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Juso-Landesarbeitskreis Gegen Rechts,
Juso-Landesarbeitskreis Wirtschaft und Soziales,
Juso-Landesarbeitskreis Frieden und Internationales,
Juso-Hochschulgruppe Uni Hamburg, Stellungnahme
Wachsender Widerstand
Inhaltsverzeichnis
0. Vorbemerkung: Das "Leitbild: Metropole Hamburg - Wachsende Stadt" - Vor-Ort-Programm für eine neue Phase imperialistischer Ausbeutungspolitik
I. Behauptungen und 'blinde Flecken' - Eine Einführung in das "Leitbild: Metropole Hamburg - Wachsende Stadt"
II. Wem nützt es und wem schadet es?
II.1 Erhöhung der Einwohnerzahl
II.2 Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum
II.3 Wohnbau- und Gewerbeflächen
II.4 Kultur, Tourismus, Städtebau
III. Konkrete Planungen für einzelne Politikbereiche
III.1 Wirtschaft: Survival of the fittest 'Standort' - survival of the profit
III.1.0 Privatisierung, Kommerzialisierung und Entdemokratisierung
III.1.1 Cluster : "Life Science"
III.1.2 Cluster : "IT/Medien"
III.1.3 Cluster : "Welthandel/China"
III.1.4 Fazit
III.2 Bildung
III.2.1 Schulen
III.2.2 Berufliche Qualifizierung
III.2.3 Hochschulen
III.2.4 Fazit
III.3 Kultur, Städtebau und Tourismus
IV. Wachsender Widerstand für ein solidarisches Hamburg
0. Vorbemerkung:
Das "Leitbild: Metropole Hamburg - Wachsende Stadt" - Vor-Ort-Programm für eine neue Phase imperialistischer Ausbeutungspolitik
Das vom Senat im Sommer 2002 beschlossene "Leitbild: Metropole Hamburg - Wachsende Stadt" (Senatsdrucksache vom 11.07.2002) spielt als zentrales Konzept des CDU/FDP/Schill-Senates für die Entwicklungsplanung der Stadt eine herausgehobene Rolle. Demzufolge wird in politischen Debatten regelmäßig und zunehmend die Bedeutung des Leitbildes thematisiert
Funktion und Reichweite des "Leitbild: Metropole Hamburg - Wachsende Stadt" werden gegenwärtig allerdings noch weitgehend unterschätzt. Die bisher öffentlich gewordene Kritik ist zwar in den meisten Fällen richtig bzw. nachvollziehbar, es fehlte bislang jedoch eine Gesamtschau, die die einzelnen Handlungsfelder und -vorgaben des Leitbildes auf ihr gemeinsames Ziel sowie die Wechselwirkung der verschiedenen Handlungsebenen hin beleuchtet und aufdeckt, dass sie in keiner Weise geeignet sind, die Lebensbedingungen der Bevölkerung in dieser Stadt zu verbessern.
Das mit dem "Leitbild: Metropole Hamburg - Wachsende Stadt" verfolgte Ziel ist, Hamburg unter den ideologischen Vorgaben des Neoliberalismus 'fit' zu machen für den Kampf aller gegen alle im internationalen Wettbewerb. Als "Wachsende Stadt" soll sich Hamburg bei der Herstellung optimaler Kapitalverwertungsbedingungen für die vor Ort ansässigen Unternehmen gegen andere Regionen durchsetzen, wobei das verfügbare Potential an Arbeitskräften als wichtigster "Standortfaktor" gesehen wird. Die Stadt soll sich als expandierendes Unternehmen verstehen, das sich auf die 'profitabelsten' Kernbereiche konzentriert und diese ausbaut, um Konkurrenten 'Marktanteile' abzunehmen. Die "Wachsende Stadt" Hamburg soll insofern eine Agentur zur Beschaffung, Wiederherstellung und Veredelung von "Humankapital" (gemeint sind Menschen) für klar definierte Wirtschafts-Cluster sein. Für diese Kernbereiche sei das 'Arbeitskräftepotential' der Stadt durch Anwerbung von 'High Potentials' und verwertungsorientierte Qualifizierung zu optimieren. Bestehende und potentielle Konflikte solllen durch Brot (unsicherer und bescheidener Wohlstand für Fachkräfte, Almosen für Bedürftige) und Spiele (Corporate Identity, alltägliche Berieselungskultur und spektakuläre Events) befriedet werden. So nicht zu verschleiernde Widersprüche sollen restriktiv verdrängt werden, indem die betroffenen Menschen marginalisiert, also von der aktiven Gestaltung ihrer Lebensbedingungen ausgeschlossen, oder vertrieben werden.
Das "Leitbild: Metropole Hamburg - Wachsende Stadt" ist ein Vor-Ort-Programm für eine neue Phase imperialistischer Ausbeutungspolitik: Zum Schaden anderer Welt- und Bundesregionen, wie auch derjenigen Hamburgerinnen und Hamburger, die darauf angewiesen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Daher verwundert es auch nicht, dass das Leitbild auf einer Standort-Analyse der Unternehmensberatungsfirma McKinsey beruht, wohingegen es keine demokratische Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger (nicht einmal des Landesparlaments, der Hamburgischen Bürgerschaft) an der Entwicklung des Leitbildes gab. Daran ändern auch Demokratiesimulationen wie der 'Ideenwettbewerb Wachsende Stadt' und folgenlose Internet- Foren nichts.
Diese Broschüre zur Aufklärung über das "Leitbild" des Rechtssenates zielt darauf, dem Konzept "Wachsende Stadt" wachsenden Widerstand entgegenzusetzen. Es geht darum, eine Perspektive für die soziale und demokratische Entwicklung der Stadt zu erarbeiten und zu erkämpfen. Ziel muss sein, dass Hamburg initiierendes Modell und "Leitbild" für eine solidarische Welt wird, anstatt Antreiber in der weltweiten Konkurrenz der 'Wachsenden Städte'. Ein erster Schritt dazu ist ein schnellstmögliches Ende des Rechtssenates.
Hamburg, August 2003
Juso-Landesarbeitskreis Bildung,
Juso-Landesarbeitskreis Gegen Rechts,
Juso-Landesarbeitskreis Wirtschaft und Soziales,
Juso-Landesarbeitskreis Frieden und Internationales,
Juso-Hochschulgruppe Uni Hamburg
I. Behauptungen und 'blinde Flecken'
Eine Einführung in das "Leitbild: Metropole Hamburg - Wachsende Stadt"
Der Senat gründet das Leitbild auf der Annahme, dass die Beziehungen der Stadt und der Metropolregion Hamburg (das ist Hamburg mit allen umliegenden Landkreisen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein) nach außen dauerhaft durch die Konkurrenz der Wirtschaftsstandorte geprägt würden. In dieser Konkurrenz - beschönigend "Wettbewerb" genannt - solle Hamburg sich auf Kosten anderer bundesdeutscher, aber auch Weltregionen behaupten; neu wäre daran, dass nicht mehr Nationalstaaten, sondern Regionen konkurrierten. Die Regulierung oder gar Überwindung der Konkurrenz sei weder möglich noch anstrebenswert.
Deshalb solle die bereits in den letzten 15 Jahren wachsende Zahl der Einwohner erhöht werden, weil jeder Einwohner durch den Länderfinanzausgleich eine Stärkung des Hamburger Haushaltes mit sich bringe. Zu befördern sei dies durch eine differenzierende Bevölkerungsstrukturpolitik, die das 'Erwerbspersonenpotential' erhöhe - das heißt, dass kaum oder gar nicht arbeitsmarktkonforme Bevölkerungsgruppen ausgrenzt werden sollen während gleichzeitig darauf gebaut wird, dass mit der Abwerbung "kreativer Köpfe" (S. 10) aus strukturschwachen Ländern, aber auch aus ländlichen bundesrepublikanischen Regionen, deren aktueller Konkurrenznachteil dauerhaft verstärkt, die 'human ressources' des Standortes Hamburg jedoch verbessert werden.
Vom Zuzug nach Hamburg verspricht sich der Senat jährlich Mehreinnahmen von 3000 Euro pro Kopf. Zudem geht er ohne erkennbare Herleitung von einem Wirtschaftswachstum von 25 Mio. Euro pro Jahr aus. Trotz angeblich steigender Ausgaben z.B. im Bildungsbereich, sei so die "Wachsende Stadt" ein Beitrag zur "Konsolidierung" des Landeshaushaltes. Und das, obwohl der Senat selbst darlegt, dass bei vergleichbar bleibender Steuerpolitik die Einnahmen des Staates bundesweit zurückgingen. Hier wird deutlich, dass die angestrebte zugespitzte Konkurrenz der Regionen für den 'kooperativen Föderalismus' (also die gemeinschaftliche und solidarische Aufgabenwahrnehmung durch Bund und Länder) keinen Platz lässt.
