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Zum Geleit IV

Die Gleichheit vor der Herausforderung

[Kommentar zum Hintergrund: Der Druck von Rechts auf die demokratische Massenuniversität ist hoch. Die Möglichkeiten, sich nicht zu beugen, sondern die soziale Offenheit, die kollegiale Zusammenarbeit und die kritische Inhaltlichkeit einiger Wissenschaften für ein wirksames Contra produktiv zu machen auch. Kleine Erfolge der Verallgemeinerung humanistischer Maßstäbe der Universität - zum Beispiel durch lebendige, gleichberechtigte Kooperation in den Gremien und Wissenschaften entgegen der beabsichtigten Hierarchisierung oder durch ein klares Nein zu Studiengebühren - können hohe Dynamik haben, wenn daran deutlich wird, daß nicht ewig jede Veränderung eine Verschlechterung sein muß. Damit haben Gremien wie der Akademische Senat eine gesteigerte Verantwortung. Wird aus der teilweise verwirklichten formalen Gleichberechtigung der Universitätsmitglieder echte produktive Gleichheit? Oder gewinnt der Marktwert auch in der Kultur zwischen Kollegen und Kommilitonen die Oberhand? Manchen, auch im AS, ist diese Herausforderung eine Überforderung; die Restriktionen des Rechtssenats werden einfach "nach unten" weitergereicht; errungene Rechte wie die gleichberechtigte Teilnahme von AS-Mitgliedern und Stellvertretern werden leichtfertig auf's Spiel gesetzt. Das erfordert prinzipielles Contra:]

1) Der Verfassungsrahmen

"Zwanzig Jahre lang habe ich geglaubt, es sei Spaß. Es ist Ernst? Könnt ihr haben."
Kurt Tucholsky, "Schnipsel", 1930.

Die unveräußerlichen Grundrechte (siehe Artikel 19) des Grundgesetzes schließen die Würde des Menschen (Artikel 1), die Gleichheit vor dem Gesetz (Artikel 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), das - mittlerweile stark eingeschränkte - Asylrecht (Artikel 17) und sogar die Vergesellschaftung von Grund, Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln (Artikel 15) ein. Eine bestimmte Wirtschaftsordnung ist nicht definitiv festgelegt.
Die positive historische Zäsur von 1945 bildete die Grundlage für die volle Konstituierung der bürgerlichen Rechte, die unter dem barbarischen Nazi-Regime mit Stiefeln getreten wurden.
Freiheit und Gleichheit sind aktuell gesellschaftlich umstritten.
Die Verfassungsnormen bedürfen der sozialen Konsequenz und Praxis.

2) Wer darf alles unter Brücken schlafen?

"Elsaß und Lothringen kann ich freilich dem Deutschen Reiche nicht so leicht einverleiben, wie ihr es tut, denn die Leute in jenen Ländern hängen fest an Frankreich wegen der Rechte, die sie durch die französische Staatsumwälzung gewonnen, wegen jener Gleichheitsgesetze und freien Institutionen, die dem bürgerlichen Gemüte sehr angenehm sind, aber dem Magen der großen Menge dennoch vieles zu wünschen übriglassen."
Heinrich Heine, Vorwort zu "Deutschland - Ein Wintermärchen"; Hamburg, den 17. September 1844.

Zwischen Gloria von Thurn und Taxis und Erna Meier bestehen immer noch gewisse Unterschiede. Der Bundeskanzler läßt sich vom "Arbeitgebertag" belobigen. Die Massenerwerbslosigkeit sinkt nicht. Die Verzweiflung steigt mit der Hetze. Die Kultiviertheit der Gesellschaft ist nicht befriedigend. Die sozialen Barrieren vor Bildung, Kultur und Gesundheit werden erhöht. Wer sich umdreht oder lacht, dem wird der Garaus gemacht.
Zufrieden?

3) Auf gleicher Höhe

"Me-ti sagte: Erst wenn die Gleichheit der Bedingungen geschaffen ist, kann von Ungleichheit gesprochen werden. Erst wenn die Füße aller gleich hoch stehen, kann entschieden werden, wer höher ragt als andere."
Bertolt Brecht, "Me-ti/Buch der Wendungen".

Wer sich als gleich begreift, kann allgemeine Voraussetzungen schaffen, die Gutes bewirken.
Staunen, Lernen, Horizonte schaffen, Zusammenwirken überschreitet Hadern, Hecheln,
Heucheln, Hangeln und Bangeln.
Neugierig?

4) Der Mut zur berechtigten Kontrahenz

"Zum Schluß möchte ich noch einmal betonen, dass ich als Schriftstellerin das Recht habe, meine Ansichten und Überzeugungen zu äußern. Als freie Bürgerin Indiens habe ich das Recht an jeder friedlichen dharna, jeder Demonstration und jedem Protestmarsch teilzunehmen. Ich habe das Recht, jedes Urteil jedes Gerichts zu kritisieren, wenn ich es für ungerecht halte. Ich habe das Recht, mit den Menschen gemeinsame Sache zu machen, mit denen ich übereinstimme."
Arundhati Roy, "Über das Bürgerrecht auf freie Meinungsäußerung", 2001.

Die nunmehr blaue Polizei bewacht das Lächeln des Bürgermeisters.
Die soziale Ungleichheit wächst unter der Doktrin der "wachsenden Stadt". Mit dem stummen Zwang der Geschäfte im Nacken werden Wissen und Freude klein geschrieben.
Die Universität soll zerschlagen werden.
Hier lohnt sich sehr die Opposition.
Einverstanden?

Golnar Sepehrnia, Olaf Walther
Hamburg, den 17. November 2004

Veröffentlicht am Mittwoch, den 17. November 2004, http://www.harte--zeiten.de/dokument_330.html