheit, demokratische Massenbeteiligung und Frieden. Deshalb sind diese Ziele weder allein an der Hochschule zu erstreiten noch durchzusetzen. Erst die solidarische Kooperation der Hochschulen und ihrer Mitglieder im Bündnis mit fortschrittlichen Kräften und Organisationen aus Sozial- und Gesundheitsbereich, Schul- und Beschäftigungspolitik macht die Durchsetzung der gemeinsamen Interessen wirksam.

Also: Schluss mit der Bescheidenheit! - Es gilt alles zu gewinnen!

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: juso-hochschulgruppe & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Mittwoch, den 8. Mai 2002, http://www.harte--zeiten.de/artikel_69.html