Der Senat beantwortet den Widerspruch zwischen angestrebter Wirtschaftsfreundlichkeit und der Notwendigkeit, öffentliche Aufgaben angemessen zu finanzieren, wie selbstverständlich zu Lasten öffentlicher Gestaltungsmöglichkeiten und sozial Benachteiligter. "Auch für die Aufgaben für die Wachsende Stadt ist das Prinzip der Bestandsfinanzierung zu beachten. Neue Prioritäten im Gesamthaushalt müssen durch Umschichtung und Einsparung an anderer Stelle finanziert werden." (S. 16) Dafür sei eine "flächendeckende Aufgabenkritik" (S. 15) zu vollziehen - also sämtliche staatlichen Ausgaben zu überprüfen und gegebenenfalls fallen zu lassen oder in private Hände zu übergeben. Aktuelle Folge ist die Privatisierung öffentlich organisierter und solidarisch finanzierter Einrichtungen zur Befriedigung von Grundbedürfnissen (u.a. durch Krankenhäuser, Bildungsinstitutionen, in der Wasserversorgung und der Wohnraumpolitik). Die darin angelegte Profitorientierung verschärft soziale Ungleichheit und beraubt die öffentlichen Institutionen - soweit entwickelt und erhalten - ihres sozialen, kritischen und emanzipatorischen Gehalts.
Als wichtig erachtet der Senat auch die Kooperation mit Nachbarländern, da das Wachstum der Region eine übergreifende Infrastrukturpolitik brauche. In diesem Kontext wird der Status als Stadtstaat als Konkurrenznachteil wahrgenommen, während er für die Interessenvertretung im internationalen Maßstab - v.a. auf Ebene der EU - als Vorteil gilt. Die entscheidende Veränderung gegenüber allen bisherigen Konzepten von Standortpolitik ist der allumfassende Ansatz des Leitbildes: Die Nützlichkeit für die Förderung von klar definierten ökonomischen Wachstumsfeldern, sogenannten Clustern, auf die sich die Wirtschaftsförderung konzentrieren soll, wird zum letztlich bestimmenden Maßstab politischer Entscheidungen gemacht - mit konkreten Aufgabenbeschreibungen und -ableitungen für restlos jedes politische Handlungsfeld.
Zur Effektivierung dessen müsse demnach die klassische Wirtschaftspolitik (Verkehrsinfrastruktur, Gewerbeflächen, Forschungsinfrastruktur, niedrige Gewerbe- und Unternehmensbesteuerung und hohe staatliche Subventionierung von Wirtschaftsprojekten) um die Förderung sogenannter 'soft skills' erweitert werden, die nun von entscheidender Bedeutung für den "Standort" seien: Sauberkeit, Sicherheit, Bildungs- und Ausbildungsangebote, kulturelles Angebot, intakte Umwelt, Lebensqualität, 'ansprechendes' städtebauliches Gesamtbild und Lebenshaltungskosten werden im Leitbild als solche aufgeführt.
Bedauert wird, dass es aufgrund der schlechten Haushaltslage leider nicht möglich sei, die Besteuerung der Unternehmensaktivitäten weiter zu senken. Jedoch müsse man auf EU-Ebene gegen den Einsatz 'illegitimer' steuerpolitischer Mittel durch die Benelux-Staaten vorgehen und selbst die legalen Mittel - am Rande der Übervorteilung von Wirtschaftsinteressen durch staatliche Zusicherungen und Subventionierung - voll ausschöpfen.
Bedürfnisse der Gesamtbevölkerung, die sich nicht in der Selbstoptimierung für den Arbeitsmarkt und darauf gründendem bescheidenen Wohlstand erschöpfen, werden von diesem Senat programmatisch missachtet, ihre Verwirklichung aggressiv bekämpft: So schweigt sich der Senat im "Leitbild" letztlich über die Befriedigung der Bedürfnisse und Interessen älterer Menschen aus; werden sozial Schwache und gesellschaftlich Diskriminierte als mittelfristig aus Hamburg zu beseitigende Objekte politischen Handelns betrachtet. Das Leben in den Quartieren, Stadtteilkultur und die Erfordernisse der Integration von Einwanderern werden ausschließlich unter Verwertungsgesichtspunkten behandelt und bleiben weitgehend unberücksichtigt. Im Bereich der Medizin werden Entwicklungserfordernisse - beispielsweise aufgrund der demografischen Entwicklung - vernachlässigt. Wissenschaftliche Entwicklung, die den Menschen und die Verbesserung der Lebensbedingungen aller in den Mittelpunkt stellt, soll Forschung und Lehre weichen, die wirtschaftlichen Profit- und Verwertungsinteressen dient. Kultur und Geschichtserforschung wie - pflege in den zahlreichen öffentlich geförderten oder öffentlichen Einrichtungen soll der verwertungskonformen Hegemonieabsicherung dienen, nicht der kritisch-demokratischen Weltaneignung aller. Damit sind nur einige 'blinde Flecke' genannt. Sie sind nicht Ergebnis behördlicher Nachlässigkeit, sondern notwendige Folge der neoliberalen Verwertungs-Doktrin des Rechtssenats: Standort, Standort über alles.
II. Wem nützt es und wem schadet es?
Die folgende Schaden-Nutzen-Analyse ist in ihrer Struktur an den in Teil II des "Leitbild: Metropole Hamburg - Wachsende Stadt" formulierten Entwicklungszielen orientiert.
II.1 Erhöhung der Einwohnerzahl
Gewollt ist nur der Zuzug, respektive Nicht-Wegzug, von sogenannten 'High Potentials', also vor allem von jungen, hochqualifizierten Arbeitskräften, Azubis oder Studierenden aus dem In- und Ausland. Für diese solle dann auch Familien- oder Wohnungsbaupolitik gemacht werden, für alle anderen nicht oder nur soweit dies zur sozialen Befriedung notwendig erscheint. Besonders deutlich wird das im Abschnitt Zuwanderung, wo die Eindämmung der Aufnahme von Kriegs- und Krisenflüchtlingen und die zunehmende Abschiebung von Asylbewerbern gefordert wird. Gleichzeitig sorgt der Senat für mehr Flüchtlinge und Asylbewerber, indem sich Hamburg international im "Wettbewerb um exzellente Köpfe" (S. 48) behaupten soll und so zur Verschlechterung der Situation benachteiligter Regionen beiträgt. Kurz: Gut verwertbare sogenannte human ressources, also Menschenmaterial: Ja. Alle anderen: Weg damit.
II.2 Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum
Die Wirtschaftsstruktur, und damit alle Infrastruktur- und Rahmenbedingungen (also alle Bildungseinrichtungen, Verkehrswege, die 'Anwerbung' von Zuwanderern etc.) seien auf sogenannte Cluster auszurichten. "Cluster sind regionale Ansammlungen von Unternehmen und Institutionen (z.B. Forschungs- und Bildungseinrichtungen) in einer Branche, die miteinander kooperieren. Cluster dienen dem Aufbau von Standort- und Wettbewerbsvorteilen durch höhere Produktivität, der Schaffung eines Innovationssprungs und der vermehrten Gründung neuer Unternehmen." (S. 20) Und: "Zu den vom Senat identifizierten sechs Wirtschaftsschwerpunkten (oder Clustern) zählen Lebenswissenschaften [...], Nanotechnologie, IT/Medien, Luftfahrt, Hafen/ Logistik und Welthandel/China." (Aus dem Bericht der 'Expertenkommission' zur "Strukturreform für Hamburgs Hochschulen", S. 41) Dies sind genau diejenigen Bereiche, auf die sich fast jeder 'Wirtschaftsstandort' der Republik konzentriert - survival of the fittest 'Standort'. Diese weitestmögliche Ausrichtung aller Rahmenbedingungen auf die aussichtsreichsten Wettbewerbsfelder der Privatwirtschaft bedeutet eine Zuspitzung der Ausbeutung, da durch die Clusterorientierung ganze Bereiche, die weniger lukrativ, aber gesellschaftlich notwendig sind, programmatisch ausgeblendet werden sollen.
