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Offener Brief an die Mitglieder des Akademischen Senats

[Kommentar zum Hintergrund: Die Mai-Sitzung findet im großen Hörsaal der Chemie statt, denn: die Studierenden sind mehrheitlich kritisch aufgebracht und zahlreich anwesend! Über die Politik des Rechtssenats, die Studiengebühren, die polizeilichen Prügel gegen protestierende Studierende und die bis dahin unklare Haltung der Universitätsleitung dazu. Alle müssen begreifen: angesichts der Kontrahenz von senatsgewollter ökonomischer Verzweckung von Mensch und Wissenschaft sitzen hier alle am selben Ort. Verständigung ist vonnöten und gelingt: Studiengebühren werden eindeutig abgelehnt, der Zusammenhang der Universität soll verteidigt, die Auseinandersetzung mit der Behörde gesucht werden!]

,,Keine Gesellschaft kann auf Dauer bestehen, wenn sie dem Reichtum einiger weniger den Vorrang gegenüber der Armut der Mehrheit gibt.“
Peter Ustinov, ,,Der Markt frißt seine Kinder“, 1. November 1997.

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Polizei rückt immer öfter auf den Campus. Knatternde Hubschrauber kreisen bisweilen über dem Philosophenturm. Die Politik mit ihren anderen Mitteln geht der wissenschaftlichen Einrichtung zu Leibe. Wo liegt Kaliningrad?

Der Zerstückelung der vielfältigen Einheit in Fakultäten entspricht die entwissenschaftlichende (auch soziale) Teilung des Studiums in Bachelor und Master; die Jagd nach Creditpoints erbringt weder Erkenntnis-, noch Persönlichkeits-, noch Gesellschaftsgewinn; die Unterfinanzierung drückt fortgesetzt wie ein zu enger Schuh; Studiengebühren sollen soziale Selektion und die Devotion der Käuflichkeit erzwingen; der Bauschutt legt sich auf Akten, Bücher und Gemüt.

Die lächelnd geschönte Misere ist das aktualisierte Erbe des einstigen Schill-Senats: die programmatische Förderung des privaten Reichtums, die intensivierte Drangsalisierung der Armen, das Verunglimpfen wie Verprügeln der Opposition, die kalte Ökonomisierung der öffentlichen Einrichtungen - die Hochschulen stehen in einer Reihe mit Kindertagesstätten, Schulen, Krankenhäusern, Geschichtswerkstätten, Frauenhäusern, Museen und Kulturzentren. Die Schlaglöcher in den Straßen sind zum alltäglich merklichen Symbol der staatlichen Verwahrlosung geworden.

Diese Lage ist unerfreulich und entspricht immer weniger den Belangen der Bevölkerung sowie einer verantwortlichen Wissenschaft.

Hier ist die demokratische Sorgfalt des Akademischen Senats gefordert. Verschüttete Ansprüche müssen neu zur Geltung gebracht werden: Freudige Aufklärung, demokratische Partizipation, soziale Nützlichkeit, gemeinschaftliche Zivilcourage und Persönlichkeitsentwicklung seien das moderne Credo der Universität.

Die Geleite sind in diesem Sinn beabsichtigt. Sie entsprechen allen Tagesordnungspunkten.

Mit ermunternden Grüßen,

Golnar Sepehrnia und Olaf Walther
Hamburg, den 6. Mai 2005

Veröffentlicht am Freitag, den 6. Mai 2005, http://www.harte--zeiten.de/dokument_427.html