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Sozialer Demokrat oder Smart?

In diesem Jahr erhält die Universität einen neuen Präsidenten

"Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zusagen: NEIN."
Kurt Tucholsky

Zum Wintersemester 06/07 soll die Universität einen neuen Präsidenten erhalten. Was soll dieser Mensch tun?

Der CDU-geführte Senat hat mit der Novelle des Hochschulgesetzes (2003) folgendes im Sinn: Der Präsident wird seither vom zwangsverordneten, wirtschaftsnahen Hochschulrat (neun Mitglieder; keine Studierenden) gekürt und soll vom Akademischen Senat (zehn Profs und je drei wissenschaftlichen Mitarbeiter, Technisches und Verwaltungspersonal sowie Studierende) bestätigt werden.

Das war nicht immer so. 1969 wurde ein demokratisches Universitätsgesetz gültig. Erkämpft hat es die studentische Bewegung, die sich gegen den kulturellen Muff der Adenauer- Ära und das anmaßende, brutale Gebaren westlicher Mächte in Vietnam und Iran wandte, die Mitverantwortung der Universitäten und der eigenen Hochschullehrer im Faschismus sowie deren Verstrickungen in privat-ökonomische Interessenpolitik aufdeckte und kritisierte. Die Studierendenschaft stritt für friedliche Entwicklung, soziale Reformen und gesellschaftliche Demokratisierung. Im Zuge dieses Kampfes wurde die ständische Rektoratsverfassung der Universität - die fürstenähnlichen "Ordinarien" erhoben aus ihrer Mitte einen Rektor - überwunden. (Auch Studiengebühren waren bald abgeschafft.) Die neu gebildeten Fachbereiche (statt überkommener Fakultäten) erhielten paritätisch besetzte "Räte" mit einem Sprecher (statt eines herrschaftlichen Dekans), die Universität bekam ein Parlament: das Grundsatzfragen erörternde Konzil mit jeweils einem Drittel Studierende, Angestellte und Hochschullehrer; der Akademische Senat (AS) wurde zum Arbeitsparlament. Der Präsident wurde vom Konzil demokratisch gewählt.

Im Dezember 1969 gelangte so trotz konservativer Gegenwehr der Theologie-Assistent Peter Fischer-Appelt nach kontroverser Diskussionen vor einem vollständig gefüllten Audimax im fünften Wahlgang mit den Stimmen der Studierenden ins Amt. Es begann die 20jährige Amtszeit eines streitbaren Humanisten, der in der Universität - die Mündigkeit und menschenwürdige Verhältnisse für alle fördert und fordert - die "hohe Schule der Gesellschaft" verwirklicht sehen will. Sein Engagement für die egalitäre Kultivierung von Hochschule und Gesellschaft war mit der Phase echter gesellschaftlicher Reformen ("Mehr Demokratie wagen") und darin des Ausbaus der Uni zur demokratischen Massenhochschule sowie mit der problematischen Periode der späten 70er ("Rotstiftpolitik") und der 80er Jahre ( "Geistig-moralische Wende") im Einklang. Er plädiert heute weiterhin für die positiven Maßstäbe und Erfahrungen der Reform-Ära.

Ihm folgte der heutige Präsident Jürgen Lüthje. Der Verwaltungsjurist setzte sich im Streit reformistischer Strömungen der Hochschullehrer und Angestellten 1991 im vierten Wahlgang durch; die studentische Favoritin schied vorher aus. In der Phase der Abwicklung sozialer Errungenschaften in Folge des Zerfalls der sozialistischen Staaten ("Ende der Geschichte") suchte er die Vermittlung merkantiler und sozialstaatlicher Ansprüche; hier ist eine moderate Befürwortung von Studiengebühren und "schlanker" Entscheidungsstrukturen gegeben. Gestärkt durch den universitären Widerstand gegen betriebswirtschaftliche Umstrukturierungen tritt er kontrahent zum CDU-Senat für bedarfsdeckende Hochschulfinanzierung, die universitäre Einheit und Fächervielfalt sowie für Chancengleichheit und ein wissenschaftliches Niveau von Forschung und Studium ein. Die wissenschaftliche Verantwortung für Frieden und sozialen Forschritt begründet er historisch; er befürwortet nunmehr milde Reformen unter Berücksichtigung aktueller Innovationsforderungen. Seine Amtszeit endet dieses Semester mit der Pensionierung.

Die Findung des neuen Präsidenten findet entgegen der demokratischen Tradition im Verborgenen statt. Durchgesetzt werden konnte aber eine gemeinsame Findungskommission von AS und Hochschulrat, in der die Vertreter des AS auf studentisches Drängen für vernünftige Auswahlkriterien gewirkt haben (siehe Dokumentation).

Die Kommission hofft nun, einen Kandidaten gefunden zu haben, der "trotz des politischen Senats" die Leitungsaufgabe übernehmen will. Er wird sich in einem nichtöffentlichen Verfahren den AS-Mitgliedern vorstellen. Sollte er absehbar nicht die Zustimmung des Gremiums erhalten, werde der Vorschlag wieder zurückgezogen. Es ist also möglich, die politisch gewollte managementorientierte "Führung" der Universität zugunsten einer relativ aufgeklärt-demokratischen Leitung zurückzuweisen.

Letztlich ist die Universitätsleitung wohl so demokratisch, entwicklungsoffen und gesellschaftskritisch wie die Universitätsmitglieder es verlangen.

In jedem Fall sollte die Opposition gegen die ökonomische Instrumentalisierung von Wissenschaft und Menschen durch Studiengebühren, gegen Verwertungsdruck und Entsolidarisierung fortgesetzt und eine neue Ära echter Reformen erwirkt werden.

Der rechte Senat ist schon angeschlagen.

In dieser Lage läßt sich mit Aufklärung und solidarischem Handeln viel Positives bewirken.

V.i.S.d.P.: Olaf Walther & Golnar Sepehrnia, c/o Studierendenparlament, VMP 5, 20146 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg
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Veröffentlicht am Donnerstag, den 20. April 2006, http://www.harte--zeiten.de/artikel_363.html