Für diese Wirtschaftspolitik ist die Bevölkerungsstrukturpolitik ein wesentliches Mittel. Denn: "Die Einkommens- und Beschäftigungschancen einer Region sind im hohem Maße von der Humankapitalausstattung abhängig. Die Akkumulation von Humankapital wird zunehmend zu einem treibenden Faktor des wirtschaftlichen Wachstums." (S. 20) Vordergründig beschreibt dies schlicht die Notwendigkeit immer höherer Qualifizierung von immer mehr Menschen angesichts höher entwickelter Produktionserfordernisse. Letztlich ist das Ziel aber, die Ausbeutbarkeit durch Höherqualifikation zu steigern, ohne dabei gleichzeitig die Fähigkeit zur selbstbewussten Lebensgestaltung zu erhöhen. Wesentliches strategisches Element zur Durchsetzung dieser Orientierung soll die vollständige Neustrukturierung der Hamburger Hochschulen sein, die einerseits ein auf die Cluster abgestimmtes Sortiment an willigen, wissenschaftlich qualifizierten Facharbeitern anbieten sollen und gleichzeitig mit ihren Forschungsleistungen in den Bereichen der Cluster als staatliche Dienstleister und Schrittmacher fungieren solllen, wo kommerzielle Forschung noch nicht unmittelbar rentabel ist. Der Rechtssenat stellt sich die ständige Ausweitung und Optimierung der arbeitenden Masse zur Verwertung vor. So sind "die Aus- und Weiterbildungsstruktur entsprechend der konkreten Bedarfe der Betriebe weiter auszubauen. [...] Um Vorreiter zu werden, gilt es 'Lebenslanges Lernen' frühzeitig als Leitbild bei Arbeitskräften und Unternehmen zu verankern und Instrumente zur Früherkennung von Qualifikationsbedarfen zu entwikkeln. Zugleich ist es notwendig, die guten Qualifikationspotentiale von Frauen besser zu nutzen." (S. 20) Qualifizierung spiele eine Vorreiterrolle als "strategisches, strukturpolitisches Handlungsfeld" (S. 21) zur Profitmaximierung in der ganzen Stadt und sei selbst "Wachstumsfeld[ er] par exellance", (S. 21) nicht jedoch Mittel, kritische Handlungsfähigkeit für individuelle Entfaltung und allgemeine Nützlichkeit zu erlangen.
Zur Arbeitsmarktpolitik heißt es: "Unzureichendes Arbeitsplatzangebot, hohe Arbeitslosigkeit und die für das Ziel der wachsenden Stadt notwendige masssive Zuwanderung sind die Herausforderungen, auf die eine arbeitsmarktpolitische Strategie eine Antwort finden muss." (S. 23) Diese Antwort wird im Leitbild nur unter der Prämisse gegeben, dass tendenziell kein soziales Problem gelöst, jedoch mehrheitlich die 'Problemfälle' auf Kosten anderer Regionen aus der Stadt und dem städtischen Alltag verdrängt werden: Sie sollen andere Staatssäckel belasten.
II.3 Wohnbau- und Gewerbeflächen
Hamburg soll zwar als "grüne Metropole" erhalten bleiben, trotzdem ist "Flächenrecycling" (S. 17) angesagt. Dafür sollen Kleingärten und Brachflächen, aber auch die landwirtschaftlichen Flächen im Süden für Mittelstandswohnförderung und Gewerbeflächen genutzt werden. 'Nachhaltigkeit' wird dabei zwar betont, jedoch wird auch jedes mal hervorgehoben, dass die wirtschaftlichen Interessen Vorrang haben. Dazu zählt auch, dass die Abwanderung von 'High Potentials' ins Hamburger Umland gestoppt werden soll. Dies ist auch die Zielgruppe bei der Neu-Erschließung bestehenden Wohnraums - die Privatisierung von SAGA-Wohnungen und mietttreibende Sanierung älterer Stadtzüge sind schon jetzt als Folgen dessen zu beobachten. Sozial Schwache werden gerade über diese Wohnraumpolitik aus der Stadt gedrängt. Diese auch unter dem Begriff 'Gentrification' diskutierte und auch in Hamburg schon länger zu beobachtende Tendenz zum flächendeckenden Phänomen werden zu lassen, ist bewusste Zielsetzung der neuen Senatspolitik.
II.4 Kultur, Tourismus, Städtebau
Kultur bestehe aus "städtebaulichen und architektonischen Projekten, kulturellen Veranstaltungen, Events, Festspiele[n], um Hamburgs Strahlkraft ausbauen zu können und die Unverwechselbarkeit des Standortes zu einem internationalen Markenzeichen entwickeln zu können. [...] Insbesondere Sportveranstaltungen und Kulturereignisse sind eng mit dem Standortmarketing und der Tourismusförderung verbunden." (S. 23) Kultur soll die wachsenden Widersprüche kompensieren und Akzeptanz für die Ideologie organisieren, Ausbeutung, Konkurrenz und Ungleichheit seien natürlich. Weiterhin soll sie unmittelbar Profit abwerfen und als Marketing dazu dienen, Touristen sowie insbesondere Investoren und 'High Potentials' anzulocken.
Eine emanzipatorische Kultur, die die wachsenden Widersprüche reflektiert, um auf ihre Überwindung hin handlungsfähig zu machen, steht der Profitrealisierung entgegen. Sie ist ein Angriff auf die Senatspolitik.
III. Konkrete Planungen für einzelne Politikbereiche
Aus den Entwicklungszielen des "Leitbild: Metropole Hamburg - Wachsende Stadt" werden vom Rechtssenat für verschiedene Politikbereiche und damit einzelne Fachbehörden Handlungsziele und Arbeitsaufträge abgeleitet:
III.1 Wirtschaft:
Survival of the fittest 'Standort' - survival of the profit
Der Hamburger Rechtssenat will den Erhalt und die Ausweitung der Profite im Interesse der Kapitaleigener gegen die Bevölkerung Hamburgs und anderer Regionen durchsetzen. Bei der planmäßigen Unterwerfung aller Bereiche gesellschaftlichen Lebens unter die Verwertungslogik setzt der Senat auf staatsdirigistische Elemente, die eine Art 'rechter Nachhaltigkeit' ermöglichen sollen: Rahmenbedingungen, derer die Privatwirtschaft bedarf, die aber der Markt selbst nicht hervorbringen kann, sollen dirigistisch durchgesetzt werden.
Diese vollständige Zurichtung auf kapitalistische Verwertungsinteressen ist die notwendige Antwort der Kapitalseite darauf, dass die bisherigen Profitraten unter den Bedingungen des sozialstaatlichen Kompromisses der 'Sozialen Marktwirtschaft' nicht mehr gewährleistet werden können.
Diese aktuelle Krise lässt sich nur über ihre historische Herleitung verstehen: Aus der Erfahrung des Faschismus, der in ungefesselter Brutalität auf die Profitsteigerung auf Kosten von Produktivität, Lebensbedingungen und dann auch des Lebens selbst zielte, wurden weitreichende Lehren gezogen, die nach 1945 weit bis in das bürgerliche Lager, bis in die Wählerschaft der CDU hinein, geteilt wurden. Kommunisten, Sozialisten, Sozialdemokraten und bürgerliche Humanisten kämpften gegen die Unterwerfung des Menschen durch den Menschen. Insbesondere für die Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien und die Zerschlagung der Monopole als wichtigem Schritt, die Grundlagen von Faschismus und Krieg zu bekämpfen, wurde in Ost- und Westdeutschland gestritten.
Dieser Schritt gelang in Ostdeutschland, wurde jedoch in Westdeutschland unter der Besatzung der westlichen Alliierten mit Beginn der kapitalistischen Restauration und unter Beförderung wirtschaftlicher und nationalistischer Eliten weitgehend verhindert. Die 'Soziale Marktwirtschaft' wurde als Kompromiss gegen die weitreichenden Reformbestrebungen etabliert, um angesichts der Lehren aus Faschismus und Krieg und der Systemkonkurrenz mit der Sowjetunion durch soziale Zugeständnisse die Umwälzung der Grundverhältnisse zu verhindern, also das Privateigentum an Produktionsmittel zu schützen.
Indem für alle Menschen im Rahmen dieses Kompromisses durch Wiederaufbau, die errungenen sozialen Absicherungen und höheren Einkommen ein höherer Lebensstandard entwickelt wurde, stiegen auch Nachfrage und Profitmöglichkeiten rapide an. Auf dieser Basis konnten fortschrittliche Kräfte in den 1970ern einige weitreichende Reformen zur Verfügungserweiterung der gesellschaftlichen Mehrheit erkämpfen, wie z.B. die demokratische Massenuniversität, deutlich verbessserte Sozialversicherung, Ausbau öffentlicher Gesundheitsversorgung, die Bildungsexpansion und Demokratisierungen. Auch diese Reformen hatten das Potential, die Besitzverhältnisse umzuwälzen. Um angesichts nahezu erreichter Vollbeschäftigung gesellschaftliche Regulierung des Verhältnisses von Wachstum und Reallöhnen aufrecht zu erhalten, hätte jedoch die Unternehmerseite bei der Festlegung der Preise eingeschränkt werden müssen, da ansonsten mittels Preissteigerung die Lohnszuwächse untergraben werden konnten. In dieser Situation entschied sich die reformistische Linke aber dafür, statt die notwendigen nächsten Reformschritte in Angriff zu nehmen, die bereits erreichten Errungenschaften zu verwalten und so gesellschaftliche Stagnation in Kauf zu nehmen.
So konnte die Kapitalseite Anfang der 80er Jahre eine Wende der politische Hegemonie erreichen, die versprach, dass es allen besser ginge, wenn es 'der Wirtschaft' gut ginge, also das Kapital Profite mache.
