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Eine neue Ordnung
"Kapitel 1: Die wirtschaftlichen sowie politischen und sonstigen Beziehungen zwischen Staaten müssen unter anderem auf folgenden Grundsätzen beruhen:
a) Souveränität, territoriale Unversehrtheit und politische Unabhängigkeit der Staaten;
b) Souveräne Gleichheit aller Staaten;
c) Verzicht auf Angriff;
d) Verzicht auf Intervention;
e) Gegenseitiger und gerechter Nutzen;
f) Friedliche Koexistenz;
g) Gleichberechtigung und Selbstbestimmung
der Völker;
h) Friedliche Beilegung von Streitigkeiten;
i) Beseitigung von Ungerechtigkeiten, die
gewaltsam herbeigeführt worden sind und
die ein Volk der für seine normale
Entwicklung notwendigen natürlichen Mittel berauben;
j) Redliche Erfüllung internationaler
Verpflichtungen;
k) Achtung der Menschenrechte und
Grundfreiheiten;
l) Verzicht auf jedes Streben nach Hegemonie
und Einflußsphären;
m) Förderung der internationalen sozialen
Gerechtigkeit;"
(Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten vom 12.12.1974)
Vor dreißig Jahren, am 12. Dezember 1974, verabschiedete die Vollversammlung der Vereinten Nationen die "Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten" als Ergänzung zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Dieses Dokument sollte die Grundlage für eine neue, gerechtere internationale Wirtschaftsordnung sein und war das Ergebnis einer mehrjährigen Debatte in den Institutionen der Vereinten Nationen, die vor allem durch diejenigen Staaten vorangetrieben wurde, die sich zuvor aus der Kolonialherrschaft der europäischen Mächte befreit hatten, sowie in vorderster Front durch die sozialistische Volksregierung Chiles. Die chilenische Regierung Salvador Allendes bestand jedoch 1974 bereits nicht mehr. Ein Jahr zuvor hatte die tatkräftige Unterstützung amerikanischer Konzerne und Geheimdienste den faschistischen Generälen unter Augusto Pinochet ermöglicht, dem Versuch einer friedlichen Transformation einer bürgerlichen Demokratie zu einem sozialistischen Staat ein blutiges Ende zu setzen. Angesichts der großen Gefahr, der chilenische Weg zu sozialem Fortschritt könnte zu einem Maßstab der weltweiten Entwicklung werden, sahen sich die Multis gezwungen, ihr demokratisches Deckmäntelchen abzuwerfen und ihre Profite mit offener Brutalität zu verteidigen. Dies war der Beginn der neoliberalen Gegenoffensive, gegen die zu Beginn der 1970er Jahre weltweit vorangetriebene Reformpolitik für Entspannung und soziale Entwicklung.
Die Politik der Thatchers, Reagans und Kohls überall in der westlichen Welt zielte in den späten 1970er sowie den 1980er Jahren darauf, die sozialistischen Bewegungen sowohl in den eigenen Staaten, als auch in den Entwicklungsländern mit allen ökonomischen, kulturellen, polizeilichen, geheimdienstlichen, diplomatischen und zu Weilen auch militärischen Mitteln zu ersticken und die realsozialistischen Staaten des Ostens zu isolieren und tot zu rüsten. Und das bekanntlich mit einigem Erfolg: Als George Bush senior 1992 nach dem ersten Krieg der USA gegen den Irak von einer "neuen Weltordnung" sprach, war nur noch eine der beiden Supermächte übrig geblieben und von mehr Gerechtigkeit in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen keine Rede mehr.
Heute, 15 Jahre nach dem Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten, ist die Notwendigkeit einer neuen, gerechteren internationalen Wirtschaftsordnung offensichtlicher denn je. In den Industriestaaten sind die Reallöhne auf den Stand der frühen 1970er Jahre, in vielen Entwicklungsländern ist die Lebenserwartung auf den des Mittelalters zurückgefallen. Mit dem angeblichen Sachzwang der Globalisierung werden immer tiefere Einschnitte in staatliche Sozialleistungen legitimiert. Transnationale Konzerne erreichen immer neue Rekordgewinne während sich die Lebensbedingungen der durch sie ausgepreßten Menschen immer weiter verschlechtern. Damit verlieren nicht nur die falschen Heilsversprechen der neoliberal entfesselten Märkte ihre Strahlkraft, auch ist diese Wirtschaftsordnung immer weniger in der Lage, ihre eigene Basis zu reproduzieren. Der Kampf um demütige aber qualifizierte Arbeitskräfte, knappe Ressourcen und immer enger werdende Märkte wird zunehmend brutal und kriegerisch ausgefochten.
Um diese barbarische Entwicklung zu wenden, bedarf es einer Renaissance fortschrittlicher Bewegung für Entspannung, Abrüstung, weltweite Entwicklung und sozialen Fortschritt. Die Ansprüche der zunächst gescheiterten Bewegungen des letzten Jahrhunderts sind aufzugreifen, weiterzuentwickeln und neu zur Geltung zu bringen. Aus ihren Fehlern und Schwächen ist zu lernen. Der aufklärerische Kampf gegen die Mystik und Knechtschaft der freien Marktwirtschaft, um Arbeit, Bildung und Kultur für jedermann, ist die aktuelle Würde des Menschen.