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Kritischer Programmvergleich zur Abstimmung über die Spitzenkandidatur
Hamburg, den 20. Februar 2007
Liebe Genossinnen und Genossen!
Die Kandidatendebatte ist eine Richtungsauseinandersetzung. Soll die Hamburger SPD künftig mit der CDU eine neoliberale Standortpolitik mit sozialen Abfederungen betreiben? Oder soll sie mit den Grünen eine an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientierte Reformpolitik anstreben? Dominiere die Konkurrenz oder die kultivierte Entwicklung durch Kooperation?
Der CDU-Senat hat die Bevölkerung Hamburgs fünf Jahre lang mit einer Politik terrorisiert, die an den Belangen einer unersättlichen privaten Ökonomie orientiert ist („Wachsende Stadt“). Nach wie vor ist er ohne ordnungsstaatliche Restriktionen „Marke Schill“ nicht denkbar. Menschenverachtung für Gewinnsteigerung ist sein Programm.
Dorothee Stapelfeldt kritisiert in ihren „Zehn Punkte(n) für Hamburg“, daß die CDU bei der Realisierung dieser wuchernden Metropole „versagt“ habe (http://www.dorothee-stapelfeldt.de/wp-content/uploads/2007/02/10punkte.pdf). Soziale Korrekturen findet sie richtig, wenn sie den „Standort“ stärken. Die Privatisierung öffentlichen Eigentums geht ihr zu weit, könne aber „im Einzelfall sinnvoll sein“. Brav soll der Durchsetzung Hamburgs in der internationalen Konkurrenz durch „Cluster“-Förderung und die strengere Bereitstellung qualifizierter Arbeitskräfte gedient werden: Ausbildungs- und Integrationsförderung, Hochschulausbau und die Abschaffung der Studiengebühren werden zu diesem Zweck verkorkst. Die tendenzielle Unentgeltlichkeit der vorschulischen Betreuung und Bildung wird ebenfalls hier eingepaßt, denn längst sei bekannt, „daß sich Familienfreundlichkeit für Staat und Wirtschaft rechnet.“ Im übrigen wird am Gymnasium festgehalten. Bildung soll die individuellen Möglichkeiten der Durchsetzung in der gesellschaftlichen Konkurrenz verbessern, weshalb Mündigkeit und persönliche Entfaltung in einer solidarischen Gesellschaft als (bildungspolitische) Ziele keine Rolle spielen. Unter der Überschrift „Stark sein verlangt Gerechtigkeit“ wird sich nicht die Mühe gemacht, zwischen der Vernachlässigung von Kindern und Jugendkriminalität einerseits sowie organisierter Kriminalität andererseits zu unterscheiden. Nicht soziale und kulturelle Armut gilt als (lösbares) Problem, sondern zu beenden sei das eventuell daraus resultierende abweichende Verhalten: Kontrolle durch soziale Dienste und „mehr Polizeidienststellen“ helfen. - Aus der Ferne grüßt Herr Schill. Die Verbesserung der Lebensqualität in den Stadtteilen gilt nur als eine Frage der Pflege des öffentlichen Raums: Meine Stadt, mein Schrebergarten. Soziale Notlagen und Erwerbslosigkeit werden nur oberflächlich problematisiert. Kultur sei ein „Markenzeichen“. „Kultur“ ist dann nicht die kreative, kritische Weltaneignung sondern Standortfaktor. Aber Volksentscheid soll wieder sein.
Mit diesem Programm wird der bestehenden kapitalistischen „Ordnung“ ganz kategorisch der Frieden erklärt. Bestimmte gesellschaftliche Notwendigkeiten sowie außerparlamentarischer Proteste gegen das Senatshandeln sind wohl nicht zu leugnen, sie werden aber verdreht und vereinnahmt, um letztlich die SPD auf eine Große Koalition in Hamburg einzuschwören: Die schädliche CDU-Politik, die sich ungebremst sogar für die private Wirtschaft als nachteilig erweist, soll gemildert, aber auch der anstehende grundlegende Politikwechsel abgebogen werden. Dies erklärt auch, warum eine ursprünglich Linke aus partei-rechten Kreisen Unterstützung erfährt. Die Damen und Herren in der Handelskammer reiben sich die Hände. - Auf Täuschungen folgt immer Enttäuschung.