Die politisch durch Deregulierung internationaler Kapitalflüsse eingeleitete und darüber hinaus forcierte wirtschaftliche Globalisierung wurde und wird von den politischen Zuarbeitern internationaler Anleger betrieben, um den sozialstaatlichen Kompromiss durch internationalen Konkurrenzdruck außer Kraft zu setzen, und so die Profitsteigerung auf Kosten des einzigen variablen Faktors zu realisieren: auf Kosten der Arbeit. Die sozialstaatlichen Absicherungen wurden dafür ausgehöhlt.
Da die relativ sinkenden Reallöhne die Nachfrage und damit auch die Produktion verringern, wird die Steigerung des Profits nur bei gleichzeitiger, mittels Konkurrenz und Brutalisierung durchgesetzter, weiterer Verringerung der Arbeitskosten, also weiterer Senkung der Reallöhne möglich. Dies ist kein konjunkturelles Problem, sondern eine Abwärtsspirale aus sinkender Produktion und sinkender Nachfrage, die durch die Umverteilung von Arm zu Reich beschleunigt wird und vom Kapital und seinen Lobbyisten politisch, kulturell und repressiv befördert wird.
Privatisierung öffentlicher Einrichtungen, Sozial- und Bildungsabbau, Entdemokratisierung und kulturelle Verdummung, Zwangsbeschäftigung und Abschiebung sind daher notwendige Bestandteile der vom Rechtssenat betriebenen und von den Unternehmensverbänden gestützten Politik zur Mehrung des Profits.
Die Antwort auf die Krise der 'Sozialen Marktwirtschaft' kann nicht die Verteidigung eines historischen Status quo sein. Zur 'Sozialen Marktwirtschaft' zurück zu wollen, ist kleinmütig, rückwärtsgewandt und utopisch zugleich: Vielmehr steht die Umkehr der jetzigen Entwicklung durch die umfassende Realisierung der Lehren aus Faschismus und Krieg heute weiterhin an. Um aus Entwürdigung und Verfügungslosigkeit herauszutreten, muss mit der strategischen Zielsetzung umfassender Vergesellschaftung für bedarfsdeckende öffentliche Finanzierung gesellschaftlicher Aufgaben wie Bildung und Gesundheit, für Vollbeschäftigung und den Erhalt und Ausbau sozialer Sicherungssysteme sowie demokratischer Verfügung über Bildung und Kultur, für offene Grenzen für alle Menschen und für die Vergesellschaftung von Großbanken und -konzernen als wegweisende Erfordernisse einer fortschrittlichen gesellschaftlichen Entwicklung gestritten werden.
III.1.0 Privatisierung, Kommerzialisierung und Entdemokratisierung
Der Senat kündigt in seinem Leitbild an, was er in seiner politischen Praxis bereits umsetzt: Den unhaltbar gewordenen Kompromiss zugunsten der Profitsteigerung aufzulösen. In dem Senatskonzept werden die Einzelpläne für die neoliberale Umgestaltung der Gesellschaft zusammengefasst und miteinander strategisch verknüpft.
Alle öffentlichen Institutionen sollen auf das Ziel ausgerichtet werden, den Unternehmensstandort Hamburg durch besseren Zugang zu allen wichtigen Ressourcen attraktiver zu machen. Den Unternehmen soll ein Höchstmaß an Profitabilität der Produktionsfaktoren geboten werden, damit sie den Renditevorgaben der Finanzkapitalanleger entsprechen können. Die solidarische Sicherung des Lebensstandards ist dafür hinderlich; Risiko und Kosten der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit sollen von jedem individuell getragen werden (ob es um Wohnen, Bildung oder Gesundheit geht) während der Wert, den die Arbeit des Einzelnen über die durchschnittlichen Kosten seiner Reproduktion hinaus hervorbringt, von den Kapitalanlegern abgeschöpft werden soll. Besonders angegriffen ist daraufhin solche soziale Absicherung, die nicht der Wiederherstellung ausbeutbarer Arbeitsfähigkeit dient, wie z.B im Falle von chronischer Krankheit und im Alter.
Die öffentliche Infrastruktur - von Straßen über Krankenhäuser bis zu Schulen - soll zur Steigerung der Attraktivität des Standortes für Unternehmen in den Dienst genommen werden. Durch Privatisierung zu Schleuderpreisen kann die Stadt den Konzernen in relativ kurzer Zeit eine Infrastruktur zur Verfügung stellen, die sie flexibel auf ihre Bedürfnisse abgestimmt organisieren können. Die anstehenden Richtungsentscheidungen sollen in privatwirtschaftlichem Interesse gefällt werden. Die öffentliche Infrastruktur und die teilweise demokratische Verfügung über sie wurden hart erkämpft. Der Angriff des Rechtssenates auf diese Errungenschaften verdeutlicht, dass ihr Erhalt, Ausbau und weitergehende Demokratisierung bereits an den Grundverhältnissen rüttelt, und daher in der Auseinandersetzung um die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und damit um die Verfügung über die eigenen Lebensbedingungen, strategische Bedeutung hat. Von links ist daher kein Kompromiss mit der Senatspolitik zu formulieren.
Im Folgenden wird an beispielhaften Privatisierungs- und Kommerzialisierungsvorhaben des Senates im Rahmen der Cluster-Orientierung der Bedarf der Profitwirtschaft kenntlich gemacht. Die Cluster-Orientierung ist ein umfassendes Projekt zur Kommerzialisierung der gesamten Stadt. Neben den industriellen Clustern "Nano- und optische Technologien" und "Luftfahrtindustrie" sowie dem traditionellen Hamburger Schwerpunkt auf "Hafen und Logistik" sollen auch die Cluster "IT und Medien", "Welthandel/ China" und "Life Science" Wachstumschancen ausschöpfen. Die Stadt soll als Dienstleister auch die Menschen und ihre Lebensbedingungen als Infrastruktur für die Unternehmen eines Clusters zur Verfügung stellen. Im geplanten "One-stop-shop" (S. 45) sollen Anlegern und Unternehmensleitungen alle Infrastrukturbedingungen auf einen Schlag bereitgestellt oder gegebenenfalls erst
geschaffen werden. Die Wirtschaft soll nicht den Menschen dienen, sie soll sich nicht einmal mehr mit ihnen auseinandersetzen müssen: Die gesamte Stadt soll nur noch Material sein.
III.1.1 Cluster : "Life Science"
Die Dimension der Entdemokratisierung, die zur Profitorientierung notwendig ist, wird am Vorhaben deutlich, den Landesbetrieb Krankenhäuser (LBK) zu verkaufen.
Der LBK sichert als größter staatlicher Krankenhauskomplex Europas die medizinische Versorgung der Hamburger Bevölkerung und des Umlandes. Er bietet beste Voraussetzungen, den Krankenhausbetrieb als gemeinwohlorientierten öffentlichen Betrieb auszubauen, indem mittels massiver staatlicher Investitionen bedürfnisorientierte Gesundheitsversorgung praktiziert und durch die enge Verzahnung mit innovativer Forschung und der praktischen Anwendung neuer Produkte und Verfahren weiterentwickelt wird, wobei sinnvolle Arbeitsplätze und damit Nachfrage und soziale Sicherheit geschaffen werden.
Das hohe Potential des LBK charakterisiert der Senat ausschließlich im Zusammenhang mit der Clusterorientierung, in der die Gesundheitsversorgung zusammmen mit den Bereichen Biotechnologie, Medizintechnik und Pharma den "Kompetenz-Cluster Life Science" im Konzept der Wachsenden Stadt bildet. So soll nicht die Versorgung der Bevölkerung mit hochwertigen medizinischen Dienstleistungen im Mittelpunkt der Wachstumsund Beschäftigungsstrategie stehen, sondern größtmögliche Rendite privat zu investierenden Kapitals. "Das hervorragende Angebot gerade an hochspezialisierten klinischen Versorgungsleistungen ist auch international von hohem Ansehen. Es unterstreicht Hamburgs Bedeutung als Gesundheitsstandort und wird vor dem Hintergrund des freien Dienstleistungsverkehrs der EU zunehmend an Bedeutung gewinnen." (S. 31 f) Eine adäquate Gesundheitsversorgung richtet sich nach dieser Orientierung nicht mehr am Wohle aller Menschen aus, vielmehr sei durch Kostensenkung und Spezialisierung zu Lasten der medizinischen Versorgung eine Erhöhung der Gewinne anzustreben. Dabei betreffen Kostensenkungen gerade auch die Personalkosten, so dass auch mit der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und einem Verlust von Arbeitsplätzen zu rechnen wäre, der sich nicht nur auf die Versorgungsleistungen negativ auswirken würde.
Eine am Wohle des Menschen orientierte Gesundheitsversorgung kann und darf nicht im ökonomischen Sinne effizient, also kostenminimierend und gewinnmaximierend sein. Jedwedes Einfließen ökonomischer Kriterien in den Bereich der Gesundheitsversorgung bedeutet eine Bewertung menschlichen Lebens und letztlich eine Unterteilung in finanzierbares und nicht finanzierbares, also lebenswertes und nicht lebenswertes Leben.
