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Peinigende Innovation oder erfreuliche Entwicklung?
"Gleichzeitig wollen wir mit der Hochschulreform die Betreuungsintensität erhöhen und die Hochschulstrukturen grundlegend modernisieren. Die Hochschulen gehen diesen anspruchsvollen Weg - trotz vieler Anstrengungen - mit, worüber ich mich sehr freue. Dennoch wissen wir, daß noch mehr Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Qualität der Hochschulausbildung in Ihrem eigenen Interesse weiter zu verbessern. Mit dieser Qualitätsverbesserung verbunden ist auch die Frage nach den Studiengebühren."
Senator "für" Wissenschaft und Gesundheit, Jörg Dräger, Offener Brief an die Studierenden 5.12.05.
"Die Freude ist der Maßstab des verantwortlichen Gelingens."
Aus dem studentischen Entwurf für eine Präambel der neuen Grundordnung der Universität.
Am 15. Dezember entscheidet der Akademische Senat über eine neue Verfassung (Grundordnung) der Universität. Aber wie ist ihre Verfaßtheit?
Seit vier Jahren befindet sich die Universität im Innovationsgriff neokonservativer Standortpolitik. Zerschlagung in hierarchisch strukturierte Betriebseinheiten ("Fakultäten"), Zerstörung humanistischer Wissenschaftstraditionen, Drill durch verwertungsangepaßte BA/MA-Studiengänge, "Kundenorientierung", alles abgestützt durch die Drohung mit Studiengebühren - das ist "Modernisierung" mit dem lächelnden Rohrstock.
Kritik, (Selbst-)Erkennen und gestalterische Verbesserung der Lebensbedingungen als humane Sinngebung der Wissenschaft sollen der geschäftlichen (Selbst-)Verwertung weichen.
In diesem Gegensatz befinden sich die Universitätsmitglieder. Die neue Grundordnung soll zur Pflege und Entwicklung des geistigen und kulturellen Erbes der Menschheit und zur produktiven Einheit von menschlichem Erkennen und Handeln beitragen. Die Einheit der Universität, ihre Fächervielfalt, soziale Offenheit, die demokratische Partizipation ihrer Mitglieder und die emanzipatorische Orientierung des Wissen-Schaffens waren deshalb für ihre Erarbeitung leitend. Die neoliberale Gesetzgebung setzt dagegen die Hierarchisierung, Zergliederung und Demokratiesimulation des kapitalistischen Zentralismus. Die Mitbestimmungs- und Kooperationsmöglichkeiten der Mitglieder sind dafür in der Grundordnung erneut relativ weit gefaßt: Die gesetzlich verordnete Einsetzung der Leitungsgremien soll durch Wahl- und Kontrollelemente ergänzt werden. Gegen die Zergliederung der Uni wird mit den zentralen Gremien und Ausschüssen, der Einrichtung eines Universitätskonvents und dem positiven Bezug der Fakultäten auf gesamtuniversitäre Anliegen und Entscheidungsprozesse inhaltlich und strukturell eine Klammer gebildet. So ist der vorliegende Grundordnungsentwurf nicht das demokratische Optimum, aber ein ehrlicher Kompromiß unterschiedlich weitreichender Opposition gegen den kalten Technokratismus des "Wissenschafts-Managers" Dräger.
Im Akademischen Senat bleibt dennoch zu entscheiden, ob man besonders mit der Präambel der Grundordnung umfassende Demokratie und Humanität als Entwicklungsziel der Universität für die Gesellschaft wider den brüchigen neoliberalen Zeitgeist zum Ausdruck bringt:
Freiheit zur wissenschaftlichen Kooperation statt bewußtloses Treiben in Raum und Zeit; ein Votum für Gebührenfreiheit als Ausdruck und Grundlage sozialer Verantwortung statt bängliche Zurückhaltung in Bezug auf soziale Selektion; humane Wissenschaftsentwikklung als Inhalt freier Entfaltung und gemeinsames Anliegen der Universitätsmitglieder statt verwertungsdominierte Schein-Beliebigkeit unter Konkurrenzbedingungen sind die umstrittenen Positionen. Für die erfreuliche dieser Entwicklungsoptionen ist ein studentischer Vorschlag eingebracht. Die Hochschulöffentlichkeit kann an dieser Auseinandersetzung konstruktiv anteilnehmen.
Opposition ist vernünftig. Und praktische Vernunft ist zur Freude aller.
"Ich rate Euch, nehmt Euch in acht,
es bricht noch nicht, jedoch es kracht,
...
Die Menge tut es!"
Heinrich Heine, "Die Menge tut es!", Zeitgedichte, 1845-56.