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Dressur oder Emanzipation

Studiengebühren zielen auf die Disziplinierung der Arbeitnehmer von morgen

"Gesellschaftspolitisch und ökonomisch sinnvoll sind Studiengebühren besonders dann, wenn sie an die Investitionsbetrachtung von Bildung geknüpft werden. Zum Beispiel können nach Fächern differenzierte Studiengebühren verhindern, dass knappe Mittel an falscher Stelle eingesetzt werden, weil die Signale des Arbeitsmarktes aus der Studienfachentscheidung ausgeblendet werden."

("Umverteilung von unten nach oben durch gebührenfreie Hochschulausbildung", CHE 2002 )

Seit den siebziger Jahren, wesentlich durch die 68er-Bewegung hervorgebracht, hat sich weitgehend die Einsicht durchgesetzt, dass der Hochschulzugang nicht von der sozialen Lage der "Studierwilligen" abhängen darf. Denn immer mehr hochqualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden seither gebraucht. Heute geht man davon aus, dass schon in nächster Zukunft über die Hälfte eines Altersjahrgangs eine Hochschul(-aus-)bildung wird erhalten müssen, wenn der Akademikerbedarf gedeckt werden können soll. Es sollen fachlich hochqualifizierte, disziplinierte und flexible Leute auf den Arbeitsmarkt drängen - nur eins sollen sie nicht können und nicht wollen: kritisch denken und handeln.

Arbeitgebervertreter wollen deshalb Studiengebühren nutzen, Studierende detailgenau dorthin zu lenken, wo die Wirtschaft sie braucht. Schon in der Hochschulausbildung sollen sich die Studierenden angewöhnen, nicht mehr wissen zu wollen, als unbedingt erforderlich ist, um äußere Anforderungen zu erfüllen. Sie sollen kooperativ arbeiten, aber nur ihre eigene Durchsetzungsfähigkeit ('Erfolg') im Blick haben. Sie sollen ihre "Leistung" von allein optimieren, aber sie sollen nie eigene Ziele formulieren, nie selbst bestimmen, was sie eigentlich leisten wollen. Deshalb ist die Praxis an der Universität Hamburg den Vertretern von Industrie und Handel ein Dorn im Auge.

Die Demokratische Massenuniversität

Die Universität Hamburg, zwischen 1969 und 1975 in einem großen Reformprojekt zu einer Demokratischen Massenuniversität gestaltet, kann und will diese Anforderungen an Universitätsausbildung nicht erfüllen: Hier wird in einigermaßen demokratischen Gremien dafür gesorgt, dass alle Universitätsmitglieder (auch die Studierenden) über die Inhalte und Formen von Studium und Forschung mitentscheiden können. Wegen der Gebührenfreiheit des Studiums und der kaum beschränkten Kombinationsmöglichkeiten von Fächern kann man den Weg, die Dauer und die Inhalte der eigenen Qualifizierung selbst bestimmen und nach aktuellen Erfordernissen umgestalten.

Von der Theorie zur Praxis

Zumindest gilt das in der Theorie. Tatsächlich ist durch jahrelangen Sparzwang und vor allem durch die halbherzige Verwirklichung der Reformen der siebziger Jahre von diesen Entfaltungsmöglichkeiten wenig zu merken: Es fehlen nicht nur Lehrende sowie Arbeitsmittel und - räume. Der gleichberechtigte Studienzugang ist durch vielfache Sonderregelungen, nummerus clausus und die faktische Ungleichheit in den schulischen Bildungsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Die Gremien sind überwiegend mit einer professoralen Mehrheit ausgestattet. Eine institutionalisierte Zusammenarbeit von Personalräten, Selbstverwaltungsgremien und der studentischen Interessenvertretung ist nicht gewährleistet. Die studentische Selbstverwaltung hat nicht unangefochten das Recht, sich zu nicht offensichtlich hochschulpolitischen Themen zu äußern. Es ist also nicht damit getan, sich mit den studentischen Protesten gegen die Angriffe auf die bestehende Verfasstheit der Universität zu wenden, sondern wir müssen darüber hinaus ihren Ausbau erkämpfen. Bedarfsdeckende, staatliche Hochschulfinanzierung, Demokratisierung und die Öffnung der Hochschulen müssen Inhalt weiterer Reformen sein.

Erst damit werden die Bedingungen für alle geschaffen, das Studium an der Uni Hamburg zu nutzen, sich für eigenständiges, kritisches und veränderndes Eingreifen in die gesellschaftliche Entwicklung - ob nun im Beruf oder außerhalb - Qualifikationen anzueignen. Es kann eben nicht darum gehen, äußere Anforderungen bestmöglich erfüllen zu können, sondern man muss sie bestmöglich verändern zu können.

Demokratische Bildung für alle!

Der Kampf gegen Studiengebühren und für eine bedarfsdeckende, staatliche und elternunabhängige Studienfinanzierung ist deshalb von hoher Bedeutung. Kostenlose Bildung und auch Weiterbildung sind angesichts der schnellen technischen und wissenschaftlichen Entwicklung eine notwendige Voraussetzung, damit alle zukünftig gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Die Erkenntnis des Menschen über sich selbst und über seine Lebensbedingungen, um diese zum Nutzen aller verbessern zu können, ist der humanistische Auftrag von Bildung und Wissenschaft. Diesen Anspruch müssen wir mit unseren Protesten als Maßstab hochschulpolitischer Reformen durchsetzen und in unseren Aktionen zum Ausdruck kommen lassen. Emanzipation statt Dressur!

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: juso-hochschulgruppe & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Montag, den 14. Oktober 2002, http://www.harte--zeiten.de/artikel_58.html