III.1.2 Cluster : "IT/Medien"
Der Stadtteil St. Pauli soll mitsamt der Menschen systematischer Kommerzialisierung zum Opfer fallen. Der Stadtteil hat eine lange Tradition der Toleranz und Akzeptanz fremder, neuer oder anderswo unerwünschter und nicht geduldeter Menschen und Kulturen. Hier war manches schon möglich, als es im Rest Hamburgs und Deutschlands noch undenkbar war. Hier haben frühe Heroen der Jugendkultur ihre ersten Erfolge und Exzesse gefeiert. St. Pauli ist bis heute ein Ort musikalischer und künstlerischer Kreativität, die häufig auch ein Teil des Kampfes der Bewohnerinnen und Bewohner des Viertels um soziale Verbesserungen ist. Diesen "weichen Standortfaktor" (S. 64) will der Senat in Wert setzen. "Im Zuge konkreter Immobilienvorhaben am Zirkusweg, Spielbudenplatz und Nobistor soll das Musik- und Entertainmentzentrum St. Pauli ausgebaut werden" (S. 37). Dies steht nicht in einem Kapitel über die Förderung des kulturellen Lebens in den Stadtteilen, sondern im Abschnitt "Medienwirtschaft". Das Ziel ist klar: "Vor diesem Hintergrund können die Wachstumschancen des Mediensektors bei Umsatz und Beschäftigung nur realisiert werden, wenn die unbestreitbaren Standortvorzüge Hamburgs stärker betont und ausgebaut werden" (S. 36). Ein Stadtteil soll zur Kulisse degradiert, die Bewohnerinnen und Bewohner als Hintergrundmaterial zur Darstellung pseudokreativen Elends missbraucht werden. Das wäre neoliberale Stadtteilentwicklung 'vom Feinsten'.
III.1.3 Cluster : "Welthandel/China"
Der Cluster "Welthandel/China" gewährt einen besonderen Einblick in die internationale Reichweite der angestrebten ökonomischen Durchdringung der Stadt. Der Begriff 'China' scheint für die Hoffnung zu stehen, von den erwarteten Zuwächsen des Welthandels überdurchschnittlich profitieren zu können. Der koloniale Begriff "Greater China" (S. 44), meint die Volksrepublik China, Taiwan und Hongkong. Dies sei der Markt der Zukunft, der ein überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum verspreche. Dabei soll verschwiegen werden, dass dieses "Greater China" eine Region mit extremen sozialen, ökonomischen und militärischen Spannungen ist. Die Partnerstadt Shanghai bei der Bewältigung der enormen Probleme zu unterstützen, die durch die brutale Modernisierungsstrategie der chinesischen Administration hervorgerufen werden, und bei der Entwicklung tragfähiger Modelle urbanen Lebens im neuen Jahrtausend zu kooperieren, dies müsste der Anspruch von Chinapolitik sein. Stattdessen soll mit dem Vorhaben, aus China, d.h. den dort lebenden Menschen, Gewinne zu beziehen, die Verschärfung der Konflikte in Kauf genommmen werden. Neben den kolonial anmutenden Markteroberungsstrategien wird eine Form der Selbstkolonialisierung Chinas durch die Bindung chinesischer Eliten angestrebt: "Die Clusterverwurzelung kann über die Ausbildung von chinesischen Studenten an Hamburger Hochschulen und Privatuniversitäten gefestigt werden (auch im Rahmen von Austauschprogrammen z.B. zwischen Hamburg und Shanghai). Über den universitären Bildungsbereich hinaus ist außerdem ein bilingualer Zweig / 'Chinesische Schule' zu prüfen, Aller auch eine Ausdehnung auf den Grundschulbereich" (S. 44). Durch die Etablierung eigener Grundschulen und damit einer frühestmöglichen Ausbildung von 'High Potentials' für die "Brücke nach China" (S. 44) soll das Clustermanagement seinen Höhepunkt erreichen: Die Stadt als Infrastruktur für den "europäischen Brückenkopf für und nach China" (S. 44).
III.1.4 Fazit
Der Senat befördert Entfremdung, Ausbeutung und die gesamtwirtschafliche Abwärtsspirale, um die Mehrheit der Menschen zu Material und Werkzeug der Profitinteressen weniger zu machen. Die Alternative dazu ist die bewußte, kooperative Planung und Entwicklung gesellschaftlicher Produktion auch im internationalen Maßstab zur Überwindung der Unmündigkeit der Menschen gegenüber den scheinbar naturgewaltigen wirtschaftlichen 'Sachzwängen'. Dafür muss in und mit fortschrittlichen Parteien, Gewerkschaften, sozialen und antifaschistischen Bündnissen sowie der Friedensbewegung in allen gesellschaftlichen Konflikten, z.B. in Bildungsinstitutionen und am Arbeitsplatz gekämpft werden. Die beiden folgenden Abschnitte zeigen exemplarisch auf, welchen hegemoniepolitischen Aufwand der Senat betreibt, um zu erreichen, dass Konkurrenz und interessengeleitete 'Sachzwänge' für natürlich gehalten werden, also die Ausbeutbarkeit des "Humankapitals" (S. 20) zu steigern.
III.2 Bildung
Der Rechtssenat bezieht für die Unterwerfung aller unter die kapitalistische Ausbeutung Position: Nach Auffassung des Rechtssenats im "Leitbild: Metropole Hamburg - Wachsende Stadt" "werden die Bereiche 'Aus- und Weiterbildung' sowie 'Forschung und Entwicklung' zu strategischen, strukturpolitischen Handlungsfeldern und zugleich zu Wachstumsfeldern par excellence." Hier kommt zum Ausdruck, dass Bildung zur Grundlage der weiteren Entwicklung der Produktivkräfte wird. Größere Eigentätigkeit, steuerndes, planendes und regulierendes Eingreifen in den Produktionsprozess auf Grundlage von Wissen, Erfahrungen und Erkenntnis werden für weitere Produktivitätssteigerungen zunehmend notwendig. Wer so handeln soll, muss jedoch selbst kritisch bewerten, vernünftig planen, bewusst gestalten. Damit steht die Kapitalseite vor einem unauflöslichen Widerspruch: In der notwendig vertieften Einsicht in Gesellschaft, Produktionsprozess und Profitmechanismen ist die Möglichkeit angelegt, dass alle Menschen kooperativ weitgehend über den gesellschaftlichen und damit individuellen Nutzen ihrer eigenen Tätigkeit verfügen. Dennoch sollen die Menschen in ihrer Tätigkeit von der gesellschaftlichen Planung und Realisierung ihrer Bedürfnisbefriedigung ausgeschlossen sein und sich in ihrer Tätigkeit der Steigerung des Profites unterordnen. Die Bildungspolitik steht also vor der Alternative, bei notwendiger Bildungsexpansion entweder die Emanzipation oder die Unterwerfung der Menschen zu befördern, und ist dementsprechend hart umkämpft.
Weiter heißt es in der "Wachsenden Stadt": "Die Einkommens- und Beschäftigungschancen einer Region sind in hohem Maße von der Humankapitalausstattung abhängig. Die Akkumulation von Humankapital wird zunehmend zu einem treibenden Faktor des wirtschaftlichen Wachstums. [...] Gleichzeitig wird die Markt- und Exportfähigkeit von Ausbildungsdienstleistungen zunehmen. Entwicklungschancen bestehen vor allem in jenen Bereichen der Aus- und Weiterbildung, die den vorhandenen bzw. entwicklungsfähigen Stärken der Hamburger Wirtschaftsstruktur entsprechen. Es gilt, Synergieeffekte zwischen 'Aus- und Weiterbildung' einerseits und 'Produktion' andererseits zu nutzen. In diesem Zusammenhang - besonders verstärkt durch die Globalisierung und den Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft - kommt den Hochschulen eine zentrale Bedeutung bei der Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Standortes zu." (S. 21) Sehr unverblümt wird hier die bildungspolitische Grundorientierung deutlich: Bildung und Wissenschaft sollen durch ihre Institutionen und die in ihr Tätigen dazu beitragen, dass das Interesse von Großunternehmen und Banken an höchstmöglichen Profiten in der internationalen Konkurrenz realisiert werden kann.
