Der 1970er Boykott der Studiengebühren
Die Fachschaftsrätekonferenz (FSRK) veranstaltet anläßlich des Boykotts der allgemeinen Studiengebühren eine Veranstaltung mit Beate Landefeld, einer Aktiven aus der Zeit von 1970, als die Gebühren bundesweit durch einen Hamburger Gebührenboykott zu Fall gebracht wurden.
Das Flugblatt der FSRK dokumentiert:
Opposition ist Motivation
,,Wir sollten die alten Debatten hinter uns lassen, in denen Disziplin mit Drill, Leistungsorientierung mit Überforderung, Benotung mit persönlicher Demütigung gleichgesetzt wurden.“
Horst Köhler, ,,Bildung für Alle“, Berliner Rede, 21.9.2006
Disziplin: Studiengebühren, Kurzzeitstudiengänge, Zulassungsbeschränkungen, Auswahlverfahren, Demokratieverbot, Managementstrukturen und Unterfinanzierung bilden die Zwangsmittel, mit denen die Hochschulmitglieder auf den Kommerz gedrillt werden sollen. Die geforderte ,,Leistung“ ist die scheinbar freiwillige Unterwerfung unter die Verwertungsanforderungen des ,,Standorts“. Diese beabsichtigte brachiale Dekultivierung ist persönliche Demütigung ebenso wie die der Menschheit im Gesamt. Bereits gewonnene Einsichten für die Würde des Menschen sollen geschichtslos hinter sich gelassen werden und jeder einzelne möge sich in sein Schicksal ergeben: Der FAZ-hochulanzeiger kommentierte Anfang des Semesters diese umkehrbare Entwicklung an den Hochschulen zynisch: ,,Sie leiden an Versagens- oder Zukunftsängsten, haben Kontaktprobleme, finanzielle Schwierigkeiten oder werden von Minderwertigkeitskomplexen heimgesucht? Kein Grund zum Schämen, denn hierbei handelt es sich um ganz alltägliche Krisen, die hierzulande immer mehr Hochschüler plagen.“
Die Plage ist nicht hinzunehmen. Um das Hamsterrad zu verlassen, müssen die Ansprüche geweitet werden. Der Alltag ist unzweifelhaft nicht zu ertragen, sondern stark verbesserungs- und daraufhin ebenso diskussionswürdig. Der Streit für die Umkehr der tendenziellen gesellschaftlichen Entwicklungsrichtung - Zivilisation oder Barbarei - ist gleichermaßen lebendig, zutreffend und praktisch.
Frieden (d.h. die zivile dauerhafte, sozial-progressive, humane Entwicklung), Antifaschismus (d.h. die umfassende Realisierung sozialer und kultureller Gleichheit aller Menschen) und Emanzipation (d.h. die Vermenschlichung der Gesellschaft, also Beendigung von Ausbeutung, Verzweckung und Entfremdung des Menschen) bilden das Programm der Aufklärung. An konkreten Anlässen mangelt es nicht: Für den Nahen Osten muß eine Friedenslösung gefunden und entwickelt werden, der Einzug von Faschisten in die Hamburger Bürgerschaft ist ein vermeidbares Übel (NPD und DVU paktieren bundesweit), das Vorortprogramm imperialistischer Ausbeutungspolitik von Handelskammer und Senat (die ,,Wachsende Stadt“) bedarf der scharfen Opposition. In diese Auseinandersetzungen muß die Universität sich involvieren, mit kritischer Rationalität und kämpferischer Humanität, wider das Konkurrenzgebot von Etablierung, Exzellenz und Elite. Hierzu gehört auch das Engagement für einen erfolgreichen, weil solidarischen Gebührenboykott.
Auch hier läßt sich aus der Geschichte lernen. Dem gemeinsamen Aufruf der Hamburger ASten zum Studiengebührenboykott folgten 1970 rund 6.000 Studierende. Auch in anderen Bundesländern wurde zum Gebührenstreik aufgerufen. Am 16. April 1970 beschloß die Kultusministerkonferenz daraufhin auf Antrag Hamburgs, daß ab dem Wintersemester 1970/71 keine Studiengebühren mehr erhoben werden. Der erste demokratisch gewählte Präsident der Universität Hamburg Fischer-Appelt - frisch im Amt noch etwas schwankend - vereinbarte mit dem AStA, nach anfänglicher Unterstützung und einem kurzzeitigen Schwenk zur Drohung, schließlich die Befreiung der Boykotteure schon zum Sommersemester.
In der Erinnerung der 1970 aktiven Studierenden spielt der Gebührenboykott trotz des konsequenzenreichen Erfolges eher eine Nebenrolle. Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg, die Entwicklung einer Programmatik für die sozialistische Transformation der Bundesrepublik, die - auch literarische - Anteilnahme an den Befreiungsbewegungen der sogenannten dritten Welt prägen die Erinnerungen an eine Zeit, in der das BAföG als Vollzuschuß eingeführt, das Recht jede Vorlesung besuchen zu dürfen festgeschrieben, die Benotung in großen Teilen abgeschafft, zahlreiche mitgliedergruppendemokratische Gremien geschaffen und in den Wissenschaften die kritische Befassung mit der Gesellschaft erkämpft wurde.
Woher kamen die unglaubliche Lebendigkeit, der Optimismus, der Mut und das forsche Vorandrängen der Studierendenbewegung und was können wir für die heutigen Auseinandersetzungen lernen? Diesen Fragen wollen wir uns gemeinsam mit Beate Landefeld (damals Mitglied in der Hochschulgruppe MSB-Spartakus und heute im Herausgeberkreis der Marxistischen Blätter) auf einer Diskussionsveranstaltung widmen.
Diskussionsveranstaltung
Lernen aus dem Gebührenboykott von 1970
mit Beate Landefeld (damals in der Hochschulgruppe MSB-Spartakus)
am Dienstag, den 16. Januar 2007 um 18 Uhr
im Anna-Siemsen-Hörsaal der Erziehungswissenschaft (Von-Melle-Park 8)