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Wirtschaft und Wunder

Zum Unterschied zwischen 1945 und 1949

"Unser Land steht vor großen Herausforderungen. Deutschland steht wie 1949 vor einer entscheidenden Weichenstellung. 1949 ging es um den Aufbau unseres Landes. 2005 geht es um die Erneuerung unseres Landes. Die Entscheidung für Deutschland liegt auf der Hand: Entweder Weiter so mit Rot-Grün oder Rot-Rot-Grün, oder ein neuer Anfang für Deutschland mit der Union."
(Angela Merkel in ihrer Rede vor dem CDU-Parteitag in Dortmund am 28.8.2005)

"Ein Volk, das diese wirtschaftlichen Leistungen erbracht hat, hat ein Recht darauf, von Auschwitz nichts mehr hören zu wollen."
(Franz-Josef Strauß, 1969)

"Die Rettung CDU" - CDU Wahlkampfplakat von 1949

Einen neuen Anfang für Deutschland, ein neues ,Wirtschaftswunder' wie nach 1949 verspricht Angela Merkel. Aber Wunder sind selten und die westdeutsche Restauration der 1950er und 60er Jahre war sicher keines. Die Entscheidung der Westalliierten, die Anti-Hitler-Koalition zu beenden und den Kalten Krieg gegen die sozialistischen Staaten zu beginnen, wurde von Adenauer, Erhard & Co nur all zu gerne aufgegriffen. Westanbindung, das bedeutete mit Hilfe von Marshall-Plan und ,sozialer Marktwirtschaft' aus der Bundesrepublik einen kapitalistischen Musterstaat als Bollwerk gegen die Bolschewiken zu machen. Über die Verbrechen des Faschismus wurde der Mantel des Schweigens gedeckt. Aus SS-Soldaten und NSDAP-Führern wurden brave Familienväter. Jene konservativen und reaktionären Eliten, die schon 1933 aus Angst vor SPD und KPD den Hitlerfaschisten an die Macht verholfen hatten, wurden wieder in Amt und Würden gesetzt. Die westdeutschen Konzerne behielten ihre Profite aus Krieg und Zwangsarbeit und hatten damit beste Voraussetzungen, nach den gewaltigen Zerstörungen des zweiten Weltkrieges am Wiederaufbau zu verdienen. Mit Beginn der Wiederbewaffnung ließen sich sogar im Rüstungsbereich wieder Geschäfte machen.

Die Alternative waren die Lehren aus Faschismus und Weltkrieg, die 1945 im Potsdamer Abkommen von allen Alliierten festgehalten worden waren: Demonopolisierung und Zerschlagung der deutschen Kriegswirtschaft, Denazifizierung und Aufarbeitung der faschistischen Verbrechen, Demilitarisierung sowie Demokratisierung von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Damals wie heute wurden die Ängste der Bevölkerung und der Wunsch nach Sicherheit genutzt, um weitreichende Schlußfolgerungen zu verhindern. Aber damals wie heute haben Lügen kurze Beine. Der ,wundersame' Aufstieg der Bundesrepublik kam 1966 mit einer ersten Rezession ins Stocken. Das Märchen, wenn es nur ,der Wirtschaft' gut gehe, falle für alle etwas ab, wurde hinterfragt. Friedensbewegung, Studierende und Gewerkschaften gingen auf die Straße. Es kam zur Großen Koalition und dann bis Mitte der 1970er Jahre zur Durchsetzung sozialer und demokratischer Reformen, die tatsächlich einem Großteil der Bevölkerung zu gute kamen.

Wenn Merkel heute, anknüpfend an 16 Jahre Kohl, eine neue Restauration in Aussicht stellt, wenn Fleiß und Lohnverzicht, Disziplin und Aufrüstung im Dienste des Profits als Mittel gegen die Krise gepriesen werden, dann ist es - 60 Jahre nach der Niederschlagung des Faschismus - die Aufgabe aller fortschrittlichen Kräfte, für eine zweite Befreiung zu kämpfen. Die Lehren von 1945 sind bis heute nicht eingelöst, aber "Vernunft, das ist so etwas wie ansteckende Gesundheit." (Alberto Moravia, italienischer Schriftsteller und Antifaschist).

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Dienstag, den 30. August 2005, http://www.harte--zeiten.de/artikel_309.html