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Der Senat wackelt

"Sozialpolitik ist die Basispolitik der Demokratie. Sie sorgt dafür, dass der Mensch Bürger sein kann. Seine Freiheitsrechte, seine politischen Rechte brauchen ein Fundament, auf dem sie sich entfalten können. Für das Fundament sorgt die Sozialpolitik. Eine Demokratie, die auf Sozialpolitik verzichtet, gibt sich auf. Sozialstaat und Demokratie gehören zusammen, sie bilden eine Einheit."
Heribert Prantl, "Sozialstaat, Demokratie und die Zukunft der Arbeit", Festansprache vom 10.9.2005.

"Die Form ist die Mutter der Demokratie. Und die Einhaltung der Form ist wichtig für das Funktionieren der Demokratie."
"Ole" Carl-Friedrich Arp Freiherr von Beust, Hamburger Morgenpost, 21.3.2006.

Ist Demokratie eine Frage von Manieren?
Wahrscheinlicher ist, daß echte Volks-Souveränität, also die gleiche, solidarische Verfügung aller über den gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß, eine erfreulich andere Kultur - jenseits von Knigge, Kosmetik und Kaserne - zeitigen würde.

Der morbide Nenn-Aristokrat von Beust und sein Senat haben aber schon Schwierigkeiten mit der hanseatisch-bürgerlichen Demokratie. Presseöffentlich wird über diverse machtpolitische Trixereien gegreint. Wie soll auch die entwürdigende Politik des extremen Wirtschaftsliberalismus und restriktiven law-and-order-Staats mehrheitsfähig gehalten werden?

Seit 2001 dirigiert das Rathaus die Unterordnung aller Lebensbereiche unter die profitfiebrigen Erwartungen finanzmächtiger Investoren am "Wirtschaftsstandort" Hamburg. Das ist der eigentliche Verfall politischer Kultur. Ganzen Stadtteilen der ‚schönen Elbmetropole am Wasser' droht dank des Senatsprogramms der "Wachsenden Stadt" (privatisieren, kommerzialisieren, entdemokratisieren) die Verelendung. Die Sozialsenatorin ist mit der Aufgabe, die Ursachen der sozialen Misere zu verschleiern, sichtlich überfordert.

Wo die Vergötzung des Marktes den Glauben an denselben angesichts vielfacher sozialer Not nicht mehr festigen hilft, treten altgediente Institutionen ("Kirche", "Familie", "Nation" und "Disziplin"...) ihren historisch bekanntlich unheilvollen Dienst an. Dafür zieht Senator Kusch die Grenze hart zwischen den (noch) Verwertungsfähigen und -willigen im Inneren des Dampfkessels der Höchstleistungsmetropole und dem unprofitablen 'Abschaum'. Wer nicht (mehr) verwertbar ist, soll sich das Existenzrecht selbst absprechen, soll flehen, endlich weggemacht zu werden, um anderen nicht auf der Tasche zu liegen und damit allen ein Vorbild an Marktgläubigkeit sein: Das ist Kuschs Plädoyer für "aktive Sterbehilfe". Zudem hat er zwanzigstündige Nacktfesselungen in der U-Haft, Pläne zur Abschaffung des Jugendstrafrechts (Strafe statt Resozilisierung), Menschenrechtsverletzungen in der Abschiebehaft, geschlossenen Jugendknast (inklusive Freiheitsberaubung, Körperverletzung und Bruch des Postgeheimnisses) in der Instrumentenkammer. Deshalb mußte er gehen
Kusch ist nur exponierter Exekutor des programmatisch gescheiterten Senats. Mit diesem sinkt sowohl die sozialkonservative als auch die neoliberale Politik. Der Marktradikalismus hat einsehbar die sozialen Probleme der Menschen - auch in Hamburg - verschärft statt sie zu lösen. Daher sind Neuwahlen hin auf einen grundlegenden politischen Richtungswechsel erforderlich.

Eine soziale und humane Stadtentwicklungs-, Gesundheits-, Wohnungsbau- und Beschäftigungspolitik, sozial geöffnete, öffentlich finanzierte, gebührenfreie und auf dieser Basis problemkritische Bildung sowie eine Jusitzpolitik, die die sozialen Ursachen statt ihre Symptome bekämpft, sind notwendige Grundlagen für menschliche Entfaltung. Eine weitere ist, sich dafür zu engagieren. Es gibt keine Verbesserungen ohne Kampf. Die Verfaßte Studierendenschaft als Teil gesellschaftlicher Opposition sollte sich deshalb für einen gründlichen Politikwechsel formieren.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Montag, den 27. März 2006, http://www.harte--zeiten.de/artikel_359.html