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Aufklärung gegen Antihumanismus
,,Und geht es gut, so ist der Kapitalist ein tüchtiger Kerl, auch zeigt dies, daß die Wirtschaft nicht auf private Initiative verzichten kann.
Geht's aber schief, so ist das ein elementares Ereignis, für das natürlich nicht der Nutznießer der guten Zeiten, sondern die Allgemeinheit zu haften hat.
Wirf den Bankier, wie du willst: er fällt immer auf sein Geld.“
Kurt Tucholsky, 1932.
,,Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll auch vom Faschismus schweigen.“
Max Horkheimer.
Vollbeschäftigung, umfassende öffentliche Finanzierung von Bildungs- und Kultureinrichtungen, Ausbau der sozialen Sicherungssysteme und demokratische Partizipation, Abrüstung und Entwicklungspolitik sind historische Tatsachen. Sie waren Folge einer wohlfahrtsstaatlich orientierten Verteilungspolitik, die auf die Regulierung kapitalistischer Profitinteressen und allgemeine Nutzbarmachung des gesellschaftlich erarbeiteten Reichtums zielte.
1933 - wer nach der (Welt-)Macht greift
Die Durchsetzung dieser Politik gründete auf dem antifaschistischen Konsens der unmittelbaren Nachkriegsjahre: Weitverbreitete Einsicht war, daß die faschistische Herrschaft und Kriegführung im Interesse von Großindustrie und -banken lag. Sie hatten gemeinsam mit dem preußischen Junkertum in besonderer Weise faschistischen Terror und Propaganda gegen Demokraten, Sozialisten und Kommunisten in der Weimarer Republik unterstützt, sich nach 1933 an der Vorbereitung des Krieges und der anschließenden Versklavung und Plünderung Osteuropas sowie der Vernichtung der europäischen Juden beteiligt. Entgegen der Beteuerungen der Kapitalvertreter führte der Zweite Weltkrieg auch nicht zu einer massiven Schädigung der deutschen Wirtschaft - vielmehr ermöglichte der Arbeitseinsatz von ca. 14 Millionen Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen, daß es 1948 14% mehr und um ein Drittel jüngere Fabrikationsanlagen als 1935 gab. Die ,,Stunde Null“ ist ebenso eine Fiktion wie die durch einen unerklärbar-irren ,,Führer“ fanatisierten Massen.
Zum sozialen Wohlfahrtsstaat
Als 1945 die Losung ,,Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“ verbreitet wurde, war jedem klar, daß ihre Verwirklichung zumindest die weitreichende Einschränkung des Privateigentums an Produktionsmitteln - der Grundlage der politischen Macht der Unternehmer - voraussetzte. Dies wird beispielsweise in Volksabstimmungen in Hessen und Sachsen 1946 deutlich, in denen über 70% der Stimmberechtigten sich für die Vergesellschaftung der Eisen- und Rohstoffindustrie, staatliche Kontrolle von Banken und Versicherungen und in Sachsen auch für die gerechte Verteilung des Grundeigentums aussprachen.
Damit wurde offenbar, dass auch im Westen die politische Grundlage für einen Übergang zu einer sozialistischen Gesellschaftsform gegeben war. Als Zugeständnis mußten sich die von den West-Alliierten angesichts der Systemkonfrontation zügig rehabilitierten deutschen Industriellen und Vertreter des Finanzkapitals auf eine weitreichende sozialstaatliche Orientierung der entstehenden BRD einlassen. Sie begannen sofort, durch antikommunistische Propaganda und Wiederaufrüstungspolitik den ,,Kompromiss“ sozialstaatlicher Regulierung zu untergraben. Dagegen kämpften SPD und die bald verbotene KPD sowie die Gewerkschaften. Ihr Kampf war geprägt von der Tradition des antifaschistischen Widerstandes, richtete sich gegen Remilitarisierung und zielte auf die weitgehende Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Gesamtbevölkerung.
Für Reformen kämpfen
In Erinnerung der faschistischen Destruktion und der vorangegangenen und wegbereitenden Weltwirtschaftskrise war das aufklärerische Ziel, durch zunehmende solidarische Kooperation unter Gleichen in Kultur, Wissenschaften, internationaler Politik und Wirtschaft, die Menschen aus ihrer Abhängigkeit und Unmündigkeit zu befreien - gerade gegenüber den scheinbar naturgewaltigen Entwicklungen der Wirtschaft. Demokratisch organisiert sollten Planung und bewußte Gestaltung der ganzen Gesellschaft die Menschen der vollständigen Verfügung über ihre Lebensbedingungen näher bringen.
