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Kultur oder Leistung?
"Niemand muss die zynische Regelmissachtung des Spitzensports hinnehmen. Moralismus hilft allerdings wenig. Und Antikapitalismus schießt am Ziel vorbei. Statt die Ökonomie zu beschimpfen, sollte man sie befragen." (...)
"Die Gesundheitsschäden der Sportler sind Privatsache und der Verweis darauf heuchlerisch, da jedermann weiß, dass Hochleistungssport auch ohne Doping die Gesundheit ruiniert."
Rainer Hank über die Krise der Tour de France, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, "Und ewig lockt das süße Gift", 22. Juli 2007.
Eine systematisch ruinierte Gesundheit sei Privatsache, hingegen sei der Regelverstoß im "freien Wettbewerb" - und damit dessen Diskreditierung - zynisch. Dieser Rettungsversuch für die gesellschaftliche Konkurrenz ist auffällig vernunftfrei.
Die Krise der "Tour de France" offenbart die Krise des absolut geschäftsmäßig organisierten gesellschaftlichen Lebens (Kapitalismus). Die hilflose Apologetik der konservativen Sonntagszeitung sowie der selbstverständlich völlig verantwortungsfreien Sponsoren rührt daher. Hier wie dort wird nach "Leistung" selektiert. Als Leistung gilt die optimale Verwertbarkeit auf dem Markt. Wer nach diesem Maßstab nicht funktioniert, fällt schnell durchs Raster - und soll damit alleine klar kommen. Wer im Rennen bleiben will, muß bereit sein, die Grenzen des menschlich erträglichen und gesellschaftlich verantwortbaren zu überschreiten. Nach dieser Prämisse werden nicht nur Regeln des Sports, sondern auch das Völkerrecht, das Grundgesetz, Maßgaben wissenschaftlicher Vernunft oder kulturelle Normen humaner Beziehungen im Alltag gebrochen - mit und ohne Drogen. Das ist offenkundig ökonomisch und sozial zutiefst destruktiv, kulturell verkommen und ohne zivilisatorische Perspektive.
Frei nach dem Motto, daß nicht sein kann, was nicht sein darf, lamentiert deshalb die Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gegen die berechtigte Kritik an der Leistungshetze und Kommerzialisierung des Sports. Hier seien Spaßverderber am Werke, wird suggeriert. Lieber solle man dem neoliberalen Vordenker von Hayek darin folgen, daß der Markt das beste "Regime" sei, da "unter ihm böse Menschen das geringste Unheil anrichten können." An dieser Stelle wird jedenfalls nicht mit gesellschaftlichen Tatsachen argumentiert.
Erforderlich sei die Legalisierung kontrollierten Dopings. Zwar würden Regeln zum Regelbruch aufrufen, "weil die menschliche Natur schwach ist", aber so läßt sich wenigstens Gut und Böse einfach unterscheiden. Das Elend sei also ewig. Na dann: Prost! Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre Mutti oder Ihren behandelnden Psychiater.
(Breiten-)Sport als Kooperationskultur der bewußten Aneignung menschlicher Lebenszusammenhänge ist etwas gänzlich anderes. Die gesellschaftliche Perspektive eines produktiven und genußreichen Lebens gibt reichlich gute Gründe die Konkurrenzgesellschaft und ihren a-sozialen und seelenlosen Alltag zu kritisieren.
Antikapitalismus trifft deshalb das Übel ins Mark. Denn die Kritik des Bestehenden, die Befreiung der menschlichen Gattung von Mangel und die solidarische Entfaltung aller durch Wissenschaft, Kunst und politisches Engagement bilden eine Einheit.
Dafür lohnt es sich immer, zu sagen, wie es wirklich ist.