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Die gesellschaftliche Tragweite des kritischen Erkenntnishandelns

"Eine Aussage oder Darstellung ist dann eine Wahrheit, wenn sie eine Voraussage gestattet. Bei dieser Voraussage muß aber der Aussagende selber als Handelnder auftreten. Er muß auftreten als einer, der für das Zustandekommmen des Vorausgesagten nötig ist."
Bertolt Brecht, "Über Wahrheit".

Fundierte Friedensarbeit steht gegenwärtig am Rande wissenschaftlicher Praxis. Der (universitäre) Mainstream bewegt sich damit in scharfem Gegensatz zu den humanistischen Erfordernissen der Gegenwart. Das "Erste Carl Friedrich von Weizsäcker-Forum zur Verantwortung der Wissenschaften" am vergangenen Wochenende, hat sich positiv vom diesem Gang und Gäbe der Universität unterschieden.

Im Zusammenhang mit der Würdigung des friedensengagierten Philosophen und Physikers wurde deshalb die Beschränkung verwertungsfixierter Wissenschaften problematisiert. Im einleitenden Beitrag von Hartmut Graßl für die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) wurde deutlich, daß in den Naturwissenschaften deren soziale Verantwortung nur sehr wenig bedacht wird. Hindernd seien besonders die verbreitete direkte oder indirekte Zweckbindung der Mittelvergabe an privat-ökonomische Belange, der universitätsinterne Verteilungskampf und die Verschulung des Studium (BA/MA). Zuweilen kämpften kritische Wissenschaftler gegen "Maulkörbe". Eher unfreiwillig bestätigt wurde diese Einschätzung vom Dekan der MIN-Fakultät, Arno Frühwald.

Mit der Frage nach "der Möglichkeit einer Zukunft der Wissenschaft" entwickelte Klaus-Michael Meyer-Abich einen kritischen Aufriß des wissenschaftlichen, religiös-weltanschaulichen und politischen Werdegangs von Weizsäckers. Er polemisierte treffend gegen die Vorstellung von "Grundlagenforschung als wertfreier Raum" und wies darauf hin, daß die Forschungen Otto Hahns, Heisenbergs und von Weizsäckers von 1938 auch nach heutigen Maßstäben als Grundlagenforschung gegolten hätten, aber direkte Vorarbeiten zur 1945 realisierten Atombombe waren. Die politische Tragweite des Erkenntnishandelns müsse konsequent als soziale Verantwortung der Wissenschaften reflektiert und praktiziert werden. Er konstatierte, daß die Welt heute vor dem Problem steht, daß der Verzicht auf nukleare "Konfliktlösung" ein politisches Niveau voraussetze, das den entscheidenden Ländern gegenwärtig nicht zur Verfügung stehe. Eine Schicksalsgläubigkeit dürfe es im Atomzeitalter nicht mehr geben. Ihr stehe die Menschenmacht hoffnunggebend gegenüber. An diese Gedanken schlossen Götz Neuneck (IFSH) und Martin Kalinowski (ZNF) an, die das gefährliche Paradoxon fortgesetzter atomarer Hochrüstung und verbreiteter öffentlicher Teilnahmslosigkeit an diesem Problem mit Vorschlägen für eine wissenschaftlich gestützte Rüstungskontrolle und Abrüstungspolitik beantworteten. Konsequent wurde formuliert, daß erst die geschichtliche Überwindung des Krieges den Einsatz von Massenvernichtungswaffen ausschlösse. Unreflektiert blieb, daß die Verwirklichung dieser Ziele auch einer engen Anbindung der Friedensforschung an die Friedensbewegung bedarf. Viele andere Redner befaßten sich leider nur unkritisch und historisierend mit dem Werk von Weizsäckers. Es fehlte die Konfliktfreude, die für die gesellschaftliche Erringung zivilisatorischen Fortschritts notwendig ist.

Mit Bezug auf die physikalischen und philosophisch-religiösen Vorstellungen von v. Weizsäckers wurde der Widerspruch zwischen Friedenshoffnung und Kriegsbefürchtung diskutiert. Hierin spiegelte sich die grundlegende Begrenztheit bürgerlicher Wissenschaften: Sie sind materiell und ideologisch an die krieg- und gewaltverursachenden gesellschaftlichen Verhältnisse der Ausbeutung und Unterdrückung gebunden und können deshalb letztlich keine befreiende Perspektive für die weitere Entwicklung der Gesellschaft und der Subjekte hervorbringen. Diesem Problem wurde teilweise durch religiöse oder "wissenschaftliche" Transzendenz ("Vollendung der Physik") ausgewichen.

Die Krise der kapitalistischen Gesellschaft betrifft das wissenschaftliche Schaffen also zweifach: Als Herausforderung zur verantwortlichen Problemlösung und als Erfordernis gesellschaftskritischer Parteilichkeit. Der allgemeinen Vernunftfähigkeit des Menschen muß durch eine egalitäre Entwicklung der Wissenschaften (einschließlich ihrer Institutionen) entsprochen werden. Frieden ist die Verallgemeinerung der Vernunft, die nur gegen den Krieg zu verwirklichen ist.

V.i.S.d.P.: Olaf Walther & Golnar Sepehrnia, c/o Studierendenparlament, VMP 5, 20146 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg
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Veröffentlicht am Montag, den 24. September 2007, http://www.harte--zeiten.de/artikel_630.html