Um den 'Standort Hamburg' je nach Arbeitsmarktlage mit hochqualifizierten und sich dennoch den an sie gerichteten Verwertungsanforderungen unterwerfenden Facharbeitern zu versorgen, beabsichtigt der Rechtssenat den Erwerb von Bildung auf allen Ebenen umfassend marktförmig und konkurrenzhaft zu organisieren. Anstatt kooperativ um Einsicht zu ringen, soll der Mensch individualisiert durch Versuch und Irrtum, d.h. durch Belohnung und Strafe also durch Dressur lernen. Dadurch soll gewährleistet werden, "Wissen zur aktiven Gestaltung der Gesellschaft nicht zu erwerben (das heißt unpolitisch zu sein), statt dessen aber den gesellschaftlichen Prozeß als extern, als unbeeinflußbar zu verstehen und sich ihm zu unterwerfen." (Schui, Blankenburg, etc.: Wollt ihr den totalen Markt?, München 1997) Privatisierung, Kommerzialisierung und Entdemokratisierung der Bildungsinstitutionen und des Bildungserwerbs sollen die Konkurrenzbedingungen verschärfen um die gewünschte Unterordnung zu erlangen. Bildung und Wissenschaft sollen hier vollständig zur Ware degradiert werden: Bildung erhöhe den Wert von "Humankapital", das sich durch die jeweilige Qualifikation besser am Arbeitsmarkt verkaufen könne und den Wirtschaftsstandort stärke. Lernende seien Kunden, die beim Dienstleistungsanbieter (ob Kindergarten, Schule oder Hochschule) als Nachfrager aufträten. In diesem Sinne soll der Bravheitsdruck durch Verschärfung der sozialen Ungleichheit (Aufhebung der Lehrmittelfreiheit, Einführung von Studiengebühren) zusätzliche Selektion (Zulassungsverfahren) und repressive Elemente (Kopfnoten) abgesichert werden. Die verwertungsoptimierte Qualifizierung vor Ort soll ergänzt werden durch die Abwerbung ausländischer Eliten, z.B. durch die "Schaffung von Auslandsagenturen der Arbeitsverwaltung (wie in den 60er Jahren) [Ehrlich, das steht da!]" (S. 52), selbstverständlich ohne Rücksicht auf die Entwicklungsperspektiven der betroffenen Regionen.
Indem die Bildungsinstitutionen die Reflektion der Tätigkeit ihrer Mitglieder im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang ermöglichen, können sie stattdessen zum Ort der kollektiven Aneignung eines kritischen Verständnisses von Ausbeutungsmechanismen und Entfremdung hin auf deren solidarische Überwindung werden. Dafür wurden in den 1970er Jahren Stadtteilbibliotheken und Einrichtungen der Geschichts- und Friedensforschung, ebenso wie die demokratischen Gremien und politischen Interessenvertretungen von der Schule bis zur Hochschule sowie soziale Öffnung und BAföG erkämpft. Diese Ergebnisse der Demokratisierungsanstrengungen der 70er Jahre sind besonders gute Voraussetzungen für weitergehende Reformen zur bewussten, solidarisch- kooperativen Gestaltung der gesellschaftlichen Prozesse auf Grundlage demokratischer Verallgemeinerung des eigenen Interesses durch die Subjekte. Da der Rechtssenat Ausbeutung und ungleiche Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums aufrechterhalten will, muss er sich restriktiv gegen dieses Potential kritischer Aufklärung wenden.
III.2.1 Schulen
Schulen werden im "Leitbild: Metropole Hamburg - Wachsende Stadt" äußerst knapp behandelt. Dies mag daran liegen, dass die reaktionäre 1950er-Jahre Schulpolitik von Senator Lange nicht in die neoliberale Linie des Leitbildes passt. Dennoch wird die Linie an den drei genannten Funktionen der Schulen deutlich: Schule als Aufbewahrungsort - der Ausbau des Ganztagsschulangebots soll den berufstätigen Familien "eine wesentlich größere zeitliche Flexibilität" (S. 55), ganz im Sinne ihrer Arbeitgeber, ermöglichen. Schule als Ort des Fremdsprachenerwerbs - Englisch für die Masse, chinesisch für die kommende Welthandelselite. Der "Schulstandort" (S. 55) ist Teil der Anwerbestrategie für 'High Potentials'. Schüler als lebendige Subjekte ihrer Bildung, mit eigenem Interesse am Verstehen der Welt und sinnvoller Tätigkeit, an solidarischem Lernen und demokratischer Mitwirkung an Form und Inhalt des Lernens, kommen nicht vor.
III.2.2 Berufliche Qualifizierung
Dass im Leitbild zur beruflichen Bildung noch weniger als zu Schulen steht, kann einerseits auf ein besonderes Vertrauen in die Wirksamkeit der Marktbeziehung zwischen Auszubildenden und Unternehmen zurückgeführt werden. Zum anderen diktiert derzeit die Handelskammer 1:1 die Leitlinien der Senatspolitik auf diesem Gebiet.
Explizit im Leitbild benannter und alleiniger Maßstab der Ausbildung sind die "betrieblichen Erfordernisse" (S. 50). Dafür seien die "Servicefunktionen der Arbeitsmarktpolitik zugunsten der Betriebe auszubauen." (S. 50) Den Betrieben solle nachfragegenaue "Beschäftigungsfähigkeit" (S. 51) der Arbeitnehmer durch Weiterbildung und Umschulung geliefert werden. Die von der Handelskammer gewünschte Überführung der Berufsschulen in private Trägerschaft unter dem Einfluss der Wirtschaft ist das bekannteste, wenn auch nicht im Leitbild benannte Beispiel der Ausbildungspolitik des Rechtssenats, den Ausbeutungsdruck zu erhöhen. Die beabsichtigte ökonomische Zurichtung soll durch dogmatische Ungleichheitsbehauptungen verschleiert werden - es gebe Menschen bei denen ein "berufsspezifisches Fachwissen" vollkommen ausreichend sei. Zudem seien verkürzte Ausbildungszeiten für sogenannte lernschwache Jugendliche und 'niedrigschwellige', also mit minderer Qualifikation und entsprechend niedriger Bezahlung verbundene, Ausbildungsplätze eine 'begabungsgerechte Hilfeleistung'. Diese 'Schmalspurausbildung' - so verspricht der Rechtssenat - sei der Weg, den Fachkräftemangel zu beseitigen. Zentrales Element ist hierbei die Modularisierung der beruflichen Bildung. Sie führt zur Definition arbeitsmarkt-passgenauer individueller 'Berufsbilder'. Die 'klassischen' Berufsabschlüsse entfallen und bestehende Tarifregelungen werden ausgehebelt. Je nach Nachfrage seitens der Unternehmen sollen dann - natürlich selbst finanziert - im Zuge der Weiterbildung weitere erforderliche Module nachgeholt werden.
Das elitäre und statische Menschenbild der Rechtssenats wird in seiner Ausbildungspolitik sehr deutlich, in der es alleinig darum geht, Menschen für die perfekte Beherrschung und Ausführung ganz spezieller Arbeitsabläufe zu qualifizieren oder auszuwählen - also ein gut funktionierendes Rädchen im Getriebe zu sein. Der Widerspruch, dass die Auszubildenden ein Anliegen an der Ausübung einer sinnvollen beruflichen Tätigkeit, an Verständnis und Kritik der durch gesellschaftlichen und technologischen Wandel bedingten Veränderungen der Arbeitsprozesse und an Vertretung eigener und kollektiver Interessen am Arbeitsplatz und in der Berufsschule haben, weil sie Verfügung über die eigenen Lebens- und Arbeitsbedingungen erringen wollen, wird für den Senat zum Problem.
III.2.3 Hochschulen
Dem "Leitbild: Metropole Hamburg - Wachsende Stadt" folgend, sei Hochschulentwicklung Motor des Umbaus der Stadt in Hinblick auf die Bedarfe der stark wissensbasierten Produktion der Cluster- Unternehmen durch passgerechte Höherqualifikation des benötigten Personals und Zulieferung unmittelbar verwertungsrelevanter Forschungsergebnisse.
Dazu dient die Ausrichtung von Forschung, Studieninhalten und Studierendenzahlen an den Bedarfen der Wirtschaftsschwerpunkte. Konkurrenz statt Kooperation soll wesentlicher Motor der Hochschulentwicklung werden, globale wirtschaftliche Vernetzung soll durch Anwerbung ausländischer Eliten ausgebaut werden, das Studium soll weitgehend auf die Ausbildung von Facharbeitern reduziert werden, die zu eigenständiger wissenschaftlicher Tätigkeit nicht befähigt sind, kritischer Einfluss der Hochschulmitglieder auf Inhalt und Entwicklung der Hochschulen soll eliminiert werden.
Den Studierenden soll nur ein angepassstes, braves und karrierebewusstes Schmalspurstudium nach jeweiliger Arbeitsmarktsituation ermöglicht werden: Durch Zugangsbeschränkungen, Studienrestriktionen, Trennung in Masse (Bachelor) und Elite (Master), erhöhten Leistungsdruck, Streichung der Subventionen des Studentenwerks, Studiengebühren und Exmatrikulationsandrohung bei politischer Unliebsamkeit.
Gegen den Widerstand auf institutionelller Ebene ergreift der Rechtssenat gesetzliche (Hochschulmodernisierungsgesetz) und zu Teilen auch ungesetzliche Maßnahmen wie mit den 'Leitlinien für die Entwicklung der Hamburger Hochschulen', um seine brutale Wirtschaftsorientierung zu erzwingen. Dafür soll die gewerkschaftlich orientierte HWP zerstört werden und die Universität in konkurrierende Fakultäten mit undemokratischem Management zerschlagen werden. Dafür seien potentiell gesellschaftskritische Fachbereiche (z.B. Soziologie) wenn nicht gleich zu streichen, so jedoch zu kürzen und werden dort bereits Berufungen verweigert, während verwertungstaugliche "Excellenz-Zentren" (S. 66, z.B. Bioinformatik) üppig gefördert werden.
