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Kritische Vernunft oder pragmatisches Dienen?
,,Die Wissenschaft hat keine moralische Dimension. Sie ist wie ein Messer. Wenn man sie einem Chirurgen und einem Mörder gibt, gebraucht es jeder auf seine Weise.“
Wernher von Braun, Raketenforscher, der Mondreisen anstrebte; zunächst entwickelte er für die Nazis die ,,Wunderwaffe“ V2, nach 1945 forschte er für US-Armee und die NASA.
,,Was die wahre Freiheit und den wahren Gebrauch derselben am deutlichsten charakterisiert, ist der Mißbrauch derselben.“
Georg Christoph Lichtenberg, ,,Einfälle und Bemerkungen“, Heft L, 1796-1799.
Was wäre eine Welt ohne Waffen?
Ist ein menschenwürdiges Leben in der ebenso materiell wie an Erfahrungen und Erkenntnissen reichen Welt für alle möglich und nötig?
Und deshalb: Was und wofür lernen wir?
Die am Freitag vom Hochschulrat geheim gekürte potentielle Präsidentin der Universität beäugt diese Fragen im besten Falle teilnahmsarm.
In dem Gespräch mit den studentischen Vertretern des Akademischen Senats erklärte sie Krieg zum selbstverständlichen Mittel der Politik, befürwortete eine ,,Wehrbereitschaft“ der Bundesrepublik, konnte keine klare inhaltliche Grenze für die grundgesetzlich garantierte Freiheit der Wissenschaften ausmachen (z.B. ,,Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Art. 1 GG) und legitimierte ihre öffentliche Befürwortung der Kandidatur von Angela Merkel, obwohl sie auf Elemente des CDU-Programms (Sozialstaatszerstörung und Bundeswehr im Innern) hingewiesen war. Einen Zusammenhang von Universität und Sozialstaat sähe sie nicht (z.B. soziale Offenheit, demokratische Mitbestimmung und verantwortungsbewußter Gesellschaftsbezug). Studiengebühren befürwortet sie weiterhin. Der Zugang zur Hochschule möge nach ,,Leistungsstärke“ gestaltet werden, die wiederum nach ,,dem Individuum innewohnender“ Begabung ausfalle. Gender-Fragen (demokratische Gleichstellungs- statt Karriere-Fragen), darin die Bedeutung von Interdisziplinarität, verantwortungsvoller Praxisbezug und der aufgeklärten Gestaltbarkeit von Wissenschaftskonzepten, sind ihr fremd.
Sie will den Flug zum Mars. Irdisch hat sie ihren Platz in der Gesellschaft gefunden. (Sie kooperiert als Raketenforscherin mit Rüstungsunternehmen und militärischen Einrichtungen wie Bayern-Chemie/Protac und der NASA.) Das ist ihr unausgesprochenes Programm.
Damit steht diese Kandidatin in schroffer Gegnerschaft zu erfreulichen, praktischen Einsichten an der Hamburger Universität. Zum Zwecke mündigen Eingreifens für eine gerechte, demokratische und friedliche Welt (Leitbild) soll hier gelehrt und geforscht werden. In diesem Verständnis sind Einrichtungen der Friedensforschung, der lernende Umgang mit der Geschichte, die gruppendemokratische Mitbestimmung, der kooperative Nutzen der Fächervielfalt, die über dreißigjährige Gebührenfreiheit, die wissenschaftliche Internationalität gegen erhebliche Beharrung erstritten, entwickelt und verteidigt worden.
Die geschäftsmäßigen Absichten des CDU-Senats (betriebliche Zergliederung der Universität, Streichung zahlreicher Geisteswissenschaften) sind auf dieser Basis zurückzuweisen gewesen. Die soziale und kulturelle Herabwürdigung der Lernenden und Lehrenden durch Studiengebühren, ,,leistungs“-orientierte Bezahlung und trainingscamp-artige BA/MA-Studiengänge, die Abwicklung sozialer Bezüge im Studium und der (teil-)demokratischen Souveränität gegenüber dem Senat rufen deshalb begründete Opposition hervor.
In diesen Zeiten erforderlich und angenehm ist eine Universität, die sich couragiert dem kritischen Verstehen der menschlichen Verhältnisse für alle förderlich produktiv widmet. Diese Richtung muß von einer künftigen Universitätsleitung kollegial verantwortet und verwirklicht werden.
Am Donnerstag soll der Akademische Senat der Auswahl der Hochschulrats zustimmen. Tut er dies nicht, muß - in einem demokratisierten Verfahren - ein vernünftigerer Kandidaturvorschlag ermittelt werden.