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Bescheidenheit macht arm

"Die Raubritter in diesem Lande sind zu einem neuen Kreuzzug aufgebrochen. Als nächster gravierender Punkt steht nunmehr die Erhöhung der Erbschaftssteuer auf der Tagesordnung. ... Das ist Enteignung auf kaltem Wege. ...
Auch die Wiedereinführung der Vermögensteuer steht politisch auf der Tagesordnung. Für all das hat die Koalitionsregierung die intellektuelle Begründung vorbereitet, nämlich den sogenannten Armutsbericht. Angeblich sollen derzeit
die Armen ärmer und die Reichen reicher werden."


(Dr. Peter Spary, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes des Deutschen Groß- und Außenhandels)

"Was wir nicht brauchen, ist Sparen zu Gunsten der Familie Holtzbrinck mit einem geschätzten Familienvermögen von fünf bis sechs Milliarden Euro, denen die Vermögensteuer erlassen wird, um uns zu sagen, es ist kein Geld mehr für euch da für Lohnerhöhungen."

(Frank Bsirske, Vorsitzender der Gewerkschaft ver.di)

Der ver.di-Vorsitzende Bsirske stellte vor Weihnachten die Verbindung zwischen einer (geringfügigen) Abschöpfung großer Privatvermögen durch eine Vermögensteuer und Lohnsteigerungen im Öffentlichen Dienst her und nannte dabei auch Vermögen (inklusive der Vermögenden), die es wert wären, stärker besteuert zu werden. So gefährlich ist offenbar dieser Angriff auf die neoliberale Kapital-Normalität, dass die Gegenreaktion nicht lange auf sich warten ließ: Von einer "neuen Form von Stern an der Brust" und einer "schlimmen Parallele zu anderen Zeiten" (Roland Koch, CDU) und von "Pogromstimmung" wurde gesprochen. Jene, die Gewinne damit machen, indem sie andere für sich arbeiten lassen, seien Opfer; und zwar Opfer der unterdrückerischen Gewerkschaften. Anstatt in Kritik und Arbeitskampf sollten sich die Beschäftigten in Bescheidenheit und Dank üben. Zwecks Einschüchterung werden dafür kurzerhand die Profiteure der faschistischen Hatz auf die Arbeiterbewegung, der Judenvernichtung, der Aufrüstung, der Kriegführung und der Zwangsarbeiterversklavung mit den Opfern des Faschismus gleichgesetzt. Man fragt sich, welche Knüppel geschwungen werden, wenn die Gewerkschaften mal ein bisschen Umverteilung anstreben.

Während die Gewinne größerer Unternehmen steigen, sinken die Reallöhne seit den 90er Jahren - Umverteilung von Unten nach Oben. Ginge es nach den Unternehmen, soll dies fortgesetzt werden. Die von den Wirtschaftsforschungsinstituten festgestellte "anhaltend schwache Binnennachfrage", die als Ursache für "geringere[s] Wirtschaftswachstum und steigende Arbeitslosigkeit" ausgemacht wird, soll mit Bescheidenheit bei den Lohnforderungen beantwortet werden. "Alle müssen den Gürtel enger schnallen" macht wieder die Runde. Gemeint sind alle lohnabhängig Beschäftigten. Bescheiden, arm, glücklich?

Unglücklicherweise ermöglichen gerade höhere Löhne mehr Binnennachfrage und damit das viel beschworene "Aufleben" der Wirtschaft. Ein Erfolg der Gewerkschaften in der Tarifauseinandersetzung oder die Durchsetzung einer Vermögensteuer würden allerdings auch belegen, dass Verteilungspolitik von Oben nach Unten nicht in den publizistisch orakelten 'Zusammenbruch Deutschlands' führt, sondern zur Stabilisierung der öffentlichen Haushalte, zu mehr Arbeitsplätzen und mehr sozialer Sicherheit für alle. Warum sollte man da weiter bei so bescheidenen Forderungen bleiben? Genug gesellschaftlicher Reichtum für (auch sinnvolle) Arbeit, Bildung und Kultur für alle Menschen ist vorhanden; er ist nur umzuverteilen.

Bei all dem Geschrei um die Unverantwortlichkeit jeder Reform, die auf etwas mehr Gerechtigkeit zielt, wird also deutlich: Nicht um das Wohl einer mystischen Einheit "Deutschland" geht es, nicht um das letzte bisschen sozialer Sicherheit, sondern um die Beibehaltung der (zunehmend) uneingeschränkten Ausbeutung der Arbeitskraft vieler für den Reichtum weniger. Da ist Zurückhaltung kaum angesagt, wohl aber der solidarische Kampf für eine konsequente Reformpolitik, die ihren Namen verdient.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: juso-hochschulgruppe & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Mittwoch, den 8. Januar 2003, http://www.harte--zeiten.de/artikel_44.html