Die Profitorientierung steht der gesellschaftlichen Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse entgegen. Die neugeschaffene Patentverwertungsagentur behindert Entwicklung, Produktion und Einsatz wirksamer AIDS-Medikamente (Cluster "Life- Sciences"). Rüstungskonzerne wie EADS (Cluster "Luftfahrt") und Blohm+Voss (Cluster "Hafen und Logistik") verdienen am Krieg und nicht an Friedens- und Konfliktursachenforschung. Die transnationalen Konzerne (Cluster "Welthandel/ China") profitieren vom bereits eingerichteten 'Master of International Taxation', wo sie ihr Personal zu Experten in Sachen Steuerflucht weiterbilden lassen, während die Finanzbehörde sich genau deshalb die 9.500(!) Euro Studiengebühren für ihre Angestellten nicht leisten kann.
In den Auseinandersetzungen mit dem Rechtssenat um Hochschulgesetzgebung und Strukturreformprozess haben die demokratischen Selbstverwaltungsorgane und Interessenvertretungen (Akademische Gremien, Verfasste Studierendenschaft, Personalräte, Gewerkschaften) ihr verallgemeinerbares Interesse an einer Orientierung der Hochschulentwicklung an gesellschaftlicher Nützlichkeit, dem Beitrag der Wissenschaften für "humane, demokratische und gerechte Gesellschaftsentwicklung" (Grundordnung der Universität vom 30. Januar 2003) weiterentwickelt und die Notwendigkeit der "Ausrichtung der Hochschulen an der Entfaltung der einzelnen als gesellschaftliche Subjekte und somit an der Verantwortung, zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beizutragen" (Resolution der Studentischen Vollversammlung vom 15. Mai 2002) in eindeutigen Ordnungen und Resolutionen manifestiert.
III.2.4 Fazit
Bildung und Wissenschaft, können durch ihr aufklärerisches Wirken wesentlich zur Verbesserung der Lebensbedingungen aller Menschen, zur Überwindung von Krieg, Ausbeutung, Hunger, Armut, Massenarbeitslosigkeit und Umweltzerstörung und zu friedlicher Konfliktlösung, bedarfsdeckender Produktion und Verteilung von Gütern, sozialer Gleichheit und nachhaltiger Ressourcennutzung und -erschließung beitragen. Um diese allgemeine humanistische Nützlichkeit von Forschung und Lehre zu realisieren, müssen sich die fortschrittlichen Kräfte in Parteien, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen von den Schulen, Berufsschulen und Hochschulen aus formieren, um in kooperativer Praxis und demokratischer Auseinandersetzung die hierfür aktuell notwendigen Reformschritte zu erkämpfen. Dies sind die bedarfsgerechte staatliche Finanzierung, die soziale Öffnung und die Demokratisierung der Bildungsinstitutionen sowie die soziale Absicherung - nicht nur - der Lehrenden und Lernenden. Dafür lohnt sich der Kampf.
III.3 Kultur, Städtebau und Tourismus
Die beste Beschreibung des Kulturbegriffs dieses Senats findet sich im "Leitbild: Metropole Hamburg - Wachsende Stadt" selbst: "Der Anspruch, niveauvoll unterhalten zu werden, wächst." (S. 64). Den 'High Potentials' soll etwas geboten werden für ihr Geld: Exklusivität, eine leb- und bezugslose bürgerliche 'Hochkultur' in Theatern, Museen und Opern für die oberen Zehntausend - dies darf dann auch subventioniert werden. Zur Kompensation der zugespitzten Ausbeutung ist für 'die Masse' ein Unterhaltungscocktail mit Glanz, Glamour und Vergessen vorgesehen - z.B. in Musicals - effektheischend, ablenkend und ebenso entwicklungslos wie die "niveauvolle Unterhaltung" derjenigen, die nicht ganz mit Dr. Horakovas Lieblingen abgespeist werden können. Damit ist zudem viel Geld zu verdienen.
Stadtteilkultur dürfe auch sein: Wenn sie sich der Verschleierung und Milderung der Symptome der zugespitzten Spaltung verschreibt, die mit dem Leitbild angestrebt ist. "Die Stadtteilkultur sollte mit neuen Ideen auf die immer aggressivere Globalisierung reagieren [...]. Um diesen wichtigen Kulturbereich noch attraktiver zu gestalten, wird über einen ‚Wettbewerb der Stadtteile' nachgedacht" (Dr. Dana Horakova in einer Presseerklärung zum Thema "Ein Jahr Kultursenatorin Horakova").
Ein weiterer Schlüsselbegriff für diese 'Handlungsfelder' ist das 'internationale Standortmarketing'. Dem Zweck, weltweit die Popularität der Metropole Hamburg bei den 'Produktiven', 'Kreativen' und Reichen zu steigern, soll die kulturelle Gestaltung des Lebens der Hamburgerinnen und Hamburger dienen. 'Hohe Lebensqualität, angenehmes städtebauliches Ambiente' und "maritimes Flair" (S. 19) sollen nach Hamburg locken, nachdem mit "Events" (S. 23) wie Olympia, Gartenschau oder Boxweltmeisterschaften Aufmerksamkeit auf die Hansestadt gelenkt wurde (oder zumindest der Versuch unternommen wurde - Beileid nach Leipzig). Auch die städtebauliche Orientierung soll an Zwecken des Standortmarketings ausgerichtet werden: Es geht neben der wirtschaftsorientierten Flächennutzung explizit um die Schaffung von beindruckenden Kulissen, die etwa Entscheidungsträger internationaler Investoren aber auch Touristen positiv auf den Standort Hamburg aufmerksam machen sollen. Dies soll durch spektakuläre Ensembles und eine schwerpunktmäßige Orientierung auf die Elbufer-Repräsentativität hervorgerufen werden. Hamburgweit soll die ästhetische Konzeption, die bereits als 'saubere Innenstadt/ Hauptbahnhof' besichtigt werden kann, baulich verstetigt werden - die Frage nach Nutzen und Lebensqualität für Nutzer und Bewohner wird ausgeklammert. Stadtteile, die für diese Repräsentanz von geringerer Bedeutung sind, werden nicht erwähnt, zumal wenn sie als soziale Brennpunkte gelten. Diese sollen weitgehend vernachlässigt werden, oder nötigenfalls der "Befriedung" (S. 51) zum Opfer fallen.
Die Ausblendung des 'Faktors Mensch' wird exemplarisch deutlich bei der Zielformulierung der neu geplanten städtebaulichen Achse Innenstadt-Wilhelmsburg- Harburg. Hier wird zwar keine explizite Verdrängungspolitik gegen die bestehende Wohnnutzung formuliert, aber eine Berücksichtigung der Interessen der dort jetzt wohnenden und arbeitenden Menschen im Sinne einer Strategie der sozialen Stadtentwicklung kommt nicht vor. Ein nicht Ortskundiger könnte beim Lesen der entsprechenden Passage in der "Wachsenden Stadt" den Eindruck gewinnen, es handle sich bei Wilhelmsburg um Brachland. So ist im Gesamtkonzept "Wachsende Stadt" deutlich, dass bei konkreten Gestaltungs- und Nutzungsentscheidungen Investoreninteressen Vorrang vor gemeinwohlorientierten Entscheidungen haben sollen.
Für die Bewertung der Form der Durchsetzung der städtebaulichen Strategien des Rechtssenates ist es sinnvoll, über das im Leitbild formulierte hinaus den aktuellen Umgang mit Nutzungskonflikten zu betrachten. Einerseits ist die Bambule- Auseinandersetzung bezeichnend, andererseits aber auch das Einkassieren von Bürgerbegehren in Wandsbek. Hier wird übrigens deutlich, dass die Strategie "Wachsende Stadt" auch zu massiven Interessenkollisionen mit der eigenen bürgerlichen Klientel führt. Dass dies so ist, folgt nicht allein aus dem Politik- Verständnis des Rechtssenates hinsichtlich des Managements von Konflikten. Es ist notwendig darin angelegt, dass das Gesamtkonzept mit all seinen weitreichenden Festlegungen vollkommen ohne politische Diskussion mit irgendeiner Form der demokratischen Einflussnahme oktroyiert wurde.
Kultur soll in der "Wachsenden Stadt" vier Funktionen erfüllen: Kompensation, Zustimmung zu den Verhältnissen sichern, Marketing für den 'Standort' und unmittelbare Gewinnschöpfung. Kultur sei sowohl Objekt ihrer 'Empfänger' wie diese Objekt der Kultur sein sollen. Jedweder emanzipatorische Anspruch an Kultur wird negiert, kritische Kultur steht der Verwertungsorientierung im Wege.
