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Skandal: Sündenbock beißt deutsche Opfer

Die Würde liegt in der Gleichheit

"Die Falschen Staaten von Europa: England, Frankreich, Spanien, Italien, Ungarn, Preußen, Estland, Lettland, Rumänien, Bayern. Die Grenzen stehen fest. Die richtigen Staaten von Europa: Arbeitslose, Arbeitsmänner, Arbeitgeber und Nutznießer fremder Arbeit. Die Grenzen fließen."
Kurt Tucholsky, "Nationales", 1924.

"Es werden auch blonde blauäugige Menschen Opfer von Gewalttaten, zum Teil sogar von Tätern, die möglicherweise nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Das ist auch nicht besser."
Bundes-Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) am 20. April 2006.

Blut-echte Teutonen seien von staatlichem Rassismus bedroht, sekundiert die FAZ dem Innenminister. Unter dem Titel "Ein neues ,ius sanguinis'" kommentiert klagend die "Zeitung für Deutschland": Gewalt von "Ausländern" an "nordisch anmutende[n] Inländern" werde milde geahndet, während Deutschen wegen des Wortgebrauchs "Nigger", wie in Potsdam, ein rechtsextremer Hintergrund ihrer Gewalttat unterstellt werde. (29. 04. 2006, S. 1.) Die Folgerung: Staatliche Mittel zur Aufklärung gegen Rechtsextremismus seien gefälligst auch gegen "Linksextremismus" (= Kapitalismuskritik) und für "Integration" (= totalitärer Biedersinn) einzusetzen. CDU und CSU malträtieren beredt dieselbe Kerbe.

So tümelt es im Zeichen der WM alt-deutsch.

Verborgen werden sollen damit mehr als fünf Millionen Arbeitslose, Mehrwertsteuer-Sorgen, sinkende Real-Löhne, steigende Exportgewinne und Benzinpreise sowie die Kriegsgefahr. Der Mangel an sozialer und kultureller Entfaltungsperspektive unter dem Diktat von Markt und Konkurrenz (und die nahe gelegte Hetze nach dem "Schwächeren") als verbreitete Gründe rechter Gewalt sollen tunlichst unter Sonntagssprüchen verschwinden. Nationales Hochgefühl soll einen allgemein nützlichen Ausgang aus der Krise ersetzen. Auch verlangt "der Standort" eine gute Presse.

Anstatt von echter Problemlösung ist daher von "Integration" die Rede. (Womit die Prämisse, daß ,der Ausländer' das Problem sei, fixiert ist.) Das heißt dann: "Erkennen und Anerkennen der fundamentalen Werte unserer Verfassung". Entsprechende Prüfungen wollen die Unions-Innenminister auf ihrer Konferenz Anfang Mai allen Einbürgerungswilligen verordnen. (Nebenbei wird die Einsetzbarkeit der Bundeswehr im Innern verhandelt.) "Da gibt es sicher Schwierigkeiten bei der Frage, wie weit bei den Kenntnissen über die Grundlagen der Demokratie hinaus auch Geschichtskenntnisse von Bedeutung sind", meldet CSU-Innenminister Beckstein.

Das glauben wir auch. Erinnern wir uns: Am 8. Mai 1945 gelang die Befreiung vom Faschismus. In diesem erheblichen Akt entschlossener Humanität hat das Grundgesetz, das hier abgefragt werden soll, seinen Ursprung: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." (Art I, Abs. I GG) Nach 12 Jahren Nazi-Barbarei erhielten die menschliche Gleichheit, persönliche Freiheit, Freiheit des Glaubens, der Wissenschaft, der Berufswahl, die Versammlungs- und Koalitionsfreiheit, das Verbot von Angriffskriegen, das Recht auf Asyl, die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, die Möglichkeit der Enteignung sowie die Sozialstaatlichkeit Verfassungsrang.

Die historische Einheit dieser kulturbildenden Grundsätze ist eine Verpflichtung zur transformatorischen Befreiung der Menschen von der Kapitalmacht für eine demokratische Gesellschaft Gleicher. Gegen diese Perspektive wird die bis zur physischen Auslöschung willfährige Konkurrenz-Bejahung der extremen Rechten aufgewandt und von Adenauers Enkeln verharmlosend gedeckt. Sie haben - von alledem politisch und intellektuell weit entfernt - an der Geschichte seit 1945 schwer zu kauen. Der Versuch der Abwicklung von Sozialstaat (West) und Sozialismus (Ost) sollte ihnen unbekömmlich gemacht werden.

Die WM ist in drei Monaten vergangen; die gesellschaftliche Krise kaum. Ihre Überwindung erfordert eine andere, aufgeklärte Gespanntheit und Solidarität, die keine Grenzen, aber den Unterschied zwischen Oben und Unten kennt.

Antifaschistische Demonstration

8. Mai 2006, 16.30 Uhr,
Gerhard-Hauptmann-Platz

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Montag, den 1. Mai 2006, http://www.harte--zeiten.de/artikel_403.html