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Historisches Bewußtsein für eine zukunftsvolle Gegenwart

Der 60. Jahrestag der Wiedereröffnung der Universität Hamburg

,,Im ehrenden Gedenken, insbesondere in Achtung vor der mutigen Menschlichkeit der Mitglieder der Hamburger ,,Weißen Rose“, begeht die Universität in diesen Tagen den 60. Jahrestag ihrer befreiten Wiedereröffnung. Wir, die Mitglieder der Universität Hamburg aller Statusgruppen, sehen uns verpflichtet, das wissenschaftliche Wirken für Wahrheit und Humanität nie wieder unmenschlichen Zielen und selbstsüchtigen Interessen zu opfern, sondern es zu verteidigen und weiterzuentwickeln.“
Aus: ,,Der Humanität und Wahrheit verpflichtet!“, Beschluß des Akademischen Senats zum 60. Jahrestag, 27.10.2005.

Mit diesem Aufruf hatte der Akademischen Senat für den 10. November zur Erinnerung an die Wiedereröffnung (6. November 1945) der Universität nach Faschismus und Krieg eingeladen. Die aktuelle Bedeutung dieser historischen Betrachtung wurde von dem studentischen Vertreter in der Diskussionsrunde begründet: Die Abwicklung der sozialen Errungenschaften und politischen Ansprüche der Demokratischen Massenuniversität (soziale Offenheit, demokratische Partizipation, kooperative wissenschaftliche Weltaneignung und kritischer Gesellschaftsbezug) fordern zu einer erneuten Auseinandersetzung mit ihren Ursprüngen und Widersprüchen heraus. Die reformpolitische Grundorientierung dieser Einrichtung - eng verbunden mit dem Wendepunkt von 1945 und der reformpolitischen Periode nach 1968 - sollte gegen die neoliberale Konterreform des politischen mainstreams aufgegriffen und fortgeführt werden.

Die neueste Drägeriade, die proklamierte (ordnungspolitische!) ,,Konsolidierung der Universität“ und die geplante Expansion der Hochschulen um 40.000 Studienplätze, finanziert aus Studiengebühren (selbstredend alles für ,,den Standort“), ist ein erneuter Angriff gegen vernünftige öffentliche Bildungseinrichtungen. Aus der bewußten historischen Erfahrung kann für diese Kontrahenz gelernt und handlungsrelevante Aussicht gewonnen werden.

Die Erinnerungen des Zeitzeugen Hans-Joachim Lang an das enthusiastische Engagement antifaschistisch-demokratischer Studenten 1945 bekräftigten, daß auch im schwierigen Neubeginn und gegen Widerstände ein kritischer Geist dem Frieden und der Demokratie verpflichtet bleibt.

Der Historiker Axel Schildt beleuchtete den problematischen Widerspruch zwischen notwendigen Lehren aus der universitären Anpassung an die faschistische Diktatur und der baldigen Anknüpfung an überkommene bürgerliche Wissenschaftstraditionen.

Uni-Präsident Lüthje bezog sich positiv auf demokratische, soziale und gesellschaftskritische Ansätze der Hochschulreform(en) nach 1945 und kritisierte den schädlichen Rückbezug auf konservativ-bürgerliche Auffassungen vor 1968. Historische Fortschritte seien unter Berücksichtigung aktueller Innovationsanforderungen behutsam fortzuentwickeln.

Der Vertreter der Professoren aus dem Akademischen Senat begründete mit seiner historischen Deutung besonderer Erlebnisse der unmittelbaren Nachkriegszeit, daß heutige Einschnitte in der ,,Wohlstandsgesellschaft“ weitgehend unvermeidlich und hinnehmbar wären.

Der ehemalige Uni-Präsident Peter Fischer-Appelt pointierte dagegen die Unvereinbarkeit der Periode sogenannter hochschul- und gesellschaftspolitischer Modernität von 1995 bis heute mit den Ansprüchen zeitgemäßer Humanität, wie sie die universitätsgeschichtliche Etappe von 1969 bis 1995 kennzeichneten. Er plädierte eindrücklich für eine engagierte Besinnung auf die positiven Maßstäbe und Erfahrungen der Reform-Ära.

Die Historikerin Barbara Vogel würdigte abschließend die Qualität der Erörterung als historisch-kritische Aneignung der Geschichte zum gestaltenden Verständnis der Gegenwart, kritisierte die Senats-Konzeption der ,,Wachsenden Stadt“ als vernunftfeindliche sowie unsoziale Ökonomisierung von Gesellschaft, Wissenschaft und Mensch und appellierte, Frustration und Melancholie in dem Erarbeiten von Optimismus zu überschreiten, statt defensiv leidend den Mangel weiter zu verwalten.

Aus der Diskussion entstand somit eine historisch wie aktuell relevante Entwicklungsfrage: Lernen für die Anpassung oder Lernen für menschliche Perspektive, gesellschaftliche Progression und Solidarität?

Insgesamt gelang dem Akademischen Senat und den Mitwirkenden also ein anregender Kontrapunkt zur Drangsalierung von Geist, Kultur und menschenwürdigem Dasein durch den politischen Senat. Ein selbstbewußter Ausblick für Wahrheit und Humanität kann so gemeinsam in Angriff genommen werden.

V.i.S.d.P.: Olaf Walther & Golnar Sepehrnia, c/o Studierendenparlament, VMP 5, 20146 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg
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Veröffentlicht November 2005, http://www.harte--zeiten.de/artikel_347.html