Wie sehr der Kunstgenuss auch nach bürgerlichen Maßstäben als "anspruchsvoll" gelten mag - ob Oper oder 'Phantom der Oper' - nie soll das Resultat ein verändertes, gar kritisches Bewusstsein über die eigene Lage sein.
Dieses Kulturverständnis gründet auf einem zentralen Topos des neoliberalen Gesellschaftsbildes: Nun, nach dem Zerfall der sozialistischen Staaten, sei das Ende der Geschichte erreicht. Klassen, Klassenkampf und -kompromiss, und somit Entwicklung, Zerstörung, Aufbau, Widerstreit, Interessen, Ideen (gerade im Widerstreit Hamburger Proletarier mit geldschweren Pfeffersäcken) als Ausdruck einer lebendigen Geschichte mit Zeiten herausragender kultureller Hervorbringungen einerseits und andererseits bemerkenswerter geistiger Armut werden nicht nur für die Zukunft bestritten, sondern auch als historischer Tatbestand verleugnet: Hamburg habe immer als Handelsmetropole prosperiert, also tat es dies auch kulturell und werde dies immer tun: "Das geistige Beziehungsgeflecht Kultur prägender und Kultur nachfragender Menschen erwächst in einer Großstadt wie Hamburg, die zugleich Metropolfunktionen für das nähere und weitere Umland wahrzunehmen hat, aus ihrer Bevölkerungsstruktur und ihren kulturellen Traditionen. Die Jahrhunderte alten geschichtlichen und kulturellen Wurzeln der Hansestadt bilden den Nährboden für ein reiches, qualitätsbewusstes Kulturleben, für ein großes Potential der aktiven und rezeptiven Teilhabe kulturinteressierter Bürger." (S. 63f.)
Die kooperative Verarbeitung und Gestaltung individueller und kollektiver Lebensbedingungen als Inhalt kultureller Aktivität hat insofern höhere Bedeutung, als dass sie Beitrag zur Aufklärung über die aktuellen Bedingungen und Anstoß zur humanistischen Veränderung derselben ist, oder zumindest sein sollte: Kulturelle Entfaltung aller Menschen beruht auf dem reflexiven, kritischen und entwicklungsorientierten Gehalt von Kultur ebenso wie ihrer partizipationsorientierten Organisation und Gestaltung. Für in diesem Sinne fortschrittliche Kulturpolitik bedarf es einer ausreichenden staatlichen Finanzierung, denn die vom Rechtssenat angestrebte Privatisierung der Inhalte der Kultur reduziert dieselbe zur deskriptiven, die Verhältnisse bestätigenden und unkritischen Unterhaltungskultur.
Der kritische Bezug zur aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung, sowie der emanzipatorische Charakter der Kultur für alle Menschen müssen den Mittelpunkt einer emanzipatorisch wirksamen Politik der Kulturförderung prägen, wie dies beispielsweise in Geschichtswerkstätten und Stadtteilbüchereien angelegt ist.
Wesentliche Aufgabe fortschrittlicher kultureller Tätigkeit ist dabei die Auseinandersetzung um das vorherrschende Alltagsverständnis - die bestimmende Deutung darüber, was eine anstrebenswerte Form des Zusammenlebens ist. Gerade weil die materiellen Grundlagen für die bewusst geplante gemeinsame Tätigkeit aller Menschen zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse bereits vorhanden sind und der beständig erneuerte Konsens über die Unantastbarkeit privater Verfügung einer Minderheit über die Produktionsmittel dem entgegensteht. In diesem Sinne wollen wir entgegen der Zielsetzung des Hamburger Rechtssenates dafür wirken, dass von den verschiedenen Bewegungen und Organisationen in dieser Stadt ein (kultureller) Impuls der Aufklärung zum "Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit" (Immanuel Kant) ausgeht.
IV. Wachsender Widerstand
Hamburg war oftmals Schrittmacher für fortschrittliche soziale Reformen. Kommunisten, Sozialisten, Sozialdemokraten und fortschrittliche Bürger kämpften - je nach Grundposition, historischem Kontext und Reichweite ihrer gesellschaftlichen Ziele auch gemeinsam - in vehementen Interessenvertretungen in den Unternehmen, in Schulen und Hochschulen, als gewerkschaftliche Bewegung und linke Parteien sowie in der außerparlamentarischen Bewegungen wie der Friedensbewegung für zivilisiertere Verhältnisse. Sie schafften so die Grundlage für ein hohes Niveau sozialer Absicherung. Dies ermöglichte auch, dass während die sozialliberalen Reformen bundesweit bereits Ende der 1970er ins Stocken kamen, in Hamburg in Bereichen wie der Sozial- und Arbeitsmarkpolitik, Justiz- und Verwaltungsmodernisierung, Jugend-, Bildungs-, Kulturund Wissenschaftspolitik bis Mitte der 1980er Jahre weiterhin Reformen realisiert wurden, die tatsächlich die Lebensbedingungen der Menschen verbesserten. Der Kampf für diese Reformen hin auf die Überwindung der Ausbeutung war "ein Stück praktizierte Aufklärung" (Schui: Neoliberalismus: Theorie, Gegner, Praxis. Hamburg, VSA, 2002, S. 68). Gegen diese Errungenschaften richtet sich die anti-aufklärerische Politik des CDU/FDP/Schill-Senates, die in dem "Leitbild: Metropole Hamburg - Wachsende Stadt" zusammengefasst ist. Sie zielt auf Unmündigkeit und Unterordnung unter die Profitinteressen des Kapitals. Sozialstaatliche Absicherung und demokratische Mitbestimmung werden als Einschränkungen der individuellen Freiheit und unternehmerischen Entfaltung denunziert. Durch Einschüchterung und Sozialabbau soll die Konkurrenz zwischen den Menschen forciert werden, um den Widerstand zu schwächen. Insofern ist die "Wachsende Stadt" ein Masterplan zur Durchsetzung des 'totalen Marktes'. An all dem können Ideologie und Praxis der extremen Rechten nahtlos anschließen.
Möglich wurde dies, weil zunehmend gerade von sozialdemokratischer Seite - befördert durch den Wegfall der Systemkonkurrenz - nur noch die Ergebnisse sozialer Reformen verwaltet wurden, anstatt sie weiterzuentwickeln. Der Versuch, kapitalistische Ausbeutung lediglich sozialstaatlich abzumildern anstatt sie zu überwinden, war (und ist) den gesellschaftlichen Verhältnissen immer weniger angemessen. Die hohen (und berechtigten) Erwartungen der Bevölkerung auf eine kontinuierliche Verbesserung der Lebensbedingungen wurden enttäuscht, soziale Bewegungen wurden denunziert. Indem die Entscheidung für eine radikale Umwälzung der ökonomischen Grundverhältnisse gescheut wurde, wurde zunehmend den 'Sachzwängen' von Standortpolitik und Haushaltskonsolidierung nachgegeben. Das bereitete den Boden für eine rechte Politik, die demagogisch auf Sündenböcke setzt und einfache Lösungen verspricht und damit das in dieser Broschüre gekennzeichnete Vor-Ort-Programm für eine neue Phase imperialistischer Ausbeutungspolitik absichern soll.
Diese verwertungsorientierte Zurichtung aller Lebensbereiche, diese Brutalisierung des Alltages ist nicht hinzunehmen. Die Zivilisierung der Grundverhältnisse, d.h. die gleiche Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums, Emanzipation aller und produktives Wirtschaften sind in und durch solidarische Kooperation praktisch zu erstreiten. Auf der Grundlage gemeinsam entwickelter Kritik an Ausbeutung und Entfremdung müssen die unterschiedlichen Proteste gegen den Rechtssenat zusammengeführt und auf den Kampf gegen die Ursachen kapitalistischer Destruktion konzentriert werden. So wird der gemeinsame Widerstand humanistischer Bündnisse von Gewerkschaften, Parteien, Interessenvertretungen, Friedensbewegung und anderen außerparlamentarischen Gruppen wirksam. Für eine Wirtschaftspolitik, die allen die demokratische Verfügung über die Produktionsmittel und weltweit soziale Gleichheit ermöglicht, für eine Bildungs- und Wissenschaftspolitik, die die Emanzipation der Menschen und die Verbesserung der Lebensbedingungen zum Ziel hat und für eine Kultur, die kritische und demokratische Weltaneignung möglich macht. So wird Hamburg statt zum Antreiber in der weltweiten Konkurrenz der 'Wachsenden Städte' zum initiierenden Modell und 'Leitbild' für eine solidarische Welt.
Setzen wir gemeinsam der "Wachsenden Stadt" wachsenden Widerstand entgegen!
Kontakt:
Homepage: www.wachsender-widerstand.de; Email: info at wachsender-widerstand punkt de V.i.S.d.P.: Michael Schaaf, c/o Jusos, Grindelberg 59, 20144 Hamburg