Zwar will Mathias Petersen auch „wirtschaftlichen Erfolg“ mit „sozialer Gerechtigkeit“ versöhnen (Bürgermeisterprogramm unter http://www.mathias-petersen.de/). Es überwiegt aber die Absicht der Verbesserung der Lebensbedingungen für die Mehrheit gegenüber der konkurrenzhaften Durchsetzung von „Hamburger“ Standort- also Wirtschaftsinteressen. Deshalb hat die Bekämpfung der „Arbeits- und Perspektivlosigkeit“ Gewicht, auch in der Stadtteilförderung. Besondere Bemühungen sollen der Wiedereingliederung von Langzeiterwerbslosen in den ersten Arbeitsmarkt dienen. (Hier ist eine Kritik an den entwürdigenden 1-Euro-Jobs angedeutet.) Industriepolitische Vorhaben sind eher an der Schaffung von Arbeitsplätzen als an den Belangen der großen Unternehmen orientiert. (Erforderlich wäre, angesichts der Rüstungsrelevanz der Werften und der Airbusproduktion auch über Möglichkeiten der staatlichen Einflussnahme zugunsten ziviler Produktion nachzudenken. Nicht jede Arbeit ist gute Arbeit.) Jedenfalls soll den Großverdienern der Stadt im Interesse der öffentlichen Hand genauer in die Bücher geschaut werden. (Hier ist ein Votum für eine echte Vermögenssteuer angebracht.) Bezahlbarer Wohnraum für alle sei gezielt umfangreich zu fördern. Umwelt-, Klima- und Katastrophenschutz ist nicht wirtschaftspolitisch, sondern zur Herstellung guter Lebensbedingungen motiviert. Mobilität für alle Bürger durch einen ausgebauten, barrierefreien ÖPNV sei zu gewährleisten. (An dieser Stelle müßten allerdings noch soziale Erfordernisse - z.B. Sozial-Ticket - bedacht werden.) Bildung diene der gesellschaftlichen Teilhabe. (Leider fehlt eine inhaltliche Bestimmung von Bildungszielen die persönliche Entfaltung und Allgemeinwohl verbindet.) Die Absicht der sozialen Öffnung der Bildung soll mit der Rücknahme der CDU-Maßnahmen, schrittweiser Herstellung eines Integrierten Schulsystems, Hochschulzugang ohne Abitur und der Abschaffung der Studiengebühren (leider nur für das Erststudium) verfolgt werden. Die Ausbildungsumlage müsse ggf. gegen Wirtschaftsinteressen durchgesetzt werden. Der Ausbau der frühkindlichen Bildung und Betreuung soll die sozialen Bedingungen junger Familien verbessern, das frühe Lernen fördern sowie die Integration von MigrantInnen sichern. Eine progressive Einwanderungspolitik wird als Kontrast zu der strengen Ausgrenzung durch die konservative Regierung formuliert. (Ein Abschiebestopp wäre eine richtige Konsequenz.) „Mehr Demokratie“ soll nicht nur mittels Volksentscheiden, sondern durch Bürgerbeteiligung an behördlichen Planungsprozessen und höhere Transparenz des Verwaltungshandelns hergestellt werden. (Vernünftig wäre an dieser Stelle, die qualifizierte Mitbestimmung in öffentlichen Einrichtungen und Betrieben stärken zu wollen.) Die Vorschläge zur „Inneren Sicherheit“ beziehen sich hauptsächlich auf eine Verbesserung des „Opferschutzes“ und der gesellschaftlichen Wiedereingliederung insbesondere für kriminelle Jugendliche. Unerfreulich ist die mangelnde Zuversicht in die Wirksamkeit verbesserter Maßnahmen der „Resozialisierung“.
Das Programm von Mathias Petersen ist insgesamt auf die Überwindung echter sozialer Drangsale zugeschnitten. Es ist entwicklungsfähig. Kooperation und Verständigung zwischen allen (Gewerkschaften, wirtschaftlichen Interessenten, staatlichen Stellen und betreffenden Bevölkerungsgruppen) soll eine vernünftige und konfliktregulierende Problemlösung ermöglichen. Zwar wird der objektive Interessengegensatz zwischen Mehrheitsbevölkerung und privatem Unternehmertum verharmlost, aber der Standortkonkurrenz wird nicht gehuldigt. Unter der Voraussetzung einer starken außerparlamentarischen Opposition und humanistisch motivierter innerparteilicher Kritik wäre so eine Rot-Grüne Regierung eine echte Verbesserung.
Auch wer nicht Bürgermeister(in) werden will, sollte sich also den Herausforderungen der Zeit stellen: Engagierte Aufklärung für Frieden und die Beendigung der Militäreinsätze, für Abrüstung und zivile Konfliktlösung duldet keinen Aufschub. Das Nein zum Krieg bedarf auch des Neins zur Konkurrenz: dem weltweiten Wettlauf um die „Spitzenplätze“ muß ein konsequentes Programm internationaler sozialer und kultureller Progression entgegengesetzt werden. Die substantielle Humanisierung des Alltags durch aufgeklärt-kritische Bildung und Kultur sowie nützliche Arbeite für alle und die umfassende Demokratisierung aller gesellschaftlichen Bereiche muß solidarisch mit Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und Interessenvertretungen erkämpft werden. Die Überwindung der ökonomischen Anwendung der Mehrheit für die partikularen Belange einer Minderheit ist das nötige Programm und
In diesem Sinne hoffen wir zur Erhellung beigetragen zu haben,
die Hochschulgruppe harte-zeiten - junge sozialisten und fachschaftsaktive.