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Oppositionsverantwortung

Die Krise der Hamburger SPD

"In den Geschichtsbüchern und Theaterstücken werden für die Handlungen der Personen meistens zu wenige Motive genannt."
Bertolt Brecht, "Notizen über Dialektik".

Ehrlich gesagt, dreht sich der gegenwärtige große Zank um die Spitzenkandidatur für die Hamburger SPD bei den Bürgerschaftswahlen 2008 um eine Frage: Soll es nach den Wahlen eine Große Koalition mit der CDU geben oder versucht man ernsthaft einen moderaten Reformkurs mit den Grünen einzuschlagen?

Die Realo-Spezialdemokraten, die mit fleißiger Unterstützung berufskonservativer Schreiberlinge der Springer-Presse den Stein ins Rollen bzw. den derzeitigen SPD-Vorsitzenden Mathias Petersen ins Schwanken gebracht haben, vertreten eine Politik, die Elemente von Sozialstaatlichkeit mit einer strengen Ordnungspolitik verbinden. Leistung, Sauberkeit und Disziplin in der Arbeit soll mit sozialem Aufstieg vergolten werden. Die kapitalistische "Ordnung" (prinzipielle sozialen Ungleichheit, Konkurrenz und Entfremdung der arbeitenden Mehrheit von dem Gegenstand ihrer Tätigkeit) wird völlig akzeptiert. Militär und Polizei gelten als notwendige Mittel der staatlichen Durchsetzung dieser Position ("Patriotismus"). Die Mythen des Neoliberalismus (z.B. "Geht es ,der' Wirtschaft gut, geht es allen gut.") werden artig angebetet. Muß gesellschaftliche Opposition integriert werden, sind sozialpolitische Forderungen und ihre Repräsentanten flugs vereinnahmt. Soweit so schlecht, ist diese Politik schwer umstritten und deshalb nur unter Vermeidung einer offenen politischen Programmatik (Frau sein, ist auch kein Programm) und mit der machtpolitischen Personalisierung inhaltlicher Konflikte durchzusetzen.

Dagegen steht eine defensive, unzureichende, aber soziale Reformorientierung. Ernstgemeint ist man gegen die Privatisierung großer Bereiche des öffentlichen Lebens (insbesondere gegen die Kommerzialisierung der Gesundheitsversorgung und gegen den Verkauf der Hamburger Hafen und Logistik AG, HHLA). Die 140-Millionen-Euro-Elbphilharmonie sei so überflüssig wie ein Kropf. Studiengebühren sollen abgeschafft und die Lernmittelfreiheit soll wiederhergestellt werden. Eine sozialere "Gesundheitsreform" sowie die höhere Besteuerung wirklich "Reicher" sei eine gute Alternative zur AGENDA 2010. Eine bevölkerungsnahe Verbesserung der Mobilität und Infrastruktur sei nötig. Zivilität im öffentlichen Leben und in den internationalen Beziehungen sowie eine tendenzielle Angleichung der Lebensbedingungen des Südens an den Norden sei wünschenswert. - Nun ja.

Ein Politikwechsel mit den Bürgerschaftswahlen 2008 ist auf jeden Fall erforderlich. Zu entwickeln ist deshalb eine unversöhnliche Opposition zu der menschenverachtenden Standortpolitik der CDU. Der Einfluß der Handelkammer, also der Interessenvertretung der Großunternehmen auf das soziale Leben der Stadt muß gebrochen werden. Die Konkurrenz aller gegen alle als Treibstoff einer totalen Verwertungsgesellschaft ist zu überwinden.

Entscheidend bleibt dafür der außerparlamentarische Kampf für sozialen Fortschritt, umfassende Demokratisierung, Frieden und die kulturelle Emanzipation aller. Das Menschliche steht gegen die Geschäfte. Friedensbewegung, Gewerkschaften und soziale Bewegungen (darin nicht zuletzt die studentischen Proteste) können der Notwendigkeit einer aufgeklärt-demokratischen Gesellschaftsentwicklung Geltung verleihen. Damit wäre eine gute Voraussetzung für Weitergehendes geschaffen. Personenkult und die parteipolitische Delegation eigener, verallgemeinerbarer Interessen sollten wir meiden.

Die Verbesserung der Lebensbedingungen - Vollbeschäftigung, soziale Absicherung, kritische Bildung und Kultur für alle, die Demokratisierung wesentlicher Bereiche der Arbeit und des öffentlichen Lebens sowie Frieden - ist nur durch solidarisches Engagement aller zu erreichen. Diese Praxis ist selbst schon ein kultureller Gewinn für alle.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Donnerstag, den 25. Januar 2007, http://www.harte--zeiten.de/artikel_534.html