Noch einmal forciert wurde dieser Kampf, als Ende der 60er Jahre von der Studentenbewegung die öffentliche kritische Auseinandersetzung mit den faschistischen Verbrechen eingefordert wurde. Zusammen ermöglichten diese Bewegungen die Durchsetzung sozialer und demokratischer Reformen. Soziale Öffnung und Demokratisierung der Bildungsinstitutionen, Entspannungspolitik, Vollbeschäftigung, Steigerung des Reallohns, Sicherung und Erhöhung von Renten sowie Sozial- und Krankenversicherungsleistungen, Einrichtung von Geschichts- und Kulturwerkstätten, wachsende öffentliche Unterstützung von Theatern und Museen und die Förderung kritischen Geselschaftsbezugs in Kultur und Wissenschaft waren die unmittelbar spürbaren Erfolge dieses Kampfes.
Ende der Reformära
Die Reformära endete allerdings jäh, als die Unternehmerseite vor allem durch aggressive Preissteigerungen und zum Teil hausgemachte Außenhandelskrisen ihrerseits den Druck auf die fortschrittlichen Kräfte erhöhte. Diese hätten dagegen eine noch weitreichendere gesellschaftliche Regulierung des Produktionsprozesses anstreben müssen. Dies jedoch wäre einem Angriff auf die Grundlagen kapitalistischer Produktions- und Herrschaftsverhältnisse in neuer Qualität gleichgekommen. Die Regulierung der Preise, weitreichende Beteiligung der Beschäftigten in der Bestimmung von Zielen und Methoden der Produktion und letztlich doch die 1946 geforderte Vergesellschaftung der Produktionsmittel gegen den massiven Widerstand der Unternehmer wären durchzusetzen gewesen, um Vollbeschäftigung und den erreichten Standard sozialer Sicherung sowie demokratischer Beteiligung erhalten zu können. Wohl nicht zuletzt die krampfhafte Anstrengung sozialdemokratischer Führungspolitiker, sich von der Politik der Ostblockländer und der kommunistischen Kräfte in der BRD zu distanzieren (Berufsverbote für Kommunisten, SPD-Parteiausschlüsse für Mitglieder, die mit linkeren Organisationen kooperierten etc.), führte dazu, dass dem Druck der Kapitalseite nachgegeben wurde.
Neoliberale Gegenoffensive
Folgen waren wirtschaftliche Stagnation, steigende Arbeitslosigkeit und sinkende Reallöhne sowie Einschränkungen der öffentlichen Leistungen; allesamt fruchtbarer Boden für die Ideologie des Neoliberalismus: Wohlstand für alle sei ihr zufolge ,,offensichtlich“ nicht durch sozialstaatlich orientierte Verteilungspolitik, sondern - wenn überhaupt - nur durch die Deregulierung der Wirtschaftsbeziehungen zu erreichen. Konkret meint dies den Abbau von Arbeitnehmerschutz, Lohnsenkung, Senkung der Besteuerung von Vermögen und Unternehmensgewinnen zu Lasten des öffentlichen Sektors, Privatisierung oder Schließung öffentlicher Einrichtungen und Abbau angeblich schwerfälliger demokratischer Institutionen. All diese erkämpften Möglichkeiten für individuelle Entfaltung auf Grundlage demokratischer Organisation der gesellschaftlichen Entscheidungs- und Verteilungsprozesse werden seither als Angriffe auf die persönliche Freiheit denunziert.
Gegen-Aufklärung und Anti-Humanismus
Stattdessen wird von Arbeitgebervertretungen wie ihren politischen Handlangern die umfassende Konkurrenz gesellschaftlicher Institutionen wie der Individuen untereinander propagiert und umgesetzt. Denn erst im vollendeten ,,jeder gegen jeden“ könnten die menschlichen Individuen voll zu ihrem Recht gelangen. Sie könnten sich auf Grundlage genetischer oder kultureller Vorteile entweder durchsetzen oder unterordnen - auf jeden Fall aber durch ,,Demut vor den unpersönlichen und anonymen sozialen Prozessen (...), durch welche die einzelnen mithelfen, Dinge zu schaffen, die größer sind als sie selbst es wissen“, ein erfülltes Leben führen, so der Chef-Theoretiker des Neoliberalismus F. A. Hayek. Signifikant ist die dogmatische Unmündigkeits- und Ungleichheitsbehauptung, die dieser Politik zu Grunde liegt. Sie zielt darauf ab, die bestehende Ungleichheit zu naturalisieren und so ideologisch die Grundlage für die Verewigung kapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse zu schaffen. Verborgen wird sie im Versprechen individueller Freiheit (des Konsumenten und des Arbeitnehmers, der sein ,,human capital“ gemäß seiner Leistung steigern könne und dann mehr vom Kuchen bekäme etc.), die vor allem dadurch gekennzeichnet ist, das Individuen nicht in kollektive - also solidarische und demokratische - Prozesse eingebunden sind. Der Mensch soll seiner Gesellschaftlichkeit und damit seiner Menschlichkeit selbst entsagen.
