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Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?
"Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Die linken Schulexperimente sind gescheitert. Linke Schulpolitik hat einer ganzen Generation Chancen und Erfolg erschwert."
(Edmund Stoiber auf dem CDU-Bundesparteitag in Frankfurt.)
Seit dem CDU-Bundesparteitag ist bei der Union offiziell nachzulesen, welche unsoziale und reaktionäre Politik sie nach der Bundestagswahl im Falle eines Wahlsieges durchzusetzen gedenkt. Stoiber und Co. kündigen an, Staatsquote, Steuern und Sozialabgaben radikal zu senken. Das hieße, die Politik auf die Spitze zu treiben, mit der Thatcher, Kohl und Reagan seit den 80er Jahren den Gestaltungsanspruch von staatlichem Handeln ad absurdum geführt haben, um das gesellschaftliche Machtgefüge noch weiter zugunsten global agierender Konzerne zu verschieben. Das Resultat war damals und wäre in Zukunft noch stärker eine verschärfte gesellschaftliche Spaltung in Arm und Reich, zunehmende Arbeitslosigkeit, soziale Unsicherheit und die weitere Brutalisierung gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Diese Resultate sollen dann durch repressive Innen- und imperialistische Außenpolitik unter Kontrolle gehalten werden.
Eine zentrale Rolle spielt in diesem Wahlkampf das Thema Bildung. Auf den ersten Blick sind sich alle einig: Deutschlands Jugend muß besser ausgebildet werden. Und es bestreitet auch niemand, dass das Bildungssystem für mehr Menschen geöffnet werden muß. Denn für technologischen Fortschritt und ökonomisches Wachstum sind in jedem Fall mehr hochqualifizierte Arbeitskräfte notwendig. Insofern ist die tatsächliche Frage nicht, ob mehr Menschen Zugang zu Bildung haben sollen, sondern zu welcher Art von Bildung. Wozu soll diese Qualifizierung dienen?
Der Hamburger Wissenschaftssenator Jörg Dräger erklärte in seinem Letter of Intent "die Wertschöpfungsbeiträge der einzelnen Hochschulen für die Metropolregion Hamburg" zum zentralen Bewertungsmaßstab. Auch Edmund Stoiber wurde in seiner Rede auf dem CDU-Bundesparteitag sehr deutlich, als er "die linke Schulpolitik der SPD seit den 70er Jahren" für die Defizite im Bildungsbereich verantwortlich machte. Alles was seit 1968 an Öffnung und Demokratisierung des Bildungsbereiches erkämpft wurde, sämtliche Versuche zur Integration von Schülern unterschiedlichster sozialer und kultureller Herkunft genauso wie die Ausrichtung von Bildung an gesellschaftlich relevanten Fragestellungen soll abgewickelt werden. Bildung soll nach Stoibers Vorstellungen zwei Dinge leisten: erstens sollen Schüler, Auszubildende und Studierende ihre Fertigkeiten so optimieren, wie es den Bedürfnissen der Unternehmen nach qualifiziertem Fachpersonal entspricht und zweitens soll der Wertekanon von Leistung im Wettbewerb vermittelt werden, damit die zukünftigen Arbeitnehmer sich dann auch bereitwillig ausbeuten lassen.
Diese Orientierung auf forcierten Wettbewerb und ungehemmte Konkurrenz ist vom Standpunkt des Kapitals aus gesehen auch dringend erforderlich, um zu verhindern, dass die bessere Ausbildung in politisch unliebsamer Weise für solidarisch-kooperative Veränderung der eigenen Lebens- und Arbeitsbedingungen genutzt wird. Denn die notwendige Höherqualifizierung beinhaltet eben auch, dass es immer mehr Menschen möglich ist, auf der Grundlage einer qualifizierten Einschätzung von der Ausbeutung und Entfremdung, die diese Verhältnisse mit sich bringen, für deren Überwindung zu streiten.
Eine solche Perspektive radikaler gesellschaftlicher Umwälzung ist aktuell höchst notwendig. Denn der bestehende Kompromiß des sogenannten Rheinischen Kapitalismus mit Sozialpartnerschaft, bürgerlichem Rechtsstaat und parlamentarischem Delegationsprinzip ist nicht mehr aufrecht zu erhalten. Die Profitraten sind ausgereizt, soweit sie sich unter diesen leicht abgefederten Ausbeutungsbedingungen realisieren ließen, in denen Bereiche wie Gesundheit, Bildung, innere und soziale Sicherheit vom Diktat vollständiger Marktverwertbarkeit ausgenommen waren. Die Hoffnung auf einen krisenfreien Kapitalismus ist spätestens seit dem Zerplatzen der New-Economy-Blase vorbei und die unverwundbare Überlegenheit des US-amerikanischen Gesellschaftsmodells ist seit dem 11. September kräftig erschüttert. All diese Hindernisse für eine weitere Steigerung der Profite sollen jetzt durch die brutale und ungehemmte Durchsetzung der Interessen des Kapitals beseitigt werden.
Wenn wir die gesellschaftliche Barbarisierung durch umfassende Orientierung auf Profitmaximierung und Unterwerfung nicht einfach erdulden wollen, dann müssen wir soziale und demokratische Reformen erkämpfen, die allen Menschen eine freie Entfaltung in solidarischer Kooperation ermöglichen. Und dafür spielt der Bildungsbereich eine zentrale Rolle. Die notwendige Öffnung der Bildungsinstitutionen muß genutzt werden um in der Interessenvertretung von Schülern, Auszubildenden und Studierenden, im Bündnis mit Gewerkschaften, Betriebsräten, Arbeitsloseninitiativen, der Friedensbewegung und anderen fortschrittlichen Gruppen für den Ausbau von demokratischer Mitbestimmung und sozialer Absicherung zu kämpfen und gleichzeitig die Inhalte von Schule, Ausbildung, Studium, Forschung und Wissenschaft in die eigenen Hände zu nehmen.
Für jeden Arbeitnehmer ist es ein menschliches Anliegen, seine Arbeit nicht am Profit zu messen, den sich andere daraus aneignen, sondern am gesellschaftlichen Nutzen, der aus der eigenen Tätigkeit erwächst. Und genauso ist es auch für jeden Schüler, Auszubildenden und Studierenden angemessen und notwendig, in demokratischer Kooperation mit anderen darüber zu verfügen, dass die eigene Qualifizierung nicht der optimalen Verwertbarkeit unter kapitalistischen Bedingungen dient, sondern auf die Überwindung gesellschaftlicher Probleme ausgerichtet ist.