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Zum Geleit XV

Wissen und Leben

[Kommentar zum Hintergrund: Der Senator Kusch übt sich in expliziter sowie dezidierter Menschenverachtung. Sein Votum für "aktive Sterbehilfe" ist typisch für den politischen Senat. Soll man sich allem ergeben? Eine neue, widerständige Alltags-Kultur ist gefordert. "Der Wahrheit und Humanität verpflichtet" beschließt der AS eine Resolution anläßlich des 60. Jahrestags der Befreiung vom Faschismus und der Universitätswiedereröffnung, die sich im November jährt.]

1) Legalisierter Fatalismus?

,,Dem Geld erweisen die Menschen Ehren.
Das Geld wird über Gott gestellt.
Willst du deinem Feind die Ruhe im Grab verwehren
Schreibe auf seinen Stein: Hier ruht Geld.“

Bertolt Brecht, ,,Vom Geld“, Gedichte 1927-1930.

Herr Kusch, der spezielle Senator für Gefängnisse, will ethische Dämme brechen. Kaltes Kostenkalkül soll Leben vorzeitig beenden.
Das christliche Gebot der Nächstenliebe, die einhakende Kollegialität, die intellektuelle Sensitivität der Fairneß, schon gar der egalitäre Impetus der Solidarität - alles ein Pofel.
Er hat Widerspruch geerntet. Dieser wächst nach.

2) Erinnernde Negation der Destruktivität

,,Nein, dafür nicht. Nein, dafür sind die Toten nicht tot: Daß die Überlebenden weiter in ihren guten Stuben leben und immer wieder neue und dieselben guten Stuben mit Rekrutenfotos und Hindenburgportraits.
Nein, dafür nicht.“

Wolfgang Borchert, ,,Das ist unser Manifest“.

Aus schlechtesten Zeiten, die besser hätten sein können, wissen wir, daß sie nie wieder kommen dürfen. Hier stehen reichhaltige Erfahrungen zur Verfügung.
Frieden ist die permanente Anwesenheit von Zivilität.
Literatur bildet die höhere Aufmerksamkeit für überwindenswerte Ungereimtheiten.

3) Sinnschaffung

,,Wie jeder Anlaß mich verklagt und spornt
Die träge Rache an! Was ist der Mensch,
Wenn seiner Zeit Gewinn, sein höchstes Gut
Nur Schlaf und Essen ist? Ein Vieh, nichts weiter.
Gewiß, der uns mit solcher Denkkraft schuf,
Voraus zu schaun und rückwärts, gab uns nicht
Die Fähigkeit und göttliche Vernunft,
Um ungebraucht in uns zu schimmeln.“

William Shakespeare, ,,Hamlet“ (1601), derselbe im Vierten Aufzug/vierte Szene.

Tempo. Und dann? Die Trägheit als Kontrapunkt falschen, hetzenden Bemühens?
Die Ökonomie gibt den Takt. Das Recht schnürt den Leib. Der Apologet sagt: alternativlos. Der Supermarkt hat Likör.
Hingegen stellt der Gebrach des garstigen Verstandes das Mensch-Sein wieder auf die Füße.

4) Würdige Haltung

,,Der Mensch soll um der Güte und Liebe willen dem Tode keine Herrschaft einräumen über seine Gedanken. Und damit wach' ich auf ...“

Thomas Mann, ,,Zauberberg“, 1924.

Der Schlaf der Vernunft produziert Ungeheuer.
Aus dem Albtraum erwacht, besteht die eigenverantwortliche Möglichkeit, sich wieder aufzurichten.
Die Vernunft hat neue Nahrung durch ihr Gegenteil. Der Mensch schafft am besten sich selbst, indem er nicht hinnimmt.
Es geht den meisten anderen sehr ähnlich.

Hamburg, den 18. Oktober 2005

Veröffentlicht am Dienstag, den 18. Oktober 2005, http://www.harte--zeiten.de/dokument_341.html