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Kapital total
"Die Umschichtungen zu Gunsten der Natur- und Ingenieurwissenschaften gehen zu Lasten insbesondere der Rechts-, Sozial-, Bau- und Medienwissenschaften sowie von Kunst und Musik. Sie sind in erster Linie auf die erwarteten gesellschaftlichen Bedarfe im Jahre 2012 zurückzuführen und diesen wiederum liegen die Voraussagen der wirtschaftlichen Strukturentwicklung zu Grunde - mit all ihren Unsicherheiten."
(Bericht der "Dohnanyi-Kommission", Seite 102)
Das Gutachten der von Wissenschaftssenator Dräger berufenen Kommission zur Begutachtung der Hamburger Hochschullandschaft liegt vor. Die Kommission, angeführt von Klaus von Dohnanyi, geleitet von der Unternehmensberatung McKinsey und besetzt mit Promis der Schering AG, des Arbeitgeberverbandes, der Bertelsmannstiftung, Springer und einigen Wissenschaftsexpertokraten, hat tief in die Glaskugel geschaut und folgendes gefunden: Eine Senatsdrucksache, Titel "Wachsende Stadt". Dies ist ein Stück Papier, in dem der Rechtssenat mit voller Unterstützung der Handelskammer seinen politischen Willen darlegt. Kurz zusammengefasst: Die Wirtschaft soll frei sein von "staatlicher Gängelung", der Staat soll die Menschen gängeln, der Wirtschaft zu Diensten zu sein, dafür soll die Stadt wachsen. Die öffentlichen Institutionen sollen die Profitinteressen der Wirtschaft unmittelbar befördern. Für die Hochschulen konkret: Profitabel erscheinen die Schwerpunktbereiche Nanotechnologie, Lebenswissenschaften, IT/Medien, Luftfahrt, Hafen/Logistik, Welthandel/China; hier sollen sie in Forschung und Lehre expandieren, der "Rest" kommt nicht mehr vor. Umsetzungszeitraum zehn Jahre. So schnöde ist Interessenpolitik.
Um diese Vorgaben umzusetzen ohne die Bildungsausgaben zu erhöhen, rät die Kommission: Reduzierung der Studienanfängerzahl, Zulassungstests für alle Fächer, Bachelorabschlüsse für alle Studierenden, durchschnittlich 50% dürfen nach extra Eignungstests gebührenpflichtig einen Masterabschluss dranhängen - einziges Kriterium für 'Studienreform' ist die erwartete Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt. Außerdem: Mehr Lehre, dafür Streichungen bei Verwaltungspersonal und wissenschaftlichem Nachwuchs - her mit dem Niedriglohnsektor für wissenschaftlich qualifiziertes Lehrpersonal. Die Lehre soll von der aktuellen Forschungstätigkeit getrennt werden. Beteiligung der Hochschul-Mitglieder an Entwicklungsentscheidungen soll es weder auf Insituts- noch auf zentraler Hochschulebene geben. Dafür sollen die Leitungen (Präsidien und Dekanate) noch mehr Entscheidungsbefugnis erhalten. Langfristig sollen die Universitäten und Hochschulen in "Schools" zerschlagen werden, die Universität in folgende sechs Einzelteile: Erziehungswissenschaft, Lehrerbildung und Sport; Geistes-, Sprach- und Kulturwissenschaften; Wirtschafts- und Sozialwissenschaften; Rechtswissenschaften; Medizin/Psychologie; Naturwissenschaften. Fächer ohne größeren Nutzen für den "Wirtschaftsstandort" sollen dichtgemacht oder verkleinert werden. So kommt die Kommission ohne jede konkrete Erläuterung vom Asien-Afrika-Institut zu einem Zentrum für Asiatische Sprachen und Kultur. Die Geisteswissenschaften würden fast nur noch für die fachliche Schmalspurausbildung von Lehrern herangezogen. Eine Privatisierung der Hochschulen ist gewollt. Kapital total.
Freimütig räumt die Kommission daher auch ein, dass sie "die Diskussion der Qualität des Hamburger Angebots nicht ... zu einem methodischen Ansatz ausgebaut und Strukturentscheidungen nicht von Qualitätseinschätzungen abhängig gemacht [hat]". Auch der demokratische Willensbildungsprozess in den Hochschulen soll nur eine taktische Rolle bei der Umsetzung der Empfehlungen spielen: "Die Leitentscheidungen des Senats sollten [sic!] die Stellungnahmen der Hochschulen mit einbeziehen." Wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung, demokratische Zielbestimmung für Forschung und Lehre und soziale Offenheit der Hochschulen sollen nach Vorstellungen der Kommission als Maßstäbe der Hochschulentwicklung verschwinden.
Gleichzeitig mit der Bekanntgabe der Kommissionsergebnisse hat der Große Senat der Universität bei nur zwei Enthaltungen eine Grundordnung zur Regelung ihrer inneren Verfasstheit beschlossen. In bewusster Kontrahenz zur Politik des Hamburger Senats ist in der einleitenden Präambel formuliert: "Wissenschaftliche Kooperation, demokratische Entscheidungsfindung und allgemeiner gesellschaftlicher Nutzen sind der Universität und ihren Mitgliedern Aufgabe und Verpflichtung. Die Universität Hamburg verpflichtet sich, Lehre und Studium im Hinblick auf die Entwicklung in Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur, Veränderungen in der Berufswelt sowie Folgen von Wissenschaft und Technik zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Freiheit und Kooperation in der Erarbeitung und Aneignung von Wissen sollen Grundlage der Studienreform sein. Die Durchlässigkeit, Sozialverträglichkeit, Transparenz und gesellschaftliche Verantwortung sind Grundsätze der Gestaltung von Studiengängen." Auf dieses Selbstverständnis der Uni muss und kann nun der Kampf für einen demokratischen Ausbau der Hamburger Hochschulen gegen die Vorstellungen von Senat und Kommission aufbauen.
Voraussagen, Prophezeiungen, Orakel - mit all ihren Unsicherheiten - sind wichtig für Religionen. Die neoliberale Lehre vom Primat des "freien" Marktes ist eine solche. Gesellschaftlicher Bedarf jedoch ist der Bedarf der Menschen, die eigenen Lebensbedingungen human zu gestalten. Die Hochschulen haben eine Verantwortung - für die ganze Gesellschaft. Der Senat wird dies zur Kenntnis nehmen müssen.