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Zum Geleit XIII

Autoritäten?

Oder: Wer fürchtet sich vor den Herausforderungen?

[Kommentar zum Hintergrund: Die Befürworter der Hörigkeit gegenüber politischen und kulturellen "Autoritäten" im Akademischen Senat bekommen ein klares Contra. Kritisch diskutiert wird der präsidiale Jahresbericht über das Ringen der Universität mit den merkantilen Tauschwertanforderungen an Wissenschaft und Mensch, die den Nutzen dieser humanen Bildungseinrichtung in Frage stellen. Es stehen sich "Performance" und aufgeklärt kooperative Menschlichkeit gegenüber. Anläßlich des 60. Jahrestags der befreiten Wiedereröffnung der Universität wird sich auf eine gegenwartsbezogene Festveranstaltung verständigt. Die entschiedene Umsetzung positiver AS-Beschlüsse wird aber weiter mehrheitlich gemieden.]

0) Bezugnahme

,,Eine aristokratische Haltung
Herr Keuner sagte: >Auch ich habe einmal eine aristokratische Haltung (ihr wißt: grade, aufrecht und stolz, den Kopf zurückgeworfen) eingenommen. Ich stand nämlich in einem steigenden Wasser. Da es mir bis zum Kinn ging, nahm ich diese Haltung ein.<“

Bertolt Brecht, ,,Geschichten vom Herrn Keuner“.

Die Bezugnahme zur Welt ist immer eine konkrete Verhaltensweise zu anderen Menschen. Die verspannte Neigung, ,,die Sonstigen“ im Akademischen Senat als nachrangig zu betrachten sowie
zu behandeln, hat zugenommen.
Wem steht das Wasser bis zum Kinn?

1) Untertanen als Autoritäten?

,,Die Macht, die über uns hingeht und deren Hufe wir küssen! Die über Hunger, Trotz und Hohn hingeht! Gegen die wir nichts können, weil wir alle sie lieben! Die wir im Blut haben, weil wir die Unterwerfung darin haben! Ein Atom sind wir von ihr, ein verschwindendes Molekül von etwas, das sie ausgespuckt hat! Jeder einzelne ein Nichts, steigen wir in gegliederten Massen als Neuteutonen, als Militär, Beamtentum, Kirche und Wissenschaft, als Wirtschaftsorganisation und Machtverbände kegelförmig hinan, bis dort oben, wo sie selbst steht, steinern und blitzend! Leben in ihr, haben teil an ihr, unerbittlich gegen die, die ihr ferner sind, und triumphierend, noch wenn sie uns zerschmettert: denn so rechtfertigt sie unsere Liebe!“

Heinrich Mann, ,,Der Untertan“, 1918.

Dem ist an vertiefender Kritik nichts hinzuzufügen.
Die Aktualität besteht in der verschärften Gliederung des Sozialen.
Es bleibt nur die Frage: Wer widersteht?

2) Schwarze Pädagogik

,,Nach so vielen furchtbaren Gewalten, denen man unterworfen war, nach den Märchenkröten, dem Vater, dem lieben Gott, dem Burggespenst und der Polizei, nach dem Schornsteinfeger, der einen durch den ganzen Schlot schleifen konnte, bis man auch ein schwarzer Mann war, und dem Doktor, der einen im Hals pinseln durfte und schütteln, wenn man schrie - nach allen diesen Gewalten geriet nun Diederich unter eine noch furchtbarere, den Menschen auf einmal ganz verschlingende: die Schule.“

Heinrich Mann, a.a.O.

Gegen das Schwarze der Furcht gelte - alle Unkenrufe wider das Erkennen und Zeichnen von Kontrasten beiseite gelassen - das Helle der Erkenntnis, die heitere Einsicht in die Handlungsmöglichkeiten humaner Gestaltung. Die Verwandtschaft in der Lage, die Arbeit an der erweitert en Vernunft, das Geltenmachen von rationalen Maßstäben, das Erwirken von Verbesserungen der Bedingungen macht die Einzelnen allgemein bedeutungsvoller und gleicher in der speziellen gegenseitigen Wertschätzung.

3) Der Wert des Unbezahlbaren

,,Nach den Gesetzen des Marktes wird ein Gut umso teurer, je knapper es ist. Doch den Wert des Wassers wirklich zu schätzen wissen und einen Marktpreis für Wasser festzusetzen sind zweierlei Dinge. Keiner weiß Wasser mehr zu schätzen als eine Dorfbewohnerin, die zum Wasserholen meilenweit gehen muss. Keiner schätzt es geringer als ein Städter, der dafür bezahlt, den Hahn aufdrehen zu können, um das Wasser endlos fließen zu lassen.“

Arundhati Roy, ,,Die Politik der Macht / Rumpelstilzchens Reinkarnation“ in: ,,Die Politik der Macht“, 2002, S. 166

Wenn der Mensch nach dem Maß einer Ware bemessen wird, ist er nicht viel wert. (Manche werden erst gar nicht taxiert!)
Wer den Menschen nach dem Maß einer Ware bemißt, hält von seinen Mitmenschen in der Regel nicht viel und erhält seinen formalen Rang aus der Position des entwürdigenden Bewertens. Wertvoll ist dagegen das Nützliche, das Gebräuchliche , der kulturelle Genuß, die produktive Kooperation und wer sich daran beteiligt.
Das alles ist schwer auszupreisen.

4) Schicksal?

,,Resigniert wollte ich wieder in meinen Stumpfsinn zurückfallen, da durchfuhr es mich wie ein Blitz mit grauenhafter Beklemmung: Hatte die Fliege nicht eben gegrinst und mir mit ihrem blödsinnigen Kopf nachsichtig zugenickt? Gerade wollte ich ihr meinen Stiefel mitten in das höhnische Gesicht schleudern, da sprach sie mich an - mit einer etwas dünnen und sehr sachlichen Stimme, der aber doch eine gewisse Lebensweisheit nicht fehlte -, sie erinnerte mich an meinen alten Religionslehrer. Siehst du, sagte sie, du wolltest mein Schicksal sein und jetzt bin ich dir entwischt, du Dummkopf? Man muß nämlich über seinem Schicksal stehen, wenn es auch nur wenige Zentimeter sind, gerade so viel, daß es einen nicht mehr erreicht und in die Tiefe reißen kann. Begreifst du das?-“

Wolfgang Borchert, ,,Ching Ling, die Fliege“.

Das Gegebene kommt nur über uns, wenn wir es dulden.
Die Duldung wird legitimiert durch die Aussichtslosigkeit.
Die Aussichtslosigkeit entsteht durch die Überschätzung des pur Individuellen.
Die eigene Begrenzung mindert die Bedeutung der sozialen Verwandtschaft mit anderen.
Der Zirkel kann durch einfache Maßnahmen durchbrochen werden.
Der erste Schritt betritt einen anderen Weg.
Heiterkeit ist hier sehr hilfreich.

Hamburg, den 16. August 2005

Veröffentlicht am Dienstag, den 16. August 2005, http://www.harte--zeiten.de/dokument_339.html