So nimmt es auch nicht Wunder, dass diese politische Hegemonie mit dem Erstarken rechtspopulistischer, ja rechtsextremer Parteien wie der FPÖ, dem Front National von Le Pen oder der Schill-Partei und rechter Regierungen verbunden ist. Der Hamburger Bürgermeister Ole von Beust (CDU) erklärt angesichts sinkender Steueraufkommen: ,,Ich appelliere an alle: Jetzt dürfen keine nicht finanzierbaren Forderungen gestellt werden, sondern Verzicht ist das erste Gebot“, und auch der Bundeskanzler predigt neoliberale Verzichtsideologie. Wieder sollen sich die Menschen den urgewaltigen Anforderungen der Wirtschaft beugen. Vermögens- und Kapitalbesteuerung kommen nicht in Frage, jede Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums gefährdet angeblich die Gesellschaft selbst. Ähnlichkeiten der jetzigen Krise mit der vor 1933 werden beschworen, um jeden Versuch staatlicher Regulierung der Ungleichverteilung des gesellschaftlich vorhandenen Reichtums zu delegitimieren. Man wisse ja wohin das geführt habe. Beispielhaft ist hierfür der Publizist und (A-)Historiker Arnulf Baring. Er ruft in der FAZ - unter Verweis auf die zaghaften sozialdemokratischen Versuche zwecks Erhalt eines Stückchens Sozialstaat die Vermögensbesteuerung wieder einzuführen - nach dem Ende des heutigen ,,demokratische Regimes“ und bedauert: ,,Es scheidet also heute [im Gegensatz zur Weimarer Republik, d.V.] die Möglichkeit aus, mit Hilfe präsidialer Notverordnungen erforderliche, schmerzliche Reformen ohne das Parlament in die Wege zu leiten.“ Als sei nicht gerade in der Spätphase der Weimarer Republik gegen die Versuche einer sozialstaatlichen Fundierung der Demokratie mittels Notverordnung und Treibjagden der SA das schnöde Profit- und Herrschaftsinteresse der Unternehmen auf brutalste Weise durchgesetzt worden.
Politik gegen Rechts
Wenn sich in diesem Jahr die Machtübertragung an Hitler, die Bücherverbrennungen, die Verbote der Arbeiterparteien etc. zum siebzigsten Mal jähren und alle (Konzern-)Stiftungen, Parteien, Sender und Zeitungen im Wettbewerb um Deutungsmacht, Quoten und Absatzzahlen sich in effektheischerischen Verdrehungen der deutschen Geschichte ergehen, sollte man sich dieser Tatsachen erinnern. Die Strategien der Geschichtsklitterung sind bekannt. Durch den Verweis auf alliierte Bombardements, Vertreibung von Deutschen oder - gleich in Nazi-Terminologie - die ,,kommunistische Gefahr“, sollen die Gründe für über 60millionenfaches Sterben vergessen gemacht werden: dass nur der faschistische Angriff den Zweiten Weltkrieg mit allen seinen brutalen Folgen auslöste und dass der Aufmarsch der Faschisten in Deutschland und dann ganz Europa (nicht einzig durch aber auch) nicht ohne das schrankenlos verfolgte Interesse des deutschen Kapitals gelungen wäre. Deshalb sind tätige Erinnerung an die Verbrechen des Faschismus und an den Widerstand bürgerlicher Humanisten und der Arbeiterbewegung dagegen nicht vor allem moralische Verpflichtung; sie sind vielmehr notwendiger Bestandteil einer aufklärerischen Praxis gegen den Vormarsch neoliberaler Anti-Aufklärung